Wird die Musik der Taylor Swift so langlebig sein wie die der Beatles? Eher nicht. Das macht sie aber nicht weniger gut.
Wird die Musik der Taylor Swift so langlebig sein wie die der Beatles? Eher nicht. Das macht sie aber nicht weniger gut.
Collage: derStandard/Köstinger Foto: Imago, GettyImages

Ewig währt am längsten! Diese nicht einmal von Albert Einstein infrage gestellte Aussage stammt von Kurt Schwitters. Der Dadaist war wie die meisten seiner Freunde ein Anmaßungskünstler, ein Grenzgänger, Verfasser der sogenannten Ursonate und wie viele seiner Gesinnungsgenossen ein Ahnherr der Populärkultur, für die Dada mit seinem zur Kunst erhobenen Nonsens ein Ideenspender ist.

Dabei hat mit so etwas wie Langlebigkeit im Pop anfangs niemand gerechnet – schon gar nicht mit der Ewigkeit. Musik galt als ephemeres Phänomen, war ein schnelles Geschäft, ihr Medium lange Zeit die Single. Das Ziel: schnell Kohle abgreifen, bevor der Geschmack sich ändert. Niemand dachte in der Pionierzeit des Rock 'n' Roll, dass sich diese zwei-, dreiminütigen Soundtracks zum andeutungsreichen Hüftkreisen über Jahrzehnte halten würden: "A-wop-bop-a-loo-mop-a-lop-bam-boom!" Hä? Doch es kam anders.

Längst gelten Popsongs und -alben als Klassiker, die Generationen überdauern, stetig neue Fans gewinnen und dem kollektiven Gedächtnis eingeschrieben sind. Lieder der Beatles, der Rolling Stones, der Beach Boys, von Led Zeppelin, Bob Dylan oder David Bowie. Ihre Werke und die vieler anderer gelten als Maßstäbe punkto Qualität und kommerzieller Ausbeute.

Aktuell wird wieder gemessen. Denn mit Taylor Swift gibt es einen Popstar, der Verkaufsrekorde bricht und so manche mit der Zuschreibung "Superstar" geadelte Kolleginnen und Kollegen blass aussehen lässt. Niemand ist im Moment so erfolgreich wie Swift. Die Qualität ihrer Kunst liegt im Ohr der Hörerinnen und Hörer, und wie bei (relativ) neuen Stars üblich, ist deren Status heiß umkämpft. Da finden Generationskonflikte im Taschenformat statt, die oft darauf hinauslaufen, dass prognostiziert wird, dass Swifts Musik im Vergleich zu früheren Bands in 20, 30 Jahren niemand mehr kennen wird. Irrtum.

Magie und Mythos

Verständlich ist, dass jemand wie die Beatles einen Vorteil hatte. Sie konnten einerseits auf etwas Vorhandenes zurückgreifen, auf Rock 'n' Roll, und transformierten diese Musik in etwas, das aufgrund ihres Zutuns Pop genannt werden sollte. Bei dieser Arbeit genossen sie den Rückenwind der gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er-Jahre, was ein Momentum von großer Wirkmächtigkeit ergab: Die Emanzipation der Jugend, die sexuelle Revolution, die Dringlichkeit der US-Bürgerrechtsbewegung – das war Inspiration, die in Musik mündete, die für jene prägend und identitätsstiftend war, die mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen aufwuchsen. (Außer in Salzburg, das die Beatles in den 1960ern mit "Beatles Go Home!"-Schildern empfing, als sie zu Dreharbeiten kamen.)

taylor swift - willow (official music video)
TaylorSwiftVEVO

Marc Brooks vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien sagt dazu: "Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, stellen wir fest, dass einige der innovativsten und populärsten Komponisten im Gefolge von Revolutionen aufgetaucht sind. So versuchte Beethoven die neue bürgerliche Freiheit der Französischen Revolution in seiner Musik zu vermitteln, Wagner den Geist der Revolution von 1848."

