Viggo Mortensen spielt in
Viggo Mortensen spielt in "Eureka" einen Paradecowboy.
Viennale

Ein Revolverheld kommt in eine kleine Stadt, wo er bereits erwartet wird. Er möchte Rache üben und seine angeblich entführte Tochter zurückholen. Der Film, als der sich Eureka von Lisandro Alonso zunächst vorstellt und der in schönen, weichen Schwarz-Weiß-Bildern und im 4:3 Format gedreht ist, hat alles zu bieten, was in einem archetypischen Western nicht fehlen darf: Cowboys in zerschlissener Kleidung, eine entfesselte Saloon-Party, Gesaufe und Gefiedel und treffsicher zum Einsatz gebrachte Pistolenkugeln.

Alles ist ein wenig "over the top", mehr Western-Pastiche als klassisches Genre. Auch eine charismatische Colt-Lady hat ihren Auftritt – außerdem ein Klischee-Indianer, der in einer geradezu postkartenhaften Einstellung auf einem Felsen steht, trommelt und singt. Nach einem harten Schnitt flimmert der Western, in dem unter anderem Viggo Mortensen und Chiara Mastroianni zu sehen sind, über einen Fernsehbildschirm. Unbeachtet wird er vom Wetterbericht in South Dakota abgelöst. Die Temperaturen sind auf minus 19 Grad gesunken.

Genre-Spielereien

Die Filme des argentinischen Auteurs Lisandro Alonso sind bekannt für Entschleunigung und Reduktion und ihre vielfältige, teils sehr freie Bezugnahme auf historische Realitäten wie auch auf die Kino- und Mythengeschichte. Eureka ist ein Triptychon aus lose miteinander verwobenen Geschichten über Existenzweisen und Repräsentationsformen indigenen Lebens.

Eureka Trailer
Film at Lincoln Center

Ausgestaltet sind sie in einer jeweils anderen (dabei generisch unreinen) Filmsprache. Auf den Western folgt ein hypnotisches Sozialdrama oder auch ein Cop-Film im Pine-Ridge-Reservat der Gegenwart, der fließend – oder vielmehr fliegend – in eine im brasilianischen Urwald der 1970er-Jahre spielende mythische Erzählung übergeht. Ein Vogel, der von Film zu Film wandert, fungiert als reinkarnative Instanz.

Das Herz von Eureka schlägt im mittleren und längsten Teil, in ihm zeigen sich die Zerstörungen durch gewaltsame Landnahme, Rassismus und Entwurzelung in stiller Verzweiflung. Der Film folgt der Polizistin Alaina durch einen Tag im ärmsten Landstrich der USA: dem Reservat der Lakota-Oglala. Im Schneegestöber kämpft sie sich allein in ihrem Land Rover von einer Alltagskatastrophe zur nächsten: verwahrloste, von Alkohol- und Drogenmissbrauch gezeichnete Haushalte, eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen einem schwangeren Teenager-Mädchen und seiner Mutter.

Magischer Trank

Ihre Nichte Sadie, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit Basketballspiel die Selbstmordgedanken junger Menschen zu verscheuchen, versucht währenddessen für eine mit ihrem Wagen liegen gebliebene Schauspielerin (wieder Mastroianni) einen Mechaniker zu organisieren. Sadie ist die verkörperte Hoffnung, tapfer und klar, aber als ihre Tante nach einem Vorfall in einem Kasino über Funk nicht mehr zu erreichen ist, gelangt sie ans Ende ihrer Kräfte.

Das Einsatzgebiet von Polizistin Alaina (Alaina Clifford) sind die verarmten Reservate.
Viennale

Ein magischer Trank ihres Großvaters verspricht, sie in eine andere Sphäre zu führen, in dieser scheinen die jahrhundertalten kulturellen Praktiken noch intakt. Eine Gemeinschaft im Dschungel teilt nächtliche Träume. Dann aber wird ein Mann zum Mörder – und Goldgräber. Namen und Motive zirkulieren, Gestalten wandeln. Am Ende sprechen die tröstenden Worte des Ältesten auch über die Transzendenz des Films: "You must always remember space, not time. Time is fiction, invented by men." (Esther Buss, 20.10.2023)