Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im Porträt. 
"Wir müssen die Klimaproblematik auf einer Allparteienebene lösen" – Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.
Christopher Mavric

Mit einer bunten Brosche an der Weste, auf der die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen farblich abgebildet sind, und einem Fahrradkorb in der Hand betritt Helga Kromp-Kolb den Gastgarten eines Cafés in Hietzing. Die bald 75-jährige Klimaforscherin von der Universität für Bodenkultur (Boku) spricht anlässlich ihrer jüngsten Buchveröffentlichung über die "Klimaignoranz" des Kanzlers, parteien- und länderübergreifende Klimapolitik und darüber, wie sich die Lücke zu den ambitionierten Klimazielen doch noch schließen ließe.

STANDARD: "Für Pessimismus ist es zu spät" lautet der Titel Ihrer jüngsten Veröffentlichung. Wie kommt man denn wieder zu mehr Optimismus in dieser Zeit voller Krisen?

Kromp-Kolb: Ich weiß nicht, ob Optimismus das richtige Wort ist. Ich glaube, es geht eher um die Überzeugung, dass es besser werden kann – im Sinne einer Zuversicht. Optimismus würde bedeuten, ich kann mich zurücklehnen, es wird alles gut. Das ist nicht der Fall. Wenn wir nicht in eine sehr negative Schiene wollen, dann müssen wir wirklich die Ärmel hochkrempeln. Und zwar auf allen Ebenen.

STANDARD: Auf Ebene der Politik hinkt Österreich den eigenen Zielen und jenen der EU jedenfalls hinterher. Wie lässt sich die Situation bessern?

Kromp-Kolb: Jetzt fantasiere ich einmal, wir hätten eine Regierung, die sagt, das ist wirklich unser zentrales Problem. Dann könnte man – die Vorarbeit ist ja längst gemacht – Schlag auf Schlag Gesetze erlassen, Förderungen auszahlen, Steuern erheben. Das wäre nicht das Problem. Das Problem ist, dass man eine Regierung bekommt, die das auch will – und natürlich muss sie sich auch darum bemühen, die Bevölkerung mitzunehmen.

"Das eigentliche Problem ist, wie kriegt man die Leute an die Spitze, die eine Vision für die Klimapolitik haben?"

STANDARD: Wie kann die Politik die Bürgerinnen und Bürger gezielter ansprechen?

Kromp-Kolb: Der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger ist ein gutes Beispiel. Dort war die österreichische Bevölkerung durchaus gut repräsentiert, und man kam innerhalb von sechs Wochen, mit Schulungen und Informationen zum Klimawandel, zu insgesamt 100 Maßnahmen, die durchaus sinnvoll sind – und das zum Großteil einstimmig. Das heißt, mit relativ wenig Zeitaufwand kann man der Bevölkerung verständlich machen, warum was nötig ist. Das eigentliche Problem ist, wie kriegt man die Leute an die Spitze, die auch diese Vision haben?

STANDARD: Und die sehen Sie bei der momentanen Regierung nicht?

Kromp-Kolb: Zumindest ein Teil der Regierung hat sie nicht, der andere hätte sie schon, wenn auch vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie ich das im Buch beschreibe. Die ÖVP hat sie eindeutig nicht, wenngleich ich nicht ausschließen möchte, dass auch innerhalb der Partei Veränderung stattfinden kann. Zumal sie in den letzten Monaten – eigentlich sogar Jahren – nicht wirklich ein inhaltliches Programm vertreten hat. Und das heißt, es kann auch irgendwo anders hinschwenken. Zum Zeitpunkt, als die Regierungsabkommen abgeschlossen wurden, habe ich mir gedacht, das Klimaziel kann natürlich nur Schein sein; es kann aber auch sein, dass der damalige Kanzler Kurz auf europäischer Ebene wirklich Vorreiter werden und sich als "Klimakanzler" profilieren will. Das wäre meines Erachtens durchaus drin gewesen.

