Normalerweise postet Mariannette Miller-Meeks auf X (ehemals Twitter) über Gesundheitspolitik, Benzinpreise oder den Nationalen Bauerntag. Doch am Mittwoch offenbarte die republikanische Hinterbänklerin im US-Repräsentantenhaus eine schockierende Nachricht: "Seit meiner Stimmabgabe habe ich glaubhafte Todesdrohungen und eine Fülle von einschüchternden Anrufen erhalten", berichtete die Abgeordnete, setzte aber trotzig hinzu: "Ich werde vor Schlägertypen nicht einknicken."

US-Abgeordnete Jim Jordan und Patric McHenry sprechen an Pult
Der US-Abgeordnete Jordan (rechts) will einen dritten Anlauf starten und sich erneut zur Wahl als Speaker des Repräsentantenhauses stellen.
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Die gelernte Augenärztin gehört zu den vergleichsweise moderaten Republikanern in Washington. Bei der Abstimmung über den neuen Parlamentschef hatte sie am Dienstag im ersten Wahlgang trotzdem zunächst den rechten Hardliner Jim Jordan unterstützt, weil sie die Lähmung ihrer Fraktion hatte beenden wollen. Als Jordan krachend durchfiel, verweigerte Miller-Meeks ihm im zweiten Wahlgang die Stimme. Nicht als Einzige wurde sie daraufhin bedroht.

Die an einen Mafia-Film erinnernden Szenen werfen ein grelles Schlaglicht auf eine beispiellose Hängepartie bei der Besetzung des wichtigen Vorsitzendenposten im Repräsentantenhaus, die komplett aus dem Ruder läuft. Ultrarechte und rechtsextreme innerparteiliche Aufständler hatten vor zwei Wochen den republikanischen Speaker Kevin McCarthy gestürzt, weil dieser einen Kompromiss mit den Demokraten für einen Übergangshaushalt geschlossen hatte. Seither ist das Parlament handlungsunfähig.

Der von der Fraktion zunächst nominierte ultrakonservative, aber nicht Trump-hörige Steve Scalise musste seine Kandidatur mangels Unterstützung zurückziehen. Dann preschte Hardliner Jim Jordan vor – ein strammer Trump-Verehrer, Wahlleugner und Biden-Hasser. Doch die Republikaner verfügen im Repräsentantenhaus nur über eine knappe Mehrheit von 221 zu 212 Sitzen, und Jordan ist selbst einigen Vertretern seiner weit nach rechts gerückten Fraktion zu extrem. Im ersten Wahlgang kassierte er 20 Gegenstimmen aus den eigenen Reihen. Im zweiten Wahlgang stieg die Zahl der Abweichler sogar auf 22.

Notlösung offenbar gescheitert

Ursprünglich wollte der von Ex-Präsident Donald Trump unterstützte Ex-Ringer, der gerne hemdsärmelig auftritt, sich am Donnerstag zum dritten Mal zur Wahl stellen. Doch kurz vor der erwarteten Abstimmung meldeten US-Medien überraschend, dass Jordan vorerst auf einen dritten Wahlgang verzichte. Stattdessen wollte er offenbar ein Manöver unterstützen, das ihm Zeit verschaffen und einen Übergangskandidaten an der Spitze des Parlaments installieren würde.

Doch nur wenige Stunden nachdem Jordan seine Unterstützung für einen Interimssprecher bekannt gab, machte der Republikaner aus Ohio einen Rückzieher und sagte, er würde sich einer dritten Abstimmung zum Sprecher stellen. Laut Jordans Sprecher soll das Votum am Freitag um 10 Uhr Ortszeit (15 Uhr MEZ) stattfinden

Bei der fieberhaften Suche nach einem Ausweg hatten einige republikanische Abgeordnete zuvor eine unorthodoxe Notlösung ins Gespräch gebracht: Sie sieht vor, dass der derzeitige Interimsvorsitzende des Repräsentantenhauses, Patrick McHenry, der eigentlich nur prozedurale Kompetenzen besitzt, bis zum Jahreswechsel mit zusätzlichen Vollmachten ausgestattet wird. Dann könnte das Parlament vorübergehend wieder die Arbeit aufnehmen und Gesetze beschließen.

Jim Jordan bahnt sich den Weg durch die Menschenmenge
Hemdsärmelig, angriffig... und sogar vielen Parteifreunden zu extrem: Jim Jordan.
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Diesen Plan wollte Jordan unterstützen, ohne aber seine Kandidatur ganz zurückzuziehen. Er hoffte offenbar, in den zwei Monaten Stimmen sammeln zu können und möchte dann im Jänner erneut antreten. Das stieß aber vor einer Fraktionssitzung der Republikaner am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) auf Widerstand von mehreren Seiten: Die Ultrarechten in der Fraktion lehnen eine Kompetenzausweitung für McHenry grundsätzlich ab. "Das verstößt gegen die Verfassung", wetterte schon am Mittwoch der Texaner Chip Roy. Die moderateren Kräfte wiederum haben bisher darauf bestanden, dass sich Jordan ganz aus dem Rennen zurückzieht.

Die Republikaner im US-Repräsentantenhaus haben den Plan nun aufgegeben, die seit mehr als zwei Wochen anhaltende Blockade der Kongresskammer mit Hilfe eines Zwischenvorsitzenden zu überwinden. Mehrere US-Medien hatten berichtet, die Befugnisse des provisorischen Vorsitzenden Patrick McHenry sollten erweitert werden, damit der Kongress als Ganzes wieder arbeiten könne. Der Abgeordnete Byron Donalds sagte dem Sender CNN, dafür gebe es nicht genug Stimmen. Unter Verweis auf die US-Verfassung erklärte er, man könne nicht einfach "jemandem neue Befugnisse in den Schoß legen".

Einstweilen befindet sich der Kongress weiter in Selbstblockade. Das US-Parlament ist lahmgelegt, während ein neuer Nahostkrieg ausbricht, die Ukraine um ihren Munitions-Nachschub fürchten muss und den USA Mitte November ein ungebremster Regierungsstillstand droht. (Karl Doemens aus Washington, 19.10.2023)