Fitness, Supercycle
Schwitzen zu Swift: In zweiter Linie sind die Spezial-Cyclekurse ein Workout. In erster Linie aber eine riesige Party.
Sigrid Mayer

You taught me 'bout your past, thinkin' your future was me, And you were tossing me the car keys, 'Fuck the patriarchy!' Ein Bein zum Dehnen über den Lenker des Spinning-Rades gelegt, schreien 34 Teilnehmerinnen der "Taylor Swift Supercycle Class" die Lyrics von All Too Well mit, während es im Oberschenkