Klassik
Pianist Víkingur Ólafssonversteht sich auch zu inszenieren.
Ari Magg

Er war in Island weltberühmt, bevor er global zum Darling wurde. Dann aber kam das Engagement durch Dirigent und Pianist Vladimir Ashkenazy – und ab ging die Karrierepost. Mittlerweile ist der Isländer Víkingur Ólafsson imposante 200 Tage im Jahr unterwegs, wobei er mitunter Konzerte nachlegen muss. Wegen Extra-Interesses gibt er etwa im November im Wiener Konzerthaus einen Zusatzabend (3. und 4. 11). Er spielt die Bach’schen Goldberg-Variationen, die er für die Deutsche Grammophon frisch eingespielt hat.

Das haben bisher Legionen von großen Pianisten getan. Das wäre an sich nichts Besonderes, nur halt ein Risiko. Ólafsson, der die Interpretationen von Murray Perahia, Edwin Fischer und Glenn Gould (die schnellere Version von 1955) schätzt, kann mit den Alten gut mithalten. Wie er nach der Ariain der erstern Variation aufs Tempo drückt, ist etwa ein echtes Statement.

Klavier per Hubschrauber

Was Marketing, Selbstpräsentation und Projektgestaltung anbelangt, ist Ólafsson aber ebenfalls ein Virtuose und dabei führender Repräsentant einer unbeschwerten Generation. Ihr sind Klassikdünkel fremd, und durch Pop-Attitüde wird ein jüngeres Publikum erreicht.

Ólafsson spielt schon mal im Freien auf einer kleinen Insel, nachdem ihm effektvoll ein Klavier per Hubschrauber serviert wurde. Auch komponiert er eigene Bearbeitungen von Werken und plaudert bei Konzerten ausgiebig, was bei der reiferen Generation nie der Fall ist. Die alten Rituale spielen, bei aller Ernsthaftigkeit der Darbietung, keine dogmatische Rolle mehr.

In die Charts

Ólafsson, 1984 in Reykjavík als Sohn einer Klavierpädagogin und eines komponierenden Architekten geboren, kommt selbst in die Pop-Charts, und das geht so: Auf Reflections spielt er barocke Stücke von Jean Philippe Rameau und Impressionistisches von Claude Debussy. Zugleich gibt er Werke in Auftrag, welche als Spiegelung der alten Meisterwerke fungieren. Sodann wird eine Spiegelversion – etwa von Debussy – als meditativ-elektronisches Stück in Pop-Manier als Single ausgekoppelt. So entstehen nicht nur neue Blickwinkel auf alte Werke; es bringt auch Reichweite. Die Gesamtzahl der Streams seiner Aufnahmen ist längst über 140 Millionen hinausgeschossen.

Ólafsson taugt natürlich auch als juvenile Identifikationsfigur. Mit seiner Brille ist er der sympathische Mix aus Hipster und Harry Potter. Es schadet auch nicht, wenn ihn die New York Times für seinen Bach plakativ "Iceland’s Glenn Gould" nennt.

Bach hat für die Karriere eine schicksalhafte Bedeutung. Bei einem Auftritt in Berlin, wo Ólafsson Jahre verbracht hatte, hörte ein Talentscout seine Version der Goldberg-Variationen. Es folgte ein Exklusivvertrag bei der DG, wobei: Ólafsson ließ sich lange Zeit, bis er sich auf das Variationswerk einließ, das Bach angeblich zur Linderung der Schlaflosigkeit eines Grafen komponiert haben soll. Ólafsson weiß eben: Letztlich bleibt eine Karriere nur nachhaltig intakt, so man auch im Kernrepertoire etwas zu bieten hat.

Cellistin Raphaela Gromes

Auf dem Weg zur Weltkarriere schadet es nicht, diskriminierter Musik Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die deutsche Cellistin Raphaela Gromes (Jahrgang 1991) hat es mit der Aufnahme Femmes (Sony) getan. Einfühlsam und emotional aufgeladen präsentierte sie Werke von übersehenen und vergessenen Komponistinnen. Die Münchnerin bewies dabei auch Haltung und nutzt die Tatsache, dass die Labels nur noch bunte Potpourri-Alben genehmigen, für eine echte Weitung des Repertoires. Dass auch ein Stück von Billie Eilish, nämlich "No Time to Die", also der Bond-Song, für Cello und Klavier arrangiert dabei ist, zeigt, dass Marketingmaßnahmen auch Stilbarrieren inexistent werden lassen.

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Raphaela Gromes mit Repertoire vergessener Komponistinnen.
IMAGO/Future Image

Pianistin Yuja Wang

Yuja Wang, 1987 in Peking geboren, ist nicht nur auf äußere Wirkung bedacht. Zwar wird von ihr kleidermäßig nichts dem Zufall überlassen. Die Chinesin, die durch das Einspringen für Martha Argerich bekannt wurde, zeigt aber vor allem, wie sich juvenile fernöstliche Virtuosität mit Musikalität verbindet. Bei ihrem Kollegen Lang Lang wird das teils immer noch angezweifelt. Yuja Wang ist aber auch einer dieser Weltstars, welche Qualität mit Stiloffenheit verbinden. Wer ihre letzte Aufnahme The American Project (DG) hört – und dabei das Klavierkonzert von Teddy Abrams’ –, ist verwundert, mit welcher Leichtigkeit auch jazzigen Elemente modelliert werden.

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Yuja Wang immer auch an Mode interessiert.
Konzerthaus Wien © Julia Wesely

Cellist Sheku Kanneh-Mason

Sheku Kanneh-Mason (Jahrgang 1999) ist nicht nur der bekannte "Wedding Cellist", da er 2018 zur Trauung von Prinz Harry und Meghan Markle vor einem Weltpublikum telegen aufgespielt hat. Der Brite, dessen Schwester und Pianistin Isata Kanneh-Mason ebenfalls international reüssiert, ist auch zum Role-Model für die schwarze Community geworden. Außerdem repräsentiert er eine neue Offenheit, die sich im Repertoire spiegelt. Auf Songs hat er etwa auch Pop-Klassiker wie Burt Bacharachs I Say a Little Prayer für sein Instrument arrangiert. Natürlich spielt Kanneh-Mason längst mit arrivierten Orchestern auch das Kernrepertoire. Das ist die Basis.

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Cellist Sheku Kanneh-Mason und sein Bruder Braimah Kanneh-Mason.
REUTERS

Pianistin Johanna Summer

Die deutsche Pianistin Johanna Summer (Jahrgang 1995) ist durch einen ungewöhnlichen Ansatz bekannt geworden: Klassisch ausgebildet und also im Besitz von Fähigkeiten, das traditionelle Repertoire zu spielen, ging sie trotzdem konsequent den exzentrischen Weg. Summer nahm auf Kaleidoskop Kompositionen von Robert Schumann, ließ sie allerdings, statt sie einfach zu buchstabieren, aus ihren Improvisationen plötzlich auftauchen und wieder verschwinden. Dieser rhapsodische Ansatz brach mit der Strenge der Klassik und klang überraschend. So wurde etwa Schumanns Hit Träumerei noch nie so eingesetzt. Erfrischendes Konzept.(Ljubisa Tosic,12.10.2023)

Besonderer Zugang zu klassischen Werken: Die deutsche Pianistin Johanna Summer.
IMAGO/Sven Thielmann