Es war, als hätte der Historiker und Schriftsteller Philipp Blom gewusst, was da noch kommt. Am Mittwochvormittag sprach er bei der Fachtagung zur Energieautonomie im Festspielhaus und erinnerte an die Suffragetten, die in England für das Frauenwahlrecht kämpften. Lange mit gewöhnlichen Kampagnen, was keine Veränderungen brachte. Später radikalisierte sich die Frauenbewegung – es gab Störaktionen, Sachbeschädigung, Hungerstreiks. Und das Frauenwahlrecht kam. Ohne den Druck durch die Suffragetten hätte es laut Blom länger gedauert. Seine Message: Aktionen der Klimakleber schaffen Aufmerksamkeit für ein wichtiges Anliegen, Dialog mit den Aktivisten ist notwendig.

Satirische Preisverleihung und grüner Rauch

Am Abend gab es gleich Gelegenheit: Im Festspielhaus wurden nämlich Städte und Gemeinden für ihre Klimaschutzbemühungen ausgezeichnet. Die sogenannte e5-Zertifizierung wird vom Energieinstitut vergeben, bereits seit 25 Jahren. Unter den Preisträgern ist auch die Stadt Feldkirch – und das rief Aktivistinnen von Extinction Rebellion auf den Plan. Sie hielten vor dem Eingang ihre eigene, satirische Preisverleihung ab, später betraten sie die Bühne, als die Montfortstadt ausgezeichnet wurde. Auf dem Banner stand "Tunnelspinne ungleich Klimaschutzgemeinde".

Demonstration vor der Verleihung des e5-Klimaschutzpreises in Vorarlberg
Weil die Stadt Feldkirch für ihre Bemühungen um den Klimaschutz ausgezeichnet wurde, obwohl sie einen riesigen Tunnel baut, demonstrierten Aktivistinnen von Extinction Rebellion vor dem Bregenzer Festspielhaus.
Extinction Rebellion Vorarlberg

Es ist die jüngste Aktion einer ganzen Reihe an Protesten, die in Vorarlberg diesen Herbst stattfanden. Was auffällt, ist, dass die Aktivisten ihre Anliegen dort vorbringen, wo sie ihre Adressaten vermuten. Klebeaktionen im Frühverkehr oder in Museen finden im Ländle nicht bzw. kaum statt. Und: Es beteiligen sich neue Gruppierungen und Personen.

Ungehorsame Großeltern

Beide Entwicklungen werden am Beispiel von Helmut Feuerstein deutlich. "Ich bin für zielgerichteten Protest, dass man sich an die entsprechenden Personen direkt richtet", sagt der 65-jährige Pensionist. Feuerstein engagiert sich zwar seit vielen Jahren in unterschiedlichen Projekten. Bei den Klimaaktionen macht er aber erst seit vergangener Woche so richtig mit – und zwar durchaus mit zivilem Ungehorsam. "Meine Frau und ich haben uns vor das Festspielhaus gesetzt und auch gegen den Stadttunnel in Feldkirch demonstriert. Zu den Polizisten habe ich gleich gesagt: 'Wir lassen uns wegtragen, wenn nötig.' Passiert ist das dann aber nicht."

Feuerstein sieht Klebeaktionen auf Autobahnen zwar nicht als seine Form des Protests, er sei dadurch aber "ein bisschen aufgewacht". Für seine Enkel engagiere er sich nun für den Kampf gegen den Klimawandel. Konkret: gegen den Feldkircher Stadttunnel. Denn: "Die nächste Generation wird nicht glauben können, dass wir so ein Projekt zulassen."

Einen Tag vor der Preisverleihung im Festspielhaus fährt Feuerstein deswegen auch zur Stadtvertretungssitzung nach Feldkirch. Zusammen mit einem Dutzend anderer Großeltern hat Feuerstein eine Erklärung verfasst. Ungefähr 30 andere Personen würden sich ihnen außerdem anschließen wollen, sagt der ehemalige Lehrer. "Wir sind eigentlich überrascht, dass es so viele sind."

Das Megaprojekt im Zentrum der Kritik

Der Feldkircher Stadttunnel ist eines der beiden Mega-Infrastrukturprojekte, an denen sich Klimaaktivisten derzeit stoßen. Auch die S18 – welche die schweizerische mit der österreichischen Autobahn verbinden würde – soll, wenn es nach ihnen geht, nicht gebaut werden. Während die Planung der Straße aber noch immer nicht abgeschlossen ist und das Projekt mittlerweile einen Zeithorizont von noch einmal 20 Jahren hat, sieht das beim Tunnel anders aus. Momentan werden Erkundungsstollen in Tisis und der Felsenau gebaut.

