Der Dramatiker Joshua Sobol spricht über Israels Zukunft.
Der Dramatiker Joshua Sobol spricht über Israels Zukunft.
imago images/Eventpress

Wie auch immer der aktuelle Konflikt zwischen Israel und der Terrormiliz Hamas im Gazastreifen ausgehen wird, danach werden die Karten politisch neu gemischt sein. Daran glaubt der israelische Dramatiker Joshua Sobol.

STANDARD: Knapp zwei Wochen nach dem überraschenden Terrorangriff der Hamas auf Israel – können Sie sich erklären, warum Staat und Militär versagt haben?

Sobol: Es hat mit den Regierungen unter Premierminister Benjamin Netanjahu zu tun. Seit dem Jahr 2009 hat Netanjahu eine Politik der Akzeptanz der Diktatur der Hamas im Gazastreifen etabliert. Netanjahu formulierte diese Politik in einem berühmten Satz. Er sagte sinngemäß, wer einen eigenen Palästinenserstaat verhindern möchte, muss die Herrschaft der Hamas in Gaza in Kauf nehmen. Deshalb muss Netanjahu die Konsequenzen ziehen, er trägt die Schuld für dieses Versagen.

STANDARD: Ist das die schlimmste Krise, die Israel seit seiner Gründung erlebt hat? Ärger als der Jom-Kippur-Krieg?

Sobol: Das lässt sich nicht vergleichen. Was wir von der Hamas am 7. Oktober gesehen haben, war etwas völlig anderes als der Krieg vor mehr als 50 Jahren. Die Hamas hat uns mit diesen bestialischen Morden an Frauen, Kindern und Babys einen Vorgeschmack darauf geben wollen, was sie mit den Juden vorhat: die Auslöschung.

STANDARD: Israel wurde gegründet, um Juden eine sichere Heimat zu bieten. Wie sehr ist das Vertrauen der Bevölkerung nach dieser Attacke jetzt erschüttert?

Sobol: Das Vertrauen in die Armee ist wieder zurück, das Militär hat schnell die Kontrolle wiedererlangt. Das Gegenteil ist bei der Regierung der Fall. Die Zivilgesellschaft musste sich in den ersten Tagen nach den Anschlägen neu organisieren, um die Inkompetenz der Regierung auszugleichen. Es ist eine Ironie des Schicksals, aber es waren genau jene Protestorganisationen, die gegen die Regierung Netanjahu die vergangenen Monate auf die Straße gegangen sind, die unter den ersten waren, die Hilfe für die von den Terrorattentaten im Süden betroffenen Menschen organisiert haben.

STANDARD: Wird Israel in Gaza mit Bodentruppen einmarschieren, oder lässt sich das noch verhindern?

Sobol: Ich glaube Nein, das Ziel des Krieges ist die Hamas zu vernichten. Die Kunst wird sein, den Krieg so zu führen, dass er so wenige zivile Opfer wie möglich fordert, da sonst die Proteste weltweit immer lauter werden und die Ausweitung des Krieges vielleicht nicht zu verhindern sein wird.

STANDARD: Was muss nach dem Konflikt oder einem etwaigen Waffenstillstand passieren?

Sobol: Wir müssen Gaza und seinen Bewohnern beim Wiederaufbau helfen und alles daransetzen, dass es Teil eines palästinensischen Staates werden kann, mit einem Machtwechsel weg von der Hamas. Netanjahus Palästinenserpolitik ist eine Bankrotterklärung. Wir können nicht zwei Völker in einem Staat sein und weitermachen wie bisher, das ist doch der Grund für diesen Krieg. Und wenn wir uns die palästinensischen Autonomiebehörden im Osten ansehen, muss man sagen, dass das funktioniert, die Lage ist dort bis jetzt ruhig geblieben.

STANDARD: Aber warum soll ein dauerhafter Frieden gerade nach diesem Krieg möglich sein?

Sobol: Der Schock nach diesen barbarischen Anschlägen sitzt zu tief in der israelischen Gesellschaft. Wir müssen also verhandeln, um etwas zu verändern. Das Land war bis jetzt gespalten, die eine Hälfte war für, die andere Hälfte gegen einen eigenen Palästinenserstaat, das wird sich meiner Ansicht nach jetzt drehen.

STANDARD:Vor dem Anschlag war Israel ein tief gespaltenes Land, vor allem durch die Regierung Netanjahus mit der extremen Rechten. Wird sich das politische Klima in Israel nach diesen Attentaten noch weiter verschärfen, oder kommt es zu einer Neuaufstellung der politischen Landschaft?

Sobol: Ich glaube, Letzteres. Es wird nach dem Krieg sehr rasch Neuwahlen geben müssen, und die politische Lage wird sich komplett verändern. Was ich jetzt schon sehe, ist, dass sich die unterschiedlichen Gesellschaftsgruppierungen wieder annähern und sich untereinander solidarisch zeigen und wieder an eine Einheit glauben. Das gibt mir für die Zeit nach dem Krieg wieder große Hoffnung. (Stefan Kaltenbrunner, 19.10.2023)