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Bei "La nuit Bengali" lernten sich Elisabeth Perceval und Nicolas Klotz kennen. Seither drehen sie gemeinsam.
Viennale

Auf der Insel Ouessant in der Keltischen See vor Westfrankreich hat Jean Epstein Ende der 1920er-Jahre den Film Finis Terrae gedreht. Ein Drama über Seetangfischer, im Mittelpunkt stehen vor allem die Natur, das Meer, die Elemente. Knapp hundert Jahre später machen Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval ihren Film über Ouessant. Er heißt Nouveau Monde und besteht zuerst einmal aus Landschaftsaufnahmen. Dazu kommt Diskurs: Kinderstimmen unterhalten sich darüber, ob Metalle bluten können, ein Dialog, der implizit gegen Extraktivismus geht.

Revolutionspoetiken

Grundsätzlicher sind Überlegungen über die Bilder, über deren Allgegenwart (es gibt mehr Bilder als Plastik in den Ozeanen), über Bilder im Krieg mit den Menschen. Ein "Deserteur" durchstreift die Insel und deklamiert aus den Notizen von Leonardo da Vinci. Besonders interessant ist ein Günther Anders "untergeschobener" Experimentalfilm Hiroshima est partout (das kannte man bisher nur als Text).

Nouveau Monde begibt sich auf die Spuren von Godard und Straub/ Huillet, vor allem aber steht er in der Tradition der Revolutionspoetiken von Klotz/Perceval selbst. Das Paar bewegt sich schon seit längerem filmessayistisch durch die Gegenwart und durch die Welt – die Viennale gibt nun mit einer ihrer Monografien dazu einen Überblick. Die Collagenform, die Godard bis zum Äußersten gebracht hat, ist auch ihre bevorzugte Weise, auf Themen wie Migration, Nord-Süd-Fragen, Umweltzerstörung einzugehen.

In Nous disons révolution (2021) lief alles zusammen, ein Globalfilm, der in einer Samba-Zeremonie in São Paulo gipfelt – eine Feier der Abschaffung der Sklaverei, die zugleich Gedenken und Auftrag ist.

Guerilla-Filmemachen

Man sieht an dieser paradigmatischen Szene, was Guerilla-Filmemachen heute sein kann – ein Eintauchen in eine Masse, wobei das Aufgezeichnete später in der Postproduktion noch einmal eine fantastische digitale Nuancierung erfährt. In den letzten Jahren gingen die Arbeiten von Klotz und Perceval zunehmend deutlicher in Richtung Installation, was sich 2021 auch in einer Schau mit Retrospektive im Centre Pompidou niederschlug.

Bei der Viennale gibt es nun die Gelegenheit, die Genese dieses Werks genauer zu erkunden. Am Beginn standen Spielfilme, die Nicolas Klotz noch als Regisseur signierte. Zentral ist sicher La question humaine (2007), in dem Mathieu Amalric einen Angestellten eines großen Konzerns spielt, der über Entlassungen entscheidet. In Form eines Thrillers legt Klotz (nach einem Drehbuch von Elisabeth Perceval und François Emmanuel) Analogien zwischen den Selektionsprozessen in der Shoah und im korporativen Kapitalismus frei.

Konventionelles Arthouse-Kino

In dem ältesten Film der Monografie bekommt man auch einen Hinweis auf den Beginn der Zusammenarbeit des Paars: In La nuit Bengali (1987) ist Elisabeth Perceval als Schauspielerin zu sehen, übrigens neben Hugh Grant. Grant spielt eine Figur, die dem rumänischen Religionswissenschafter Mircea Eliade nachempfunden ist, der in einem gleichnamigen Roman seine Liebe zu einer indischen Dichterin verschlüsselte.

Die bengalische Nacht ist noch weitgehend konventionelles Arthouse-Kino, ein Film auch auf der Suche nach dem genuin indischen Kino. In dem Maß, in dem Elisabeth Perceval sich dann in der Kunstpraxis ihres Mannes stärker einbrachte, wurde ihr gemeinsames Werk komplexer, fragmentarischer, radikaler. Den Widersprüchlichkeiten eines bei aller Heterogenität europäischen Fokus entkommen sie nicht, sie de-zentrieren sich aber nach Kräften. (Bert Rebhandl, 22.10.2023)