Es gibt vor Gericht zwei grundverschiedene Verteidigungsstrategien, wenn man kein Geständnis abgelegt hat: Man kann einerseits Staatsanwaltschaft und Richter angreifen sowie sämtliche Vorwürfe aufs Schärfste zurückweisen. Oder man gesteht zwar keine Schuldigkeit, aber eigene Fehler ein – und versucht, sich auf die Sicht der Staatsanwaltschaft zuzubewegen. Beides war am Mittwoch im Straflandesgericht zu sehen.

Wenig überraschend war es Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der mit seiner Ansicht zum Verfahren nicht hinterm Berg hielt: Es handle sich um eine Anklage, die aus dem "Zusammenspiel zwischen WKStA und Politik" entstanden sei, hatte einst ja eine Anzeige der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper das Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem U-Ausschuss ins Rollen gebracht. Nach seinem kurzen Statement vor Fernsehkameras und Journalisten beantragte Kurz-Verteidiger Otto Dietrich dann prompt die Zuweisung eines neuen Richters, da Michael Radasztics angeblich befangen sei.

Sebastian Kurz 
Die mediale Aufmerksamkeit war Kurz einmal mehr gewiss
Corn

Eine "Relation" zu Peter Pilz

Dieser habe ja eine "Relation" zum Ex-Abgeordneten Peter Pilz, führte Dietrich aus – am Nachmittag kündigte Pilz deshalb eine Klage gegen Dietrich an. Konkret war gegen Radasztics ermittelt worden, als er noch bei der Staatsanwaltschaft Wien tätig war und dort die Causa Eurofighter betreut hatte. Rund um den U-Ausschuss zu dieser Sache habe er Pilz ein Amtsgeheimnis verraten, hieß es einst – die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt. Im Frühjahr wechselte Radasztics dann ans Straflandesgericht Wien, das Zufallsprinzip machte ihn zum Richter im Kurz-Prozess. Dort muss er nun beurteilen, ob Sebastian Kurz "die Allgemeinheit angelogen hat", wie es Staatsanwalt Gregor Adamovic nannte – oder ob "Kurz' Aussagen richtig waren und mit der Wirklichkeit übereinstimmen", wie Anwalt Dietrich meinte.

Radasztics
Richter Michael Radasztics.
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Richter Radasztics erlebte aber auch die andere Verteidigungsstrategie in Form von Bettina Glatz-Kremsner. Die ehemalige Casinos-Austria-Chefin und frühere Vizeparteiobfrau der ÖVP ließ über ihren Anwalt Lukas Kollmann verlautbaren, dass sie "Fehler" gemacht habe. Sie hätte der Einvernahme bei der WKStA und dem U-Ausschuss mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Zwar werde sie sich nicht schuldig bekennen, aber "ihre Frau stehen", sagte Kollmann. Glatz-Kremsner sagte später selbst, sie habe Dinge "nicht gesagt, die ich hätte sagen sollen". Das Ergebnis ihrer Strategie: Richter Radasztics schlug eine Diversion vor, Glatz-Kremsner willigte ein, eine Geldbuße zu bezahlen. Sie bleibt unbescholten, der Prozess ist für sie vorbei, wenn sie binnen 14 Tagen rund 104.000 Euro zahlt.

Der U-Ausschuss als Strafverfahren

Anders ist das bei Kurz und Otto Dietrich, der vergangenen Herbst erstmals neben Werner Suppan als Kurz-Verteidiger in Erscheinung getreten war. Wortreich beschrieb Dietrich, warum sich die Vorwürfe gegen Kurz "in Luft auflösen" würden. Da wäre etwa der U-Ausschuss an sich: Die Abgeordneten würden dort unterstellende und unfaire Fragen stellen und damit gegen Prinzipien der Zeugenbefragung verstoßen. "Eine unzulässige Frage ist eine falsche Frage, die man nicht falsch beantworten kann", fasste Dietrich zusammen. Die Stimmung im Ibiza-U-Ausschuss, wo Kurz im Juni 2020 ausgesagt hat, sei aggressiv gewesen; dort sei nach der politischen Wahrheit gesucht worden. Die Abgeordneten seien nicht zur Objektivität verpflichtet, dafür aber strafrechtlich immun.

Sie hätten Unterlagen, die die Auskunftsperson nicht kennt; zudem herrsche ein Zeitdruck – all das ergebe sinngemäß eine Gemengelage, die keinesfalls mit einer Einvernahme vor Gericht oder vor der Staatsanwaltschaft zu vergleichen sei. Es stelle sich sogar die Frage, ob nicht der U-Ausschuss eine Art von Strafverfahren dargestellt habe, erläuterte Dietrich weiters. So sei bei den Untersuchungsthemen von "illegaler Postenvergabe" und dem "Verdacht des Gesetzeskaufs" die Rede gewesen. All das könnte einen Aussagenotstand begründen, also eine Falschaussage ohne Strafe.

Die Angeklagten
Bonelli, Kurz und Bettina Glatz-Kremsner.
APA/GEORG HOCHMUTH

Schmid "nur Schmid loyal"

Außerdem griff Dietrich den einstigen Kurz-Verbündeten Thomas Schmid an, um dessen Karriere sich das Verfahren gewissermaßen dreht – war es doch dessen Bestellung zum Öbag-Chef, deren Hintergründe Kurz im Parlament verschwiegen haben soll. Schmid sei "nur Schmid gegenüber loyal", meinte Dietrich mit Blick auf den möglichen Kronzeugen.

Fast noch schärfer wurde Suppan, der Bonelli vertritt. Die WKStA messe mit unterschiedlichem Maß, meinte er: Das Verfahren gegen den einstigen ÖBB-Manager Arnold Schiefer habe man eingestellt, weil er glaubwürdig angegeben habe, sich nicht erinnern zu können; bei anderen seien Erinnerungslücken Anklagegründe. Suppan will außerdem einen Fehler im Strafantrag der WKStA entdeckt haben, den er als "Falschantrag" bezeichnete. So habe die WKStA Ex-Finanzminister Hartwig Löger die Worte seines Nachfolgers Gernot Blümel bei dessen Einvernahme in den Mund gelegt und dann behauptet, beide hätten "wortgleich" ausgesagt. Das dürfte stimmen, wie ein Blick auf die Dokumente zeigt: Löger antwortete klar anders als Blümel. Amtsmissbrauch wolle Suppan damit aber nicht nahelegen. (Fabian Schmid, Renate Graber, 18.10.2023)