Auch hier dauerte es: 2015 gab es nach sieben Monaten grünes Licht bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, es folgten Beschwerden beim Verfassungs- und beim Verwaltungsgerichtshof, die etwa bezüglich Lärm einige Verbesserungen für die zukünftigen Anrainer brachten, das Projekt insgesamt aber nicht kippen konnten. Der geplante Stadttunnel besteht aus vier Tunnelarmen und einem unterirdischen Kreisverkehr, der die vier Äste verbindet. Durch den Tunnel soll es weniger Verkehr in der Innenstadt geben. Die Gesamtkosten wurden zuletzt auf 300 Millionen Euro geschätzt, dürften mittlerweile aber höher sein. Für Feldkirch wäre das irrelevant: Die Stadt hat zugesagt, den Bau mit zwölf Millionen Euro mitzufinanzieren, vom Bund kommen 40 Millionen – den Rest finanziert das Land. Damit der Bau so richtig losgehen kann, müssen aber noch einige Voraussetzungen geklärt werden. Unter anderem geht es derzeit noch um die Verlegung einer Wasserleitung.

Das Gesicht der Ländle-Klimademos

Gegen den Tunnel ist auch Marina Hagen-Canaval. Die 27-jährige Lustenauerin ist Stimme und Gesicht der Letzten Generation und von Extinction Rebellion in Vorarlberg. Wo gegen klimaschädliche Politik oder Projekte protestiert wird, ist sie nicht weit. Sie ist seit ein paar Monaten Vollzeit im Kampf gegen den Klimawandel unterwegs, um die 60 Stunden pro Woche investiere sie in diese Arbeit. Hagen-Canaval hat einen Doppel-Master in Wirtschaftsinformatik. Weil sie sich für Klimademos Urlaub genommen habe, habe sie ihr Vorgesetzter kritisiert. "Da hab ich mir gedacht, muss ich mir das bieten lassen?" Derzeit ist sie deswegen bei der Letzten Generation angestellt und bekomme eine Aufwandsentschädigung.

Bei der Feldkircher Stadtvertretungssitzung vergangene Woche verlas sie mit einer anderen Aktivistin eine Reihe von Fragen an Bürgermeister Wolfgang Matt (ÖVP), was später für einen Eklat sorgen sollte.

Eklat in der Stadtvertretung

Matt habe "von oben herab" reagiert und nur geantwortet, dass die Aktivistinnen schlecht vorbereitet seien, sagt Hagen-Canaval. Klimastadtrat Wolfgang Flach (ebenfalls ÖVP) wiederholte das in der Sitzung, brachte den grünen Stadtrat Clemens Rauch damit in Verbindung. Dieser wiederum merkte an, dass er es als problematisch empfinde, wenn Bürgerinnen mit ihren Anliegen geringgeschätzt würden. Der Schlagabtausch zwischen ÖVP und Grünen zog sich schließlich durch die ganze Sitzung – Rauch wurde vom Bürgermeister quasi als Aktivist bezeichnet und fälschlicherweise Sachbeschädigung vorgeworfen, Kritik an zu wenig Engagement der Stadt in Sachen Klimaschutz wollte die ÖVP nicht gelten lassen.

Dass die Aktivistinnen mit ihrem Protest Erfolg haben und die Tunnelspinne doch nicht gebaut wird, scheint derzeit aussichtslos. Veränderungen im Kleinen gibt es aber: So soll die e5-Zertifizierung, laut der Feldkirch Klimamusterstadt ist, überarbeitet werden. Bislang wird bewertet, wie ein Ort klimafreundliches Verhalten fördert: Absichtserklärungen, gesunde Jause in der Schule, klimafreundliche Mobilität – all das gibt Punkte. Für ein Projekt wie die Tunnelspinne gibt es aber keine Minuspunkte. Damals, vor 25 Jahren, war ein solcher Preis revolutionär. Künftig soll nun auch der CO2-Verbrauch ein wichtiger Faktor werden.

"Klimapreise sind meistens Greenwashing", sagt Hagen-Canaval. Es brauche Handeln statt Wohlfühlpartys. Das denken offenbar auch andere: Ausgerechnet auf der von ihnen gestörten Veranstaltung erhielten die Aktivistinnen für ihre Kritik Applaus. (Lara Hagen, 17.10.2023)