Scorsese De Niro Osage-Volk Erdöl True Crime
Erörtern die Profite, die sie auf Kosten der amerikanischen Ureinwohner machen werden: Robert De Niro (li.) und Leonardo DiCaprio, zwei langjährige Lieblingsschauspieler von Meisterregisseur Martin Scorsese.
Courtesy of Apple

Luxus und Überfluss scheinen völlig unverhältnismäßig über das Volk der Osage hereingebrochen. Das ihnen zugewiesene Stück Land ist wertlos: bis plötzlich schmutziges Erdöl durch die Grasnarbe heraufsickert. Fortan gibt es kein Halten mehr in Nordost-Oklahoma. Würdige Stammesmitglieder lassen sich in wackelnden Buicks durch die Prärie chauffieren. Manche von ihnen trinken edle Tropfen, bis sie mit Schaum vorm Mund tot zusammenbrechen.

Ausgerechnet die indigene Bevölkerung sitzt am vermeintlich längeren Hebel. Ihre Mitglieder besitzen die kostbaren Bodenrechte. Mit einem Mal stehen nicht nur die Besitzverhältnisse in den "Roaring Twenties" Kopf. Und Meisterregisseur Martin Scorsese kostet den Perspektivenwechsel genüsslich aus. Sein Filmepos Killers of the Flower Moon erzählt die Geschichte der US-Moderne gewaltig anders, als kolossale Intrige mit Todesfolgen. Die Erdölprofiteure von heute, 1921, sind die Mordopfer von morgen.

Alles das, wofür Scorsese dreieinhalb Stunden Erzählzeit aufwendet, ist geschichtlich verbürgt. Der Viehhändler Hale (Robert De Niro) gebärdet sich als Philanthrop und sprachkundiger Freund der Ureinwohner. Sein Neffe Ernest (Leonardo DiCaprio) ist Kriegsheimkehrer – und möchte sich im County als Kraftwagenfahrer unentbehrlich machen.

Prompt freit der nicht sonderlich reflektierte Beau die schöne Osage-Frau Mollie. Darstellerin Lily Gladstone bildet das geheimnisvolle Zentrum: ein schweigsames Medium, durch das alle Bruch- und Verbindungslinien hindurchlaufen. Ohne dass man als Zuschauer lange zögern müsste, um die Schuldigen am Tod ihrer Angehörigen zu benennen: weiße Mordbrenner, Dynamitschleuderer, Heiratsschwindler.

Ungreifbarer Schrecken

Mollie hat mehrere Schwestern. Osage-Frauen sterben mit 50, die meisten von ihnen leiden an Diabetes. Ihrer Mortalität wird meist gewaltsam nachgeholfen. Ein ungreifbarer Schrecken obwaltet in den nussbraunen Provinzblockhäusern. Und während die Stammesangehörigen zu den Festen eklektische Uniformen tragen, durchmisst der ehrenwerte Hale im Sonntagsanzug die Reihen der Tanzenden. Im Kopf überschlägt er die Profite, die er auf ihre Kosten erzielen wird. Das De-Niro-Lächeln gefriert in solchen magischen Augenblicken zur höhnischen Maske: hart am Rande der Selbstparodie.

Den von Mord und Totschlag heimgesuchten Osage-Frauen erscheint in der Minute ihres Ablebens eine waschechte Eule. Es ist alles andere als zufällig, dass Mollie, die eine falsche Insulin-Medikation nur knapp überlebt, im Fieberdelirium von der Erscheinung De Niros geplagt wird ("Bist du real?"). Es ist einer der raren Momente, in denen Scorsese eine Überblendung beider Kulturen gelingt. Die magisch-animistischen Anteile verschmelzen mit der rein zweckhaften Heuchelei derer, die sich Boden und Ressourcen unter den Nagel reißen.

Viel öfter erliegt Killers of the Flower Moon dem Reiz der eigenen Monumentalität. 200 Millionen Dollar hat Scorsese für die Rekonstruktion von Amerikas Moderne verbraten. Das Bündnis mit Apple TV+ war notwendig, um dieses Pendant zu einem Steinbeck-Roman angemessen orchestrieren zu können – echt nur mit Robbie-Robertson-Score, im Herzschlag der besten Musik.

Stupider Neffe

Man wird sehen, wie rasch der Film ins Streaming-Angebot hinüberwandert. Es sind bizarre Abschweifungen, die die Mammuterzählung vom endlosen Martyrium der US-Ureinwohner spannend gestalten. So De Niros Auftritt als Freimaurer, der dem stupiden Neffen (DiCaprio) im Tempel ausgerechnet mit dem Instrument eines Hammerführenden den Hintern hochnotpeinlich versohlt. Worin der Konflikt in Wahrheit besteht, bleibt unerörtert: Womöglich gebärdet sich Rassismus gerade dort am wirkungsvollsten, wo er sich als Wohltäter maskiert. Irgendwann schwätzt der Viehbaron daher, dass er die Indianer selbstverständlich liebe – nur würde ihr Dasein mit jeder weiteren Erdumdrehung überflüssiger.

Die True-Crime-Geschichte wird unerbittlich zu Ende erzählt. FBI-Agent Tom White (Jesse Plemons) bringt die weiße Bagage nacheinander hinter Gitter: Ausflüge in den Gerichtssaal bescheren Kurzauftritte von Brendan Fraser und John Lithgow. Es sind ein paar verschwommene Einstellungen, die die visuelle Überzeugungskraft von Terrence Malicks Days of Heaven (1978) besitzen, ein rituelles Herumirren indigener Gestalten, preisgegeben der Gewalt einer Flammenwand.

Überall dort, wo die Lösung des Kriminalfalles nicht von vornherein feststeht, behält der Bilderbogen recht. Rodrigo Prietos Kamera fährt dann wie zufällig über die Gesichter der Glücksritter, die, von Entbehrungen gezeichnet, ihre Gier nach grenzenloser Bereicherung zu befriedigen wünschen.

Unternehmerischer Geist scheint in den Physiognomien auf. Er bildet das Unterpfand für jedes Tätigwerden – und ist von der Befähigung zu rassistischer Gewalt in nichts zu unterscheiden. Im Erweis dieses Dilemmas liegt die Kraft dieses viel zu selbstverliebten Films. (Ronald Pohl, 20.10.2023)