Viennale
Das Bild stammt aus dem Archiv des Eye-Filmmuseums.
Viennale

"Liefde Fiona, … zu Hause passiert nichts Spannendes." So beginnt der erste Brief, den der Vater der Filmemacherin Fiona Tan am 2. August 1988 aus dem australischen Brisbane an seine ins ferne Amsterdam gezogene Tochter schreibt. Bis zum September 1990 hat Tan Soen Houw rund dreißig Briefe auf den Weg geschickt, worin er Privates berichtet und seine Gedanken zu lokal- und weltpolitischen Geschehnissen teilt: Familienfeierlichkeiten, Krankheiten, Berufsleben und das Wetter, die Landtagswahlen, das Tian’anmen-Massaker in China und der Zerfall des Ostblocks. Auch die Auswirkungen des Treibhauseffekts beschäftigen ihn, irgendwann wechselt "Pap" zu Recyclingpapier.

Die in Tans ersten Jahren ihres Kunststudiums geschriebenen Briefe werden von einer weichen Erzählstimme vorgelesen – zu Bildern, die sich mit dem Text zunächst an keinem Punkt zu berühren scheinen. Stumme, teils farbkolorierte dokumentarische Aufnahmen, die in den Niederlanden zwischen 1896 und 1930 entstanden. Fiona Tan, Tochter eines indonesisch-chinesischen Vaters und einer australischen Mutter schottischer Herkunft, hat sie aus dem Archiv des Eye-Filmmuseums in Amsterdam zusammengetragen und gemeinsam mit dem Sounddesigner Hugo Dijkstal vertont. Die punktuell gesetzten Geräusche vitalisieren die Bilder auf gespensterhafte Weise, rücken sie gleichzeitig näher an eine Gegenwart heran.

Berlinale - Berlin International Film Festival

Dearest Fiona zeigt Szenen von Arbeit und Alltag: Fischfang, Erntearbeit, Frauen, die mit einem Tragjoch Körbe transportieren, Menschen, die mit Schlittschuhen oder in Holzpantinen über das Eis schlittern, auch Szenen von Kinderarbeit.

Mit der Entwicklung zur Industriegesellschaft wird das Handwerk (viele der Tätigkeiten sind inzwischen ausgestorben) zunehmend von Maschinen übernommen. Auch der Handel floriert. In einem Hafen werden Gewürze ausgeladen, das Schiff kommt aus der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien. Tan Soen Houw erklärt, dass die Waren aus Indonesien mit großem Gewinn in Europa verkauft wurden.

Koloniale Verbindungen

Die kolonialen Verbindungen zwischen dem Herkunftsland des Vaters und dem Studienort der Tochter treten im Laufe des Films immer stärker in den Vordergrund. "Es ist seltsam, wenn ich daran denke, wie ich als kleiner Junge in Indonesien die Geografie der Niederlande lernte … die Bücher über Indonesien waren von niederländischen Autoren. Ich muss Identitätskrisen durchgemacht haben, ohne zu wissen, was das ist."

Auch Fiona Tan, deren Stimme abwesend bleibt, aber in den Antworten des Vaters präsent wird, macht etwas durch. Wie nebenbei konturiert sich die diasporische Biografie einer jungen Künstlerin, die von Selbstzweifeln erschüttert allmählich ihren eigenen Weg findet. (Esther Buss, 19.10.2023)

In Anwesenheit der Regisseurin:

Filmmuseum, 20. 10.; Metro, 21. 10., 13.30