Die Lage ist ernst. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben depressive Symptome und Angstzustände, Essstörungen und Suizidgedanken bei Jugendlichen zugenommen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien in den Spitälern gerieten an ihre Grenzen. Zugleich verlaufe der Ausbau ambulanter Angebote schleppend, kritisierte erst vor wenigen Tagen die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Kind Belastet Jugendliche Psyche Probleme
Die Belastungen von Kindern und Jugendlichen nahmen in der Pandemiezeit zu.
IMAGO/Thomas Eisenhuth

In Wien tut sich aber etwas: Am Montag wurde der dritte Standort in der Bundeshauptstadt präsentiert, an dem ein kinder- und jugendpsychiatrisches Ambulatorium eröffnen wird, zwei weitere sollen nächstes Jahr folgen. Insgesamt sind sechs dieser Einrichtungen auf Wien verteilt geplant. Das sieht der Psychiatrische und Psychosomatische Versorgungsplan (PPV), der seit 2018 umgesetzt wird, vor.

Das neue Ambulatorium des Psychosozialen Dienstes (PSD) zieht in den fünften Stock eines Neubaus in der Lassallestraße 3, unweit des Pratersterns. Dort sollen bis zu 600 Kinder und Jugendliche pro Jahr ambulant behandelt und betreut werden. Für zwölf junge Patientinnen und Patienten gibt es eine tägliche tagesklinische Betreuung, die Hälfte dieser Plätze ist für Kinder und Jugendliche mit Essstörungen reserviert.

Betrieb startet im November

Noch wird in der Eingangshalle gebohrt und gehämmert. Im fünften Stock ist zwar keine Baustelle mehr, doch die Sessel sind noch leer, und kleine gelbe Post-its markieren noch jene Stellen an den weißen Wänden, an denen irgendwann Bilder hängen sollen. Ab Dienstag sind aber bereits Anmeldungen für das Ambulatorium möglich (über die Sorgen-Hotline Wien unter 01/4000 53000), am 2. November startet der Betrieb.

Die Betreuung der Patientinnen und Patienten erfolgt in einem multiprofessionellen Team aus Psychiaterinnen und Psychiatern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten. Insgesamt sind vier Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater dort beschäftigt, eine davon ist die Leiterin, Doris Koubek, die bei der Pressekonferenz am Montag betonte, dass ambulante Angebote gerade für Kinder und Jugendliche wichtig seien, da sie dadurch weiter in ihrem direkten Lebensumfeld bleiben können.

Ambulanz Sesselkreis Kinder- und Jugendpsychiatrie
In der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie sollen jedes Jahr rund 600 Kinder und Jugendliche betreut werden. Noch sind die Plätze leer. Im Bild ein Gruppentherapieraum.
Gudrun Springer

Ärztinnen und Ärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind sehr gefragt, weil rar, Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zufolge ist die Personalsuche für den ambulanten Bereich aber kein Problem. In Wien gibt es auch das Pilotprojekt des sogenannten Home Treatment, bei dem Kinder und Jugendliche statt stationär in einem Krankenhaus zu Hause engmaschig von einem Team betreut werden. Man habe auch noch weitere Pläne, ließ Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien durchklingen, verriet aber keine weiteren Details.

Die Kosten für das Angebot in der Lassallestraße (rund 2,5 Millionen Euro im Jahr) teilt sich die Stadt laut Hacker mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) halbe-halbe auf. Regional bringe man das also zusammen, sagte der Gesundheitsstadtrat, was als Seitenhieb auf den Bund und den Stand der Finanzausgleichsverhandlungen beziehungsweise die angekündigte Gesundheitsreform verstanden werden kann. Auch dass eine Ausbildungsquote von 1:2 bestehe, ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie also nur zwei Assistenzärzte ausbilden darf, kritisiert Hacker.

Möglicherweise weniger Betten 

Ambulatorium Kinder- und Jugendpsychiatrie Lassallestraße
Pressekonferenz zur Eröffnung des Ambulatoriums für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Lassallestraße 3 mit (von links) PSD-Chefarzt Georg Psota, Ambulatoriumsleiterin Doris Koubek, Suchtfragen- und Psychiatriekoordinator Ewald Lochner und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).
Wirlphoto/PSD

Der Gesundheitsstadtrat kann sich vorstellen, den stationären Bereich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu redimensionieren, wenn die ambulanten Angebote entsprechend greifen, wie er auf Nachfrage sagte. Das würde bedeuten, dass man weniger Betten im stationären Bereich bereitstellen würde, als der Regionale Strukturplan Gesundheit (RSG) derzeit für die Zukunft vorsähe.

Vergangenen Sommer waren in einem der zwei Spitäler mit kinder- und jugendpsychiatrischer stationärer Versorgung in Wien, nämlich an der Klinik Hietzing, die fachärztlichen Ressourcen auf ein Minimum geschrumpft. Nach wie vor machen an der Abteilung an der Klinik Hietzing nach Auskunft des Chefarztes der Psychosozialen Dienste in Wien, Georg Psota, auch auswärtige Fachärztinnen und Fachärzte Nachtdienste. Der PSD war in der krisenhaften Situation mit Personal eingesprungen. Die Stimmung an der Abteilung habe sich inzwischen aber gebessert, sagt Psota. (Gudrun Springer, 16.10.2023)