Alte anatomische Zeichnung des Gehirns.
Drei neue klinische Forschungsgruppen sollen eine Lücke zwischen Grundlagenforschung und angewandter Entwicklung schließen. Die neue Förderschiene der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft stellt nicht-kommerzielle klinische Forschung ins Zentrum.
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Was haben bösartige Hirntumore, Vorhofflimmern und Pfortaderhochdruck gemeinsam? Sie alle betreffen zwar zahlreiche Menschen, stellen die Medizin und die Forschung aber noch immer vor Rätsel. Abhilfe soll jetzt eine neue Forschungsförderung schaffen: Das von der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft (LBG) ins Leben gerufene Förderprogramm Klinische Forschungsgruppen (KFG) unterstützt Forschungsinitiativen mit Fokus auf patientenorientierte, medizinisch relevante Themen im Gebiet der nichtkommerziellen klinischen Forschung. Gefördert werden nun drei Forschungsgruppen, deren Arbeit auf eine Dauer von bis zu acht Jahren mit je acht Millionen Euro gestützt wird.

Im Zentrum der Projekte stehen die frühzeitige Erkennung von Vorhofflimmern am Smartphone, die Diagnose und personalisierte Behandlung von Pfortaderhochdruck sowie maßgeschneiderte Therapien bei Hirntumoren. Möglich wird dies durch eine Fördersumme von 24 Millionen Euro, die sich aus Mitteln des Wissenschaftsministeriums und des Fonds Zukunft Österreich speist. Glücklich über die Förderung zeigten sich die Leitenden der Forschungsgruppen bei deren Präsentation Ende September in Wien. Sie stellten jene Erkrankungen vor, die dank der Finanzspritze verständlicher, diagnostizierbarer und besser therapierbar werden sollen.

Herzrhythmus und Handy

Einer dieser medizinischen Problemfälle ist das Vorhofflimmern. Obwohl es die häufigste Herzrhythmusstörung darstellt, bleibt das Leiden oft unerkannt. Zwar ist das unregelmäßige Schlagen des Herzens nicht unmittelbar lebensbedrohlich, es erhöht allerdings die Gefahr für Herzbeschwerden und Schlaganfall und ist daher mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden. Ziel des "Austrian Digital Heart Program" ist es, eine digitale Screening- und Behandlungsstrategie für Vorhofflimmern zu entwickeln, in das österreichische Gesundheitssystem zu implementieren und dessen klinischen Nutzen zu validieren.

Geleitet wird die Gruppe von Sebastian Reinstadler von der Universitätsklinik für Innere Medizin an der Med-Uni Innsbruck. Im Zentrum steht das frühe Erkennen und Behandeln der Herzrhythmusstörung, um letztlich etwa Schlaganfälle zu verhindern. In einem bevölkerungsbasierten und österreichweiten Ansatz wird eruiert, wie sich dabei digitale Strategien integrieren und nutzen lassen.

Unter anderem in Kooperation mit dem Austrian Institute of Technology will man Hard- und Software entwickeln, die es Betroffenen erlauben, in Kombination mit dem eigenen Handy Vorhofflimmern zu erkennen und die Therapie anzupassen. "Wir wollen die Menschen in ihrem eigenen digitalen Umfeld abholen", erklärte Reinstadler den Ansatz, den seine Gruppe verfolgt.

Alte anatomische Zeichnung des Herzen.
Das "Austrian Digital Heart Program" will dem gefährlichen Vorhofflimmern auf den Grund gehen.
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Ein weiteres Projekt namens "Motion" widmet sich hingegen dem Phänomen des Pfortaderhochdrucks, medizinisch portale Hypertension genannt. Dabei kann zu reinigendes Blut nicht im üblichen Maße in die Leber geleitet werden, was bei Betroffenen zu schweren Komplikationen führen kann.

Rund zwei Millionen Todesfälle werden weltweit jedes Jahr mit dem Leiden in Verbindung gebracht. Bis heute existiert allerdings kein zugelassenes Medikament zur Behandlung des Pfortaderhochdrucks. Unter Leitung von Thomas Reiberger von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Med-Uni Wien sollen drei klinische Studien neue Behandlungsoptionen ausloten.

Das fachübergreifende Forschungsvorhaben zielt darauf ab, präzise Methoden für die invasive und nichtinvasive Früherkennung und Diagnostik von Pfortaderhochdruck zu entwickeln und personalisierte Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene zu erschließen. Angewandt werden dabei Methoden wie etwa die RNA-Sequenzierung von Lebergewebe, modernste Analysen von Schnittbildgebungsverfahren und detaillierte Untersuchungen des Blutgerinnungsprofils von betroffenen Patientinnen und Patienten.

Alte anatomische Zeichnung der Leber.
Pfortaderhochdruck ist weltweit für rund zwei Millionen Todesfälle verantwortlich, eine medikamentöse Behandlung des Leidens existiert bisher nicht.
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Tückischer Hirntumor

Glioblastome sind die bei Erwachsenen häufigsten bösartigen Hirntumoren. Sie zeichnen sich durch eine schlechte Prognose und eine hohe Sterblichkeit aus, da sie oft schwer zu erkennen und häufig gegen in Chemotherapien eingesetzt Medikamente resistent sind. Ein Team um Anna Sophie Berghoff fasst unter Leitung der Klinischen Abteilung für Onkologie der Med-Uni Wien die noch immer nicht verstandene Erkrankung im Projekt "Attract" ins Auge.

"Die Förderung gibt uns die Möglichkeit, die Biologie der Krankheit zu verstehen", sagte Berghoff bei der Projektpräsentation. Mithilfe neuer Screeningmethoden untersucht die Gruppe zudem bei direkt aus Betroffenen entnommenen, im Labor gezüchteten Krebszellen, auf welche Wirkstoffe diese am besten ansprechen. An der klinischen Studie werden 240 Betroffene teilnehmen.

Da mit der bei "Attract" eingesetzten Methodik die Zellen jeder Patientin und jedes Patienten separat analysiert werden, könnte sich die Voraussage über die Effizienz einer bestimmten Therapie deutlich verbessern lassen. Mit dem Ansatz aus der Präzisionsmedizin sollen einerseits neue Erkenntnisse über die Erkrankung gesammelt und andererseits die Überlebensraten Betroffener gesteigert werden, erklärte Berghoff.

An dem interdisziplinären Forschungsprojekt sind neben der Med-Uni Wien unter anderem auch die Med-Unis Graz und Innsbruck sowie die Johannes-Kepler-Universität und das Kepler-Universitätsklinikum beteiligt. (Marlene Erhart, 28.10.2023)