Boris Pahors erstes nachhaltiges Trauma geht auf die hemmungslosen Übergriffe der italienischen Faschisten auf die slowenische Minderheit in Triest zurück.
Jurij Devetak

Als Boris Pahor an einem sommerlichen Sonntagnachmittag im Jahr 1966 vom elsässischen Schirmeck zum ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof hinauffährt, fällt ihm das "Asphaltband" auf, das sich inzwischen durch das Hochland der Vogesen windet. Der Schriftsteller erkennt darin einen Baustein zur Versiegelung jener Vergangenheit, aus der er selbst kommt.

In Nekropolis (1967, dt. 2001) legt ein traumatisierter Erzähler schichtweise die Zerrissenheit offen, die für einen ehemaligen KZ-Häftling auch Jahrzehnte nach dem Krieg noch immer unüberwindbar ist. Der 1913 geborene Triestiner Schriftsteller slowenischer Zunge musste lange warten, bis er für seine literarischen Werke Aufmerksamkeit erlangte. Der autobiografische Roman über seine Erfahrungen mit dem NS-Regime wird heute an die Seite von Primo Levi oder Imre Kertész gestellt. Wegen seiner Kontakte zum Widerstand wurde er Anfang 1944 nach Natzweiler-Struthof verbracht, dem Aufenthalt folgte eine Odyssee durch mehrere deutsche Konzentrationslager.

Buchcover
Zoran Smiljanić, Ivan Smiljanić, "Die Schwarze Flamme. Der Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920". Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler. € 19,– / 120 Seiten. Bahoe Books, Wien 2022
bahoe books

Sensible Textauswahl

Der junge Comic-Künstler Jurij Devetak, Jahrgang 1997 und ebenfalls slowenischsprachiger Triestiner, stand mit dem Schriftsteller noch im Austausch, als er mit der Verfertigung seines Comics nach der Romanvorlage begann. Kurz vor dessen Fertigstellung verstarb Pahor letzten Mai mit 108 Jahren, nun ist der Comic auf Deutsch erschienen.

Dass die sensible Textauswahl auf komplexe Erzählgefüge verzichtet, ist keineswegs als Mangel zu werten. Ergänzt durch die weiten Bilderlandschaften in Schwarz-Weiß schafft der Comic einen einfühlsamen Zugang zum Roman. Dazu gelingt es dem Zeichner, aus der Vorlage drei zentrale Ebenen zu veranschaulichen, zwischen denen Pahors Text changiert: Der Autor an seiner Schreibmaschine in Triest stellt den Rahmen zu dieser vielschichtigen Erzählung her. Dazwischen schreitet der Besucher den terrassenförmig angelegten Ort des Verbrechens ab und stößt dabei wiederholt auf Touristengruppen, darunter ein Liebespaar und Kindern. Während er hinter seinen Erinnerungen verschwindet, tritt daraus der Gefangene in seinem "gestreiften Anzug" hervor.

Comic
Mit Hilfe der weiten Bilderlandschaften in Schwarz-Weiß schafft der Comic einen einfühlsamen Zugang zum Roman
Jurij Devetak

Abgeschnittenheit

Zurückhaltend skizziert der Zeichner die sichtbaren Reste einer "Welt der Krematorien", inzwischen Stadt der Toten, Nekropolis. Das von einem Wald gesäumte Konzentrationslager liegt übersichtlich an einem Hang, ganz oben ein Galgen, unten das Krematorium mit dem Ofen, dazwischen die Baracken. Irritierend ist Pahors Brille mit verspiegeltem Glas, sie versinnbildlicht im Comic ein zentrales Dilemma des KZ-Überlebenden: seine Isoliertheit mit den Schrecken seiner Erlebnisse. Wir Nachgeborenen sind – wie jene Touristen – abgeschnitten von seinen Erfahrungen. Unser versiegelter Blick ist wie eine Trennwand, die uns vom Überlebenden entfremdet. Für ihn genügt "ein unachtsamer Augenblick und schon vermischen sich (...) Vergangenheit und Gegenwart".

Dabei ersehnt der Besucher Pahor nichts mehr als die Überwindung des Schreckens, für die ihm das Liebespaar ein Beispiel ist, oder das Mädchen, das fröhlich in sein Spiel versunken um das Drahtseil herumturnt, das den Schornstein des Krematoriums befestigt. In dem Drahtseilakt spiegelt sich die Angst, ein Zeugnis des Verderbens könnte beschädigt werden, die mit dem Wunsch, "die Kinderhände würden das Haus des Schreckens zum Einsturz bringen", verhakt ist.

Buchcover
Boris Pahor,Jurij Devetak, "Nekropolis". Der Roman als Graphic Novel. Aus dem Slowenischen von Barbara Anderlič. € 25,70 / 172 Seiten. Schaltzeit-Verlag, Berlin 2023
Schaltzeit Verlag

Kontextualisierung eines Gewaltakts

Das Dilemma des Traumatisierten hat viele Facetten. Seine Gedanken sind durchdrungen von den Schatten der Vergangenheit, die neben Schmerz auch Scham und Schuld in ihm auslösen: Das Stück Brot, das die Versterbenden zurückließen, sicherte ihm, dem Krankenpfleger, für eine Zeitspanne das Überleben. Primo Levis Frage, ob man unter solchen Umständen noch ein Mensch bleiben kann, durchzieht auch Pahors Text. Doch auch die unschuldige Natur ist für den Autor nicht unschuldig, trug zur Vertuschung, trägt zur Versiegelung bei: Warum hat der Wald geschwiegen? Warum sind aus seinem Dunkel niemals die ersehnten Kämpfer herausgetreten? "Ich prangerte die ganze Natur an (...)." Und weshalb "beharrt" das Gras noch immer darauf, "still weiterzuwachsen"?

Schließlich ist eine Vorgeschichte zum Grauen der Nazizeit für den vielsprachigen Autor noch von maßgeblicher Bedeutung. Sie erzählt von den Anfängen des italienischen Faschismus am Ende des Ersten Weltkriegs, als das Gefüge dreier Sprachgruppen in Triest auseinanderbrach und die slowenische Minderheit offen unterdrückt wurde. Den Brandanschlag auf das Theater im Narodni dom am 13. Juli 1920 bezeichnete Benito Mussolini in einem Anfall von Begeisterung "als die Stunde des Faschismus". In ihrem Comic Die Schwarze Flamme – Der Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920 hat das slowenische Brüderpaar Zoran und Ivan Smiljanić eine erhellende Kontextualisierung dieses Gewaltakts geschaffen.

Dem Schuljungen Boris, der sich diesen rohen Exzess "ohnmächtig mit ansehen musste", hat sich die Angst eingebrannt. Eine Angst, die sich in Schmach wandelte, als auch sein slowenischer Name (in Pachor) geändert wurde. In diesen Vorgängen gewahrte der Autor Vorläufer des nationalsozialistischen Systems, in dem Menschen, als "Gipfelpunkt eines Vierteljahrhunderts der sukzessiven Auslöschung", auf eine Nummer reduziert wurden. Jurij Devetak ist eine behutsame Annäherung an Pahors Gedankenwelt gelungen. (Martin Reiterer, 14.10.2023)