Nach einer Eingewöhnungsphase in der Universität und am Campus ist es Zeit, die Umgebung der Stadt Calgary zu erkunden. Kanada ist nicht umsonst für seine bilderbuchähnliche Landschaft bekannt. In den Provinzen Alberta und British Columbia sind vor allem die Rocky Mountains ein beliebtes Reiseziel.

Über 1.000 Kilometer zieht sich die insgesamt 4.800 Kilometer lange Gebirgskette durch Kanada. Auf dem Weg von Calgary zu den Rocky Mountains durchquert man meist auch die kanadische Prärie. Mit den Öffis erreicht man die Berge von Calgary aus oft schwer. Als Auslandsstudentin muss man also Freund:innen mit Auto finden oder ein Auto ausleihen.

Prärie
Auf dem Weg von Calgary zu den Rocky Mountains führt der Weg durch die Prärie.
Nicola Höpfl

Banff und Lake Louise

Glücklicherweise organisierten die für das Austauschprogramm zuständigen Mitarbeiter:innen der Universität einen Ausflug zu den wohl bekanntesten Orten in der Provinz Alberta: Banff und Lake Louise. Die Siedlung Lake Louise trägt denselben Namen wie der dort gelegene Bergsee, der für seine atemberaubende Schönheit und die türkisblaue Farbe bekannt ist.

Der See bekommt seine besondere Farbe durch das Schmelzwasser der rundumliegenden Gletscher. Schmilzt das Gletschereis, werden durch die Erosionskräfte Gesteinspartikel abgetragen. Wenn das sogenannte Gletschermehl in stilles Wasser gelangt, reflektieren die Partikel bei Sonnenschein das Licht. Dadurch erhält der See seine türkise Farbe. Ist es bewölkt, erscheint das Wasser teilweise gräulich.

See, bewölktes Wetter
Bei Schlechtwetter erscheint das Wasser des Gletschersees teilweise leicht gräulich.
Nicola Höpfl

Die atemberaubende Landschaft rund um Lake Louise sowie die Boutiquen und Restaurants in Banff sind ein regelrechter Tourist:innenmagnet. Im Jahr 2022/23 besuchten 4,1 Millionen Menschen den Nationalpark in Banff. Dieser ist der älteste Nationalpark in Kanada und seit 1984 Unesco Weltkulturerbe.

Regenbogen, Felslandschaft, Kirche
In Banff kann man während dem Essen in einem der Restaurants oder während dem Bummeln die Rocky Mountains bewundern.
Nicola Höpfl

Jasper-Nationalpark

Ein weniger touristischer Ort ist Jasper. Im Vergleich zu Banff wird die Stadt mit 2,4 Millionen Besucher:innen pro Jahr beinahe halb so oft aufgesucht. Jasper hat rund 4.500 Einwohner:innen und eine Fläche von 925 Quadratkilometern. Die Kleinstadt liegt im Tal des Athabasca River und gilt als das Handelszentrum des Jasper-Nationalparks.

Für die über 400 Kilometer lange Strecke von Calgary nach Jasper trifft der Spruch "Der Weg ist das Ziel" zu 100 Prozent zu. Die zwischen vier und fünf Stunden lange Autofahrt führt durch die Rocky Mountains an reißenden Flüssen, dichten Wäldern, hohen Gipfeln und schneebedeckten Gletschern vorbei. Zahlreiche Zwischenstopps zahlen sich also aus.

Der Highway 93 führt durch die Rocky Mountains und wird auch Icefields Parkway genannt.
Mona Bruckberger
Bei der Autofahrt von Calgary nach Jasper sollte man lieber aus dem Fenster schauen.
Nicola Höpfl

Auch an Banff führt die Route vorbei. Da wir den Ort aber bereits besucht hatten, waren unsere ersten Stopps Bow Lake und anschließend Peyto Lake. Diese Seen erreicht man über den Highway 93, auch bekannt als Icefields Parkway.