Helga Kromp-Kolb beim STANDARD-Zukunftsgespräch neben Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
Die bald 75-jährige Klimaforscherin klärt seit Jahrzehnten über die Klimakrise auf, wie hier im Bild etwa an der Seite von Wifo-Chef Gabriel Felbermayr beim Zukunftsgespräch des STANDARD im Juli.
Regine Hendrich

STANDARD: Der jetzige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kommt in Ihrem Buch nicht besonders gut weg. Mit ihm habe die Klimaignoranz ein neues Niveau erreicht. Können Sie das konkretisieren?

Kromp-Kolb: Es geht einfach darum, dass er in letzter Zeit Sachen gesagt hat und sich dabei auf ein Buch ("Apocalypse Never" von Michael Shellenberger, Anm.) eines Klimawandelleugners stützt, von dem man weiß, dass es falsche und veraltete Informationen enthält. Das finde ich schon sehr problematisch. Einen Kanzler kostet es einen Anruf, und er hat alle Experten an der Hand, die er will. Da könnte er zumindest fragen, was von dem Buch zu halten ist. Das wäre überhaupt kein Problem gewesen. Aber dieses Gar-nicht-wissen-Wollen, sondern sich nur das heraussuchen, von dem man glaubt, dass es einem Stimmen bringt, das halte ich für ignorant angesichts der Bedeutung des Problems.

"Ich bin eine starke Verfechterin der Idee, die Klimaproblematik auf einer Allparteienebene zu lösen."

STANDARD: Bleiben wir bei der Regierung. Noch immer gibt es kein Klimaschutzgesetz, vom Totalausstieg aus fossilen Heizsystemen ist man inzwischen abgegangen. Andere Vorhaben wie das Energieeffizienzgesetz werden in abgeschwächter Form durchgeboxt. Was ist besser: ein mangelhaftes Gesetz oder das Warten auf ein besseres?

Kromp-Kolb: Das Warten erscheint mir momentan nicht besonders aussichtsreich. Es ist ja nicht so, dass die Wähleranalysen so aussehen, als käme demnächst eine Regierung zustande, die mehr aufs Klima schaut. Daher ist Warten keine Option, insofern ist ein schlechtes Gesetz besser als gar keines. Generell bin ich aber eine ganz starke Verfechterin der Idee, die Klimaproblematik auf einer Allparteienebene zu lösen. Wir können uns nicht leisten, dass die eine Regierung in die Richtung geht und die nächste in eine andere. Wir müssten – so ähnlich wie in der Nuklearpolitik – eine parteienübergreifende Einigung auf ein paar wichtige Eckpunkte erreichen.

STANDARD: Sie wollen die Opposition stärker mit einbinden?

Kromp-Kolb: Ja, viel stärker. Es ist ja nicht so, dass sich die SPÖ gegen den Klimaschutz wehrt; ihnen fehlt oft einfach ein sozialer Aspekt. Für die Neos gilt das ebenso, für die Grünen sowieso. Es geht eigentlich um die anderen zwei. Und da kann man sehen, dass die FPÖ in der vorigen Legislaturperiode auf EU-Ebene bei etwa einem Drittel der klimarelevanten Gesetze dafür gestimmt hat. Das ist jetzt nicht großartig, aber immerhin eine Basis, auf der man gewisse Eckpunkte aufbauen könnte.

STANDARD: Würde diese parteienübergreifende Idee klimarelevante Gesetze nicht noch weiter hinauszögern?

Kromp-Kolb: Ich glaube, wenn man eine Aussicht auf Konsens hat, dann sind die, sagen wir, paar Monate, gut investiert, wenn es nachher außer Streit steht. Deswegen glaube ich, dass es schon wert ist, zu schauen, wo eine Einigung möglich ist. Möglicherweise wird die Einigung dann erleichtert, wenn die Klimaereignisse so dominant werden, dass der Druck groß ist. Ich sehe auch die Bevölkerung weiter in der Pflicht. Sie muss durch ihr Verhalten, nicht nur über das Wahlverhalten, zeigen, dass sie Klimaschutz möchte.