Doch allein die Euphorie der Nachkriegsgeneration mache die Wirkmacht der Beatles nicht aus, sagt Brooks. Er vergleicht sie mit dem Komponisten Franz Schubert. Wie der hätten sie sich die Mühe gemacht, den Inhalt eines Liedes in der Musik zum Ausdruck zu bringen. "Etwa in den sich spiralförmig nach unten bewegenden Klängen der Gitarren in Helter Skelter oder in der Art und Weise, wie die Orgel in Here Comes the Sun eingesetzt wird, um den gesamten Song klingen zu lassen, als würde er sich langsam herausschälen." Hinzu komme die Fähigkeit, wirkungsvolle und einprägsame Melodien zu schreiben. Und natürlich die Möglichkeit, die richtigen Akkorde und Klänge zu wählen, um die Details des Textes zu vermitteln. Paul McCartney selbst nennt das Ganze einfach Magie – und pflegt so den Mythos.

Kein Urknall mehr

Abzüglich des historischen Backgrounds ist das aber nichts, was jemand wie Swift nicht ebenfalls beherrscht, dennoch haben sich die Bedingungen verändert. Es gibt kaum etwas, was es nicht schon einmal gab. Und nur weniges davon erweist sich als massentauglich und langlebig zugleich. Harry Styles mag ein anderer Überflieger des zeitgenössischen Pop sein, wer die Musik der 1980er-Jahre kennt, muss ihn aber als einen von vielen Retrokünstlern einordnen.

Brooks meint, Swifts Songwriting-Fähigkeiten könnten durchaus mit denen von McCartney und Lennon mithalten und ebenso viel Magie besitzen: "Ihre Lieder werden sicher so lange weiterleben, wie sie und ihre Fans es tun. Aber ich denke, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie darüber hinaus bestehen, geringer ist als bei jemandem wie den Beatles. Das liegt daran, dass Swift ganz im Einklang mit der Popmusiktradition steht, in der sie tätig ist." Das bedeutet, dass ihre Musik keine kollektive Urknallqualität besitzt – wenngleich sie diese für einzelne Fans haben kann. Noch wichtiger ist für Brooks ein anderer Umstand: "Wir leben in einer Zeit kultureller Stagnation, in der es wenig Optimismus hinsichtlich der Zukunft gibt oder den Glauben, dass sich die Dinge verbessern werden."

Taylor Swift - Anti-Hero (Official Music Video)
TaylorSwiftVEVO

Swifts Musik besitze deshalb vornehmlich Zerstreuungscharakter. Während ihre Musik und ihre Marketingstrategien die neue Medienlandschaft effektiv ausnützten und in ihren Liedern zum Beispiel Rätsel auftauchten, über die ihre Fans online endlos diskutieren könnten, müsse sie, um populär zu bleiben, Songs eher zur Ablenkung von den Problemen ihrer Fans schreiben, anstatt diese Themen in ihrer Musik auf interessante Weise zu reflektieren. Brooks: "Sie bringt uns nicht dazu, auf kritische Art und Weise über die Zukunft nachzudenken, was man besser machen, woraus man Optimismus beziehen könnte. Die Beatles in Bestform, die konnten das."

Glücksgefühle zählen

Das werden die Swifties, die Fans der US-Musikerin, nicht gerne hören und wahrscheinlich anders sehen. Das ist okay. Denn selbst wenn zeitgenössische Popmusik sich meist in der Tradition verfängt, vor manch übermächtigem Erbe einknickt, ein Charakteristikum ist ihr immer noch eigen: Sie besitzt das Vermögen, bei ihrem Publikum Glücksgefühle auszulösen. Das zählt.

Es soll bitte nicht immer alles allen gefallen. Pop ist ja nicht die kollektive Gleichschaltung, sondern Ausdruck von Individualität – selbst wenn das schwer geworden ist. Und sogar die heiligen Beatles werden da und dort für Schnarchnasen gehalten. Fragen Sie drüben im Rolling-Stones-Lager. (Karl Fluch, 20.10.2023)