Viennale
"When We Encounter the World" von Zazie Ray-Trapido und Leonardo Pirondi läuft bei "V'23 Shorts" bei der Viennale.
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Wie das Unsichtbare sichtbar machen? Sich verändernde Orte und Erfahrungen festhalten? Das Kurzfilmprogramm "Encounters", das zweite von insgesamt sieben auf der diesjährigen Viennale, bietet fünf filmische Ansätze:

In Nocturno para uma floresta blickt Catarina Vasconcelos auf die Rolle der Frau in einer patriarchalen Gesellschaft. Jahrhundertelang war ein Bild der stillenden Maria in einem portugiesischen Kloster den Männern vorbehalten. Nun rufen die Seelen verstorbener Frauen nach einem Brandopfer. Wesentlich friedlicher geht es im ebenfalls aus Portugal stammenden Dokumentarfilm Shrooms von Jorge Jácome zu. Statt Magic Mushrooms zu kriminalisieren, konzentriert er sich auf den Sammler Dan Padrino und dessen Kunden, die mit den Pilzen ihre Leiden kurieren.

Wo sind die Kinder?

In einen brasilianischen Nationalpark verschlägt es Marcela Ilha Bordin in Sertão, América. Indigene Personen sprechen darin über den Ort, der wegen seiner alten Felszeichnungen berühmt wurde, aus dem aber im Zuge dessen Einheimische ausgesiedelt wurden.

Neben Frauen, Kranken und Indigenen sind es oft Kinder, die übersehen werden. Ihnen widmen sich die letzten zwei Filme. Zazie Ray-Trapido und Leonardo Pirondi werfen in der portugiesisch-US-amerikanischen Koproduktion When We Encounter the World einen Blick auf das "Automeris-Projekt", in dem 1934 zwei Pseudowissenschafter Kinder in einem Experiment isolierten. In Kinderfilm des österreichischen Kollektivs Total Refusal entsteht mittels des Computerspiels Grand Theft Auto V eine künstlerische Intervention. Inmitten der Spiel- und Gangsterästhetik stellt sich die Frage, wohin all die Kinder verschwunden sind. Haben etwa die Autos etwas damit zu tun?

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"Kinderfilm" von der Medienguerilla Total Refusal begibt sich auf die Suche nach den Kindern in der Leere der Computerspielwelt.
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Während Shrooms oder Sertão, América Beteiligte zu Wort kommen lassen und mit weichen Lichtbouquets, Spektralfarben und verspielten Details arbeiten, erzeugt When We Encounter the World verzerrte Rekonstruktionen aus Forschungseinträgen. Nocturno para uma floresta nutzt den Brand des Marienbildes, um über Denkmalkultur und Cancel-Culture zu reflektieren. Soll das Bild als Mahnmal fungieren, oder soll es zerstört werden, als Sühne für all die unsichtbaren Frauen?

Edgar, der Protagonist aus Kinderfilm, bricht schließlich mit der Norm seiner Computerspielwelt, indem er sein Auto verlässt und auf die Suche nach den Kindern geht. Durch die Absage an deren aggressive Schnelllebigkeit entwickeln Details wie die Leere von Spielplätzen eine ganz eigene Sogwirkung. (Susanne Gottlieb, 19.10.2023)