Friedrich Bungert
Die Fotoserie von Friedrich Bungert zeigt versehrte Soldaten aus dem Ukrainekrieg. Abgebildet: Illia Pylpenko, der im September 2022 bei der Kherson Offensive verwundet wurde.
Friedrich Bungert

Das Wort "Normalität" angesichts des anhaltenden Kriegs in der Ukraine in den Mund zu nehmen scheint absurd. Dennoch will die Kyiv Biennale 2023 genau dies leisten: In einer Zeit, in der die – unter friedlichen Umständen seit 2015 alle zwei Jahre stattfindende – Großausstellung nicht in gewohntem Ausmaß organisiert werden kann, soll das Fortbestehen des Projekts Stabilität suggerieren.

Neben den ukrainischen Städten Kiew (Kyiv), Iwano-Frankiwsk und Uschhorod, in denen kleine Ausstellungen möglich sind, erklärten sich Berlin, Warschau, Lublin, Antwerpen und Wien bereit, als Austragungsorte zu fungieren. Mit den Eröffnungen in Kiew und Wien, wo die Hauptschau stattfindet, startet die Biennale als europäisches Gemeinschaftsprojekt, bei dem ukrainische, aber auch internationale und jeweils lokale Kunstschaffende vertreten sind – darunter auch große Namen wie Nikita Kadan, Hito Steyerl oder Wolfgang Tillmans.

Dan Perjovschi
Der rumänische Künstler Dan Perjovschi ist für seine politischen Zeichnungen bekannt.
Dan Perjovschi

Georg Schöllhammer, der die Wien-Ausgabe gemeinsam mit Hedwig Saxenhuber und Serge Klymko kuratiert hat, sieht es als primäre Aufgabe der Biennale, die über Europa verstreute künstlerische Diaspora der Ukraine zusammenzubringen und ihr internationale Ausstellungsmöglichkeiten zu bieten.

Versperrte Haupteingänge

Saxenhuber und Schöllhammer sind als Kuratoren bekannt, initiierten das bekannte Kunstmagazin Springerin und waren 2015 an der Gründung der Kyiv Biennale beteiligt. Damals reagierte man mit dem Projekt auf die Maidan-Proteste in der Ukraine sowie die Annexion der Krim seitens Russlands.

In Wien ist die Ausstellung ab Mittwoch bei freiem Eintritt im Augarten Contemporary zu besuchen – dort, wo früher die Kunstinstitution TBA21 beheimatet war und 2022 die Foto Wien Station machte. Der leer stehende Gebäudekomplex, der in den 1950ern als Repräsentations-, Arbeits- und Wohnstätte für den Bildhauer Gustinus Ambrosi errichtet wurde, wird nun zwischengenutzt.

Anton Shebetko
Der Krieg geht alle etwas an: Das "not" in der Leuchtarbeit von Anton Shebetko blinkt immer wieder zweideutig.
Anton Shebetko

Auf die umstrittene Biografie Ambrosis als Sympathisant der faschistischen Regime in Deutschland und Italien geht die Gestaltung ein, indem sie das Publikum leicht irritiert. Im Laufe der Biennale bleiben die Haupteingänge versperrt, die Schau ist nur über Seitentüren zugänglich. Neben dem Hauptstandort findet die Biennale aber auch an sieben weiteren Orten in Wien statt, darunter die IG Architektur, der Neue Wiener Kunstverein sowie der Kunstraum Ve.Sch.

Poetisch bis heftig

Um die lichtdurchfluteten Innenräume im Augarten bespielen zu können, wurden unter anderem vom Mumok simple Ausstellungswände gestiftet – es habe viel Hilfe seitens der lokalen Museen gegeben, sagt Schöllhammer. Ein Hauptsponsor ist die Erste Stiftung, auch Stadt und Bund haben unterstützt. Wichtig sei dem Kurator aber, dass es sich um keine reine Solidaritätsausstellung handle, sondern um eine Aktion, die darüber hinaus Kontinuität schaffe.

Majd Abdel Hamid
Der in Beirut lebende Majd Abdel Hamid trauert in bunten Stickarbeiten um seine Heimatstadt.
Majd Abdel Hamid

Tatsächlich kann man nicht von einer "Betroffenheitsausstellung" sprechen. Zwar befassen sich die Werke mit Gewalt, Krieg und Vertreibung, allerdings oft auf unterschwellige und poetische Weise. So prangt eine klaffende Wunde der griechischen Künstlerin Georgia Sagri an der Wand, trauert der in Beirut lebende Majd Abdel Hamid in bunten Stickarbeiten um seine Heimatstadt, und ein gigantischer Schriftzug von Superflex stellt fest, dass es einen Elefanten im Raum gibt.

Unter die Haut geht die Soundinstallation des Ukrainers Nikolay Karabinovych, bei der immer wieder der militärische Befehl "Attack" durch die Räume hallt. Übrigens: Mit dem Elefanten im Raum ist Putin gemeint. (Katharina Rustler, 18.10.2023)