Aufgrund der umliegenden Gletscher schimmern auch Bow Lake und Peyto Lake türkisblau. Der circa drei Quadratkilometer große Bow Lake befindet sich auf einer Höhe von 1.920 Metern. Da der See so hoch liegt und aufgrund des Wetters bekamen wir bei unserem Besuch im Oktober unseren ersten Schnee zu sehen. Auch die Landschaft rund um den auf 1.880 Meter gelegenen Peyto Lake war bereits in Schnee gehüllt.

Der Bow Lake liegt auf 1.920 Metern Höhe.
Nicola Höpfl
Der Peyto Lake befindet sich im Banff-Nationalpark.
Nicola Höpfl

Indigene Bevölkerung in den Rocky Mountains

Während die Natur der Nationalparks in den Rocky Mountains vor Schönheit nur so strotzt, ist die Geschichte dahinter umso hässlicher. Vor der Gründung der Nationalparks mit den Tourist:innenströmen und der Ansiedlung der westlichen Kolonisator:innen lebten auf diesen Gebieten zahlreiche indigene Völker.

Die sogenannten First Nations lebten im Einklang mit der Natur und sahen sich selbst als Teil des Landes, auf dem sie lebten. Diese Verbundenheit mit der Natur wird von den indigenen Menschen durch das Konzept des Respekts ausgedrückt. Respekt vor dem Land, Respekt vor Lebewesen, Respekt vor den Ältesten und Respekt vor traditionellen Bräuchen.

Manche indigene Gruppen verbrachten das ganze Jahr in den Rocky Mountains. Andere passten ihren Aufenthaltsort den Jahreszeiten und den Lebensumständen in den Bergen an. Als die Europäer:innen nach Kanada kamen, konnten sie durch das Wissen und die Kenntnis der First Nations in den Gebieten überleben und sich ansiedeln.

Die Vertreibung der Indigenen

Bald waren die eigentlichen Bewohner:innen dieser Gebiete den Europäer:innen allerdings ein Dorn im Auge. Man betrachtete sie als Hindernis, wenn es darum ging, die Natur in den Rocky Mountains zu "genießen". Nachdem in Jasper im Jahr 1907 der Nationalpark gegründet wurde, zwang man die indigenen Menschen die Gebiete, die ihr Lebensmittelpunkt waren, zu verlassen.

Berge, Flüsse und Teile des Landes in Jasper, so wie in zahlreichen anderen Gebieten in Kanada, erhielten koloniale Namen. Damit sollten die First Nations und ihre Kultur so gut wie möglich unsichtbar gemacht werden. Die Europäer:innen verbrannten und zerstörten Siedlungen, Hütten, Kunstwerke, Schriften und jegliche Anzeichen, die die Existenz der indigenen Völker widerspiegelten.

Den Menschen, die dieses Land mit dem größten Respekt besiedelten, wurden ihre Heimat, ihre Identität und ihre Kinder genommen. In den sogenannten Resdiential Schools wurden die Kinder der First Nations umerzogen. Viele Völker wurden gezwungen, in Reservaten zu leben.

Indigene Menschen in den Nationalparks heute

Totempfahl in Jasper
Nicola Höpfl

Als Tourist:in bekommt man von der grauenvollen Geschichte der Nationalparks in Banff und Jasper nur wenig mit. In dem einen oder anderem Souvenirshop kann man Totempfahle, Mokassins oder Federschmuck kaufen. Manche der Geschäfte werden von indigenen Menschen betrieben. Infotafeln gibt es kaum.

Im Jahr 2011 wurde ein Totempfahl in Jasper aufgestellt, der an die Geschichte erinnern soll. Einige der First Nations stehen dem allerdings kritisch gegenüber, denn was bedeutet ein Totempfahl, wenn es sonst kaum etwas gibt, was die indigenen Menschen repräsentiert? (Nicola Höpfl, 23.10.2023)