Viennale
Mademoiselle Kenopsia (Larissa Corriveau) schlägt die Zeit tot.
Viennale

Ausgeweidete Hallen, bröckelnder Putz, abgenutzte Vorhänge, Wandverkleidungen und andere Einrichtungsreste, ein vereinzelter Stuhl, in einem Zimmer ein Berg alter Möbel. Mademoiselle Kenopsia beginnt mit einer Serie statischer Raumansichten, die gleichzeitig ein bebildertes Sound-Piece sind. Das Licht zeichnet helle, sanft vibrierende Flächen auf den Fußboden, Neonröhren summen, ein Wasserhahn tropft, es rumpelt und pfeift und brummt. Spricht hier noch das Vorleben der Räume oder schon das Nachleben? "Kenopsia" ist Urban Slang und bezeichnet die unheimliche Atmosphäre eines Ortes, der einmal von Menschen bevölkert war und nun leer ist.

Covid-Filme auf Abstand

Die Mademoiselle Kenopsia in Denis Côtés poetisch-lakonischer Raum-Zeit-Studie ist eine Frau mit glatt zurückgekämmtem Haar (Larissa Corriveau). Sie bewacht und kontrolliert die Räume und führt einsame Gespräche am Telefon, die wie Monologe klingen. "Ich schlage Zeit tot. Und dann schlägt sie mich zurück. Wir sind wie zwei Mörder." Schon in Hygiène Sociale (2021) machte der frankokanadische Filmemacher Denis Côté aus der Not (den Beschränkungen durch die Pandemie) eine Tugend und ließ Figuren – auf Abstand – in Rededuellen aufeinandertreffen.

Festival International du Film de La Roche-sur-Yon

Mademoiselle Kenopsia wirkt wie ein geisterhafter Nachhall dieser Periode, in der man ständig mit dem Messen von Einsamkeits- und Isolationswerten beschäftigt war. "Ich habe grenzenlosen Zugang zu Raum und Zeit", meint die Mademoiselle einmal: "Aber wenn du zu viel von etwas hast, dann verliert es seinen Wert." Sie wähnt sich in einem extrem langsamen Thriller.

Die Montage verbindet die Räume zu einem rätselhaften Komplex, in dem sich verschiedene Zeittexturen symbiotisieren. In jedem Raum greift Kenopsia zum Telefonapparat für ein bisschen Außenkontakt. Ab und zu findet sie sich auch in Gesellschaft wieder. Eine Frau spricht über die Schönheit der Geste, ein Mann installiert eine Überwachungskamera, eine elegante Vorgesetzte bringt einen Kuchen vorbei. Auch das Kino kommt zu Besuch. Ein unsichtbarer Projektor wirft flackernde Lichter auf die maroden Wände – wie eine ferne Erinnerung. (Esther Buss, 16.10.2023)