Die erste wichtige Prozessetappe in New York ist vorbei, und für Sam Bankman-Fried wird es auf der Anklagebank immer unbequemer. Mit jedem Verhandlungstag mehren sich die Details, wie der Gründer der kollabierten Kryptobörse FTX gefuhrwerkt haben dürfte – sein vormaliges Image als "einer von den Guten" ist sowieso passé, die neuen Einblicke machen die Situation für ihn aber wohl noch schwieriger. Zudem belasten ihn die einst engsten Vertrauten schwer.

Diese Woche bekamen die Geschworenen Einsicht in Chatnachrichten, die Bankman-Fried an unterschiedliche Journalisten verschickt hatte. Darin beschwerte er sich etwa kurz nach dem Crash von FTX, dass die Behörden alles viel schlimmer machten, als es sei. Relativ zeitgleich soll Bankman-Fried den ehemaligen Anwalt von FTX, Can Sun, gebeten haben, "rechtliche Begründungen" zu finden, warum ein paar Tage vor der Insolvenz sieben Milliarden Dollar an Kundengeldern fehlten. Das sagte Sun am Donnerstag aus. In einer anderen Chatnachricht zog der FTX-Gründer massiv über den Chef der US-Börsenaufsicht SEC, Gary Gensler, her. Sowohl Gensler als auch die amerikanischen Gesetzgeber seien dumm und würden die Branche an die SEC verschenken.

Dem ehemaligen Starunternehmer werden Betrug, Diebstahl, Veruntreuung, Geldwäsche, Verschwörung und illegale Wahlkampffinanzierung vorgeworfen. Es geht um neun Milliarden Dollar an Kundengeldern, die er verzockt haben soll. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm 115 Jahre Gefängnis.

Ein gezeichnetes Bild von Sam Bankman-Fried im Gerichtssaal in New York.
Den Anklägern zufolge verschob Bankman-Fried heimlich Milliarden, um damit zu spekulieren und seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Er hat alle Betrugsvorwürfe mehrfach zurückgewiesen und auf nicht schuldig plädiert.
REUTERS/JANE ROSENBERG

Viel Druck von Kronzeugen

Ebenfalls diese Woche war der dritte Kronzeuge dran, der frühere Chefingenieur Nishad Singh. Er sprach von einem "riesigen Loch" in den Finanzen und von Ausgaben von mehreren hundert Millionen Dollar für Partnerschaften mit Prominenten. Singh habe diese Deals als peinlich und beschämend empfunden, weil sie "nach Übermaß und Angeberei stanken". Die Staatsanwaltschaft untermauerte die Aussagen mit FTX-Sponsoringverträgen mit einem Gesamtwert von 1,1 Milliarden Dollar. Darunter waren solche mit dem Footballstar Tom Brady, dem Model Gisele Bündchen und Komiker Larry David. Sie präsentierte zudem Fotos von Bankman-Fried mit der Sängerin Katy Perry und dem Schauspieler Orlando Bloom beim Super Bowl 2022. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass SBF (das Kürzel, unter dem er stets auftrat) Kundengelder verprasste, um Bewunderung einzuheimsen.

Singh ist nicht der erste SBF-Weggefährte, der ihn vor Gericht schwer belastet. Studienkollege und FTX-Technikchef Gary Wang sagte aus, er habe unter anderem Software manipulieren müssen, um Bankman-Frieds Hedgefonds Alameda Research unüblich hohe Kreditlinien zu ermöglichen. Caroline Ellison wandte sich ebenfalls gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten. Sie leitete Alameda und hatte in einem tränenreichen Auftritt unter anderem ausgesagt, SBF habe sie dazu gedrängt, Kreditgebern eine irreführende Alameda-Bilanz vorzulegen. Zehn Milliarden Dollar sollen zudem von Kunden "ausgeliehen" worden sein, um Schulden zu begleichen und persönliche Projekte zu finanzieren. Alameda spielt in dem ganzen Fiasko eine zentrale Rolle (siehe Infokasten).

