Erwin Leder als Psychokiller in Gerald Kargls neu restauriertem Film
Erwin Leder als Psychokiller in Gerald Kargls neu restauriertem Film "Angst" von 1983.
Filmarchiv Austria

Das Kino wurde schon immer von Außenseitern bevölkert. Doch es kommt darauf an, von wo aus sich die Kamera auf sie richtet: von oben herab oder aus der Nähe und auf Augenhöhe. Das Filmarchiv Austria widmet sich in seiner kleinen Viennale-Retrospektive "Keine Angst" einer Kinematografie der 1980er, die ein gutes Gefühl für die abseitigen und unangenehmen Figuren entwickelte.

Für solche etwa wie den "Unhold" im Thriller Angst, der den Namen der Reihe inspirierte. Gerald Kargls Film wird 40 Jahre nach seinem Erscheinen erstmals wieder im Kino zu sehen sein, in Anwesenheit des Regisseurs, frisch restauriert und ohne die Skandale und Aufführungsverbote, die ihn 1983 begleiteten.

Überraschend kompromisslos

Erwin Leder spielt darin einen entlassenen Mörder, der nicht anders kann, als gleich wieder zu morden. In dynamischen Bildern gefilmt und von "eisig-elektronischen Soundscapes" begleitet, lässt der Film den Mörder seine grausamen Taten in einem Voiceover kommentieren, das wie ein Echo auf Peter Lorres berühmten Monolog aus M – eine Stadt sucht einen Mörder erklingt. Ein überraschend kompromissloser Genrefilm aus Österreich, der nicht von ungefähr zu den Lieblingsfilmen von Gaspar Noé zählt.

Kitty Kino Filmarchiv Keine Angst
Kitty Kinos "Die Nachtmeerfahrt" beeindruckt mit visionärem Gender-Bending.
Filmarchiv Austria

Verspielter, wenn auch nicht weniger angriffig ist Kitty Kinos zweiter Spielfilm Die Nachtmeerfahrt. Darin wächst dem Model Lilly plötzlich ein Bart. Nach anfänglicher Scham entdeckt sie ihren Animus und lässt sich mit neuem Selbstbewusstsein durch die Wiener Nachtclubs treiben samt Auftritt von Joesi Prokopetz. Das visionäre Gender-Bending aus dem Jahre 1985 dient nicht als plumpe Komödienprämisse. Stattdessen erzählt Kitty Kino mit einer gehörigen Portion Camp vom Geschlechterverhältnis, das schon damals besser als Spektrum zu begreifen war.

Unheimlich aktuell

Die 1980er waren in mehrerlei Hinsicht eine spannende Umbruchszeit in Österreich. Einerseits gab es eine neue Filmförderung abseits des Fernsehens. Andererseits verdunkelte sich das politische Klima mit Neoliberalismus, Wirtschaftskrise und Waldheim-Affäre auch in Österreich ordentlich. Von den 15 Filmen der Reihe sind nur fünf während der Viennale zu sehen. Neben den beiden genannten noch Atemnot von Käthe Kratz nach einem Buch von Peter Turrini über die linke Jugendszene in Wien und die Unterweltsgeschichte Ich und Du von Dieter Berner mit Hansi Lang und Wolfgang Ambros vor der Kamera.

Die Erben Walter Bannert Filmarchiv Keine Angst
Unheimlich aktuell wirkt "Die Erben" von Walter Bannert: Ein Ausflug ins Neonazi-Milieu der 1980er.
Filmarchiv Austria

Fast schon unheimlich aktuell wirkt außerdem Die Erben von Walter Bannert, der 1983 von Drohungen gegen Filmemacher und Kinos begleitet wurde. Bannert recherchierte intensiv unter Jugendlichen und erzählt von zwei Burschen, die ins Neo-Nazi-Milieu geraten, samt Wehrsportübungen und Gewaltexzessen. Schonungslos zeigt der Film das Erstarken einer rechtsextremen Partei und aufkeimenden Antisemitismus im "neuen" Österreich. Die Parallelen zu damaligen – und heutigen – Polit-Protagonisten sind unübersehbar. Manchmal zeigt der Blick zurück in die Kinogeschichte eben auch ein Spiegelbild des Jetzt. (Marian Wilhelm, 24.10.2023)