STANDARD: Welche Rolle spielen dabei Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten wie jene von Fridays for Future oder die von der vielkritisierten Letzten Generation?

Kromp-Kolb: Die genügen natürlich nicht, es muss schon die breite Bevölkerung sein. Aber wir brauchen die Vorreiter, sonst passiert nichts. Letztlich benötigen wir eine breite Unterstützung, wobei – und das sagen die Soziologen – 15 Prozent der Bevölkerung schon ausreichen können. Wenn sich die für den Klimaschutz einsetzen, geht der notwendige Rest mit. Dann verändert sich die gesellschaftliche Haltung. Wenn man die Menschen auf die Straßen bringt, ist die Sogwirkung noch stärker. Da reichen drei bis fünf Prozent.

"Unsere Rolle als Österreich im großen Konzert der Länder ist, ein Vorbild zu sein."

STANDARD: Ein häufiger Einwand ist, dass Österreich nur ein kleiner Fleck im Weltgeschehen ist, insofern ohnehin nicht viel ausrichten kann. Etwa: Wieso sollte ich in Österreich auf etwas verzichten, wenn in China deutlich mehr emittiert wird?

Kromp-Kolb: Ich glaube nicht, dass es um Verzicht geht – es handelt sich um Gewohnheitsänderungen. Und selbst wenn dem so wäre: Unsere Aufgabe liegt nicht so sehr darin, dass wir unsere 0,2 Prozent Treibhausgasemissionen reduzieren, weil das den Klimawandel stark einbremst – tut es natürlich nicht. Sondern weil wir dadurch, dass wir etwas tun, zeigen, dass es geht. Zeigen, dass ein reiches Land, ohne zu kollabieren, in dem es den Bürgerinnen und Bürgern nach wie vor gut geht, wo die Lebensqualität sogar steigt, es schaffen kann, ohne fossile Energien auszukommen. Unsere Rolle als Österreich im großen Konzert der Länder ist, ein Vorbild zu sein.

STANDARD: Die Uno hat kürzlich einen neuen Klimagipfel ins Leben gerufen, bei dem "engagierte Staaten" zusammenarbeiten sollen. Braucht es Formate wie dieses?

Kromp-Kolb: Die großen Conferences of the Parties (COP) sind sehr behäbige Schiffe, die sich nur langsam bewegen. Insofern braucht es auch Alternativen. Ob das jetzt diese Gipfel sind, weiß ich nicht. Ich würde meine Hoffnung eher in kleine Gruppen von Staaten setzen, die zusammenarbeiten; aber auch in Interaktionen zwischen Staat und Wirtschaft und besonders Finanzwirtschaft.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel dafür?

Kromp-Kolb: Es gibt immer mehr Investoren, die ihr Geld nicht mehr in Fossile anlegen wollen, weil sie sich fragen, wie lange das noch gutgeht. Es gibt so vieles, wo man es alternativ anlegen könnte, zum Beispiel in Erneuerbare in Asien oder Afrika. Das Problem ist, dass diesen Ländern vorgeworfen wird, korrupt und politisch nicht besonders stabil zu sein. Man weiß einfach nicht, ob das Geld dort wirklich sicher ist. In den Fällen könnten die Staaten des Globalen Nordens Garantien übernehmen, um das Risiko für Investoren zu verringern. Je mehr investiert wird, je näher man der Transformation in diesen Staaten kommt, umso leichter ist es schlussendlich auch, die Korruption zurückzudrängen – und dass sich stabile Regierungen durchsetzen.

STANDARD: Das heißt, da geht es um möglichst realwirtschaftliche Investitionen, die selbstverstärkende Prozesse in den Ländern des Globalen Südens vorantreiben?

Kromp-Kolb: Richtig. Das wäre etwas, das man mit Verträgen und Gesetzen regeln kann. Es würde zugleich die ungesunde "reine Finanzwirtschaft" zurückdrängen, und das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. (Nicolas Dworak, 29.10.2023)