Caroline Ellison auf einem gezeichneten Bild im Gerichtssaal, während sie sich schnäuzt.
Caroline Ellison soll von SBF dazu gedrängt worden sein, irreführende Bilanzen vorzulegen. Sie sagte unter Tränen aus. Der Zusammenbruch von FTX sei für sie eine Erleichterung gewesen wegen all der Lügen.
REUTERS/JANE ROSENBERG

Eigene Lebensauffassung

Sie lieferte zudem eine pikante Beschreibung des 31-Jährigen, bezeichnete ihn als jemanden, der nach seinen eigenen Gesetzen lebe. Er sehe sich als "Utilitaristen", der danach strebe, das größtmögliche Gute für die größte Anzahl von Menschen zu tun. "Er war nicht der Meinung, dass Regeln wie 'Du sollst nicht lügen' oder 'Du sollst nicht stehlen' in diesen Rahmen passen."

SBF und seine Anwälte sehen all das völlig anders. Man gesteht Fehler ein, Betrugsabsichten oder Ähnliches habe es aber nie gegeben. Bankman-Fried plädiert auf unschuldig. Mit welcher Verteidigungsstrategie konkret seine Unschuld bewiesen werden soll, ist aber nach wie vor nicht wirklich ersichtlich.

Wie konnte all das passieren?

Im November 2022 brach das FTX-Kartenhaus innerhalb weniger Tage zusammen. Auf der ganzen Welt fragt man sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte. DER STANDARD hat nachgefragt. "Vorhersehbar war dieser Zusammenbruch nicht", sagt Kryptosteuer-Expertin Natalie Enzinger von crypto-tax.at. "FTX war nicht verpflichtet, Jahresabschlüsse zu veröffentlichen, es gab demnach keine Möglichkeit, diese Unregelmäßigkeiten zu bemerken." Das hänge unter anderem damit zusammen, dass klare gesetzliche Regelungen in den USA und auf den Bahamas hinsichtlich der Darstellung von Kryptowährungen in Jahresabschlüssen fehlen.

Sie versteht allerdings nicht, wie und warum sich Wirtschaftsprüfer so sehr haben blenden lassen. Da sei vermutlich etwas faul. "Dass Kundengelder von FTX zu Alameda verschoben werden, ist ein absolutes No-Go. Das darf nicht sein, das deutet sehr stark auf betrügerisches Verhalten hin." Zudem habe das interne Controlling und Rechnungswesen völlig versagt. FTX habe dafür Softwarelösungen benutzt, die für Kleinunternehmen gedacht sind, aber nicht für Milliardenkonzerne.

Neue Verordnung

Alfred Taudes, Experte für Kryptowährungen und Professor an der WU Wien, sieht "das Grundübel" im Hedgefonds Alameda Research. Und auch er nennt die mangelnde Regulierung einen der zentralen Punkte: "Dass Bankman-Fried die FTX-Gelder missbräuchlich verwendet, war möglich, weil der ganze Bereich nicht reguliert war, und wohl auch, weil ihn seine Eltern – zwei Jus-Professoren an der renommierten Stanford-Universität – beraten haben, wie man ein Firmengeflecht zum eigenen Vorteil gestaltet", sagt Taudes. Hätten Kunden ihre Vermögen gleich nach Erwerb auf ihre Wallet transferiert, hätte SBF darauf keinen Zugriff gehabt. "Unregulierte zentralisierte Exchanges sind inhärent riskant." Der Schaden hätte sich mindern lassen, wenn es bei FTX regelmäßige Audits des Vermögens gegeben hätte oder eine behördliche Aufsicht, wie sie jetzt in Europa mit Micar vorgesehen ist.

Joseph Bankman and Barbara Fried kommen zum Gericht in New York.
WU-Professor Alfred Taudes übt scharfe Kritik an Joseph Bankman and Barbara Fried, den Eltern des FTX-Gründers.
REUTERS/BRENDAN MCDERMID

Die heuer beschlossene Micar-Verordnung der EU (Markets in Crypto Assets) verpflichtet Ausgeber von Kryptowerten, den Kunden detaillierte Informationen zu übermitteln, und verbietet Insiderhandel und Marktmissbrauch. Das Gesetz soll ab 2024 eine neue Grundlage schaffen, um die Geldflüsse von Krypto-Assets transparenter zu machen und die Einhaltung konkreter Rechtsvorschriften zu verbessern. Zudem können die Anbieter bei massiven Verlusten unter bestimmten Bedingungen haftbar gemacht werden. (Andreas Danzer, 20.10.2023)