Im Vordergrund ein Krater auf einem Parkplatz, dahinter beschädigte Gebäude
Das al-Ahli-Spital in Gaza-Stadt am Tag nach der Explosion.
EPA/MOHAMMED SABER

Als es am Dienstag, Ortszeit 18.59 Uhr, bei der al-Ahli-Klinik in Gaza zu einer Explosion kam, dauerte es nicht lange, bis die Information um die Welt ging. Genau genommen gab es gar keine Verzögerung: Ein Livestream der arabischen Version von al-Jazeera nahm den orangen Feuerball in Echtzeit auf, der sich im dichtbewohnten Gebiet ausbreitete. Kurz darauf wurde durch einen Tweet des in Jerusalem ansässigen Betreibers, eines Vertreters der anglikanischen Kirche, klar, dass die Explosion auch ein Spital betroffen hatte. Wenig später meldete die Hamas "hunderte Tote" – und beschuldigte Israel. Dort wurde zunächst nur mitgeteilt, man prüfe die Meldungen. Erst eine Stunde später folgten ein Dementi und die Beschuldigung der Terrorgruppe "Islamischer Jihad". Am folgenden Tag verdichteten sich Hinweise darauf, dass die tatsächlichen Totenzahlen deutlich niedriger gelegen haben dürften – und darauf, dass es sich nicht um Beschuss durch Israel gehandelt hat. Eine abschließende Bestätigung stand noch aus. Ob und wann es sie geben kann, ist offen.

Für Medien ist eine solche Situation ein Härtetest: In Livetickern werden Informationen eingefordert, bei Printprodukten drängen Deadlines. Auch die mögliche Lösung, nicht verfrüht zu berichten, wird nicht nur als mangelnde Information, sondern oft als Parteinahme aufgefasst. Kritik lässt in der Folge selten auf sich warten. So auch am Mittwoch, als DER STANDARD in seiner gedruckten Ausgabe von einem "israelischen Luftangriff" sprach – aber gleich im nächsten Satz die Hamas als Quelle nannte, und auch hinzufügte, dass von Israels Armee eine Prüfung des Sachverhalts angekündigt worden sei. Das entsprach zum Zeitpunkt der Deadline dem Wissensstand, ein Dementi gab es noch nicht. Es ist dennoch Grund genug zu fragen: Wie also geht DER STANDARD in solchen Lagen – idealerweise – um?

Livebericht und Krieg

Aktuell berichtet DER STANDARD in zwei Liveberichten parallel über zwei Konflikte: einmal über den Krieg Russlands gegen die Ukraine, einmal über den Krieg zwischen Israel und der Terrorgruppe Hamas. In einem Livebericht treffen die Herausforderungen der Kriegsberichterstattung auf die hohe Geschwindigkeit, die das Format verlangt. Redakteurinnen und Redakteure wägen darum täglich zwei gewichtige Grundsätze ab: Wir möchten unsere Leserinnen und Leser so zeitnah wie möglich über die Geschehnisse in der Ukraine und im Nahen Osten informieren.

Dabei stützen wir uns auf Nachrichtenagenturen wie Reuters oder die APA, die Reporterinnen und Reporter vor Ort haben, und unsere eigenen Korrespondentinnen und Korrespondenten. Zusätzlich beobachten wir die Statements offizieller Stellen. Das können politische Institutionen wie etwa das Verteidigungsministerium oder der Armeesprecher eines Landes sein, aber auch Behörden wie der Katastrophenschutz oder Rettungsdienste. Wichtig ist dabei, stets die Quelle zu nennen, und auch, um welche Art von Akteur es sich handelt. Eine weitere wichtige Quelle können Hilfsorganisationen oder Büros zwischenstaatlicher Zusammenschlüsse wie der UN sein. Erreicht uns eine Nachricht abseits dieser vertrauenswürdigen Kanäle, warten wir im Zweifel stets zu, bis wir sie verifizieren können.

Einordnung und Analyse

Denn bei Breaking News erreicht uns die Nachricht, dass etwas passiert ist, deutlich früher als das Wie und Weshalb des Vorfalls. Es braucht Zeit, bis sich der Kontext herauskristallisiert und eine seriöse, gesicherte Einordnung möglich ist. Diese zeitliche Lücke überbrücken wir in unserer Liveberichterstattung mit Transparenz. Wir schildern aus, was wir mit Sicherheit wissen und was noch unklar ist. Wir legen offen, wer die Quelle der Information ist, ob nun Nachrichtenagentur oder Offizielle einer Kriegspartei. In letzterem Fall handelt es sich nicht um Parteinahme der Redaktion, sondern um ein Zitat unter Angabe seiner Quelle. Offizielle Stellungnahmen jeder Seite werden geteilt, sobald sie über gesicherte Kanäle bei uns eintreffen. Dass offizielle Seiten etwas kommunizieren, heißt aber freilich auch nicht, dass die Mitteilungen stimmen. Sind Informationen dennoch so wichtig, dass man sie nennen muss, aber zugleich nicht überprüfbar, wird dieses Faktum angemerkt.

Mehr Zeit bleibt für den zweiten Schritt. So bald wie möglich – aber nicht früher – liefert DER STANDARD Berichte zum Geschehen. Dafür nutzen wir auch unser Netzwerk an Korrespondentinnen und Korrespondenten vor Ort. Informationen werden noch einmal überprüft, Berichte – wenn nötig – umfangreichen Faktenchecks unterzogen. Einordnungen und Analysen beantworten dann, wenn die Fakten feststehen, was diese für Region und Krieg zu bedeuten haben. (Ricarda Opis, Manuel Escher, 20.10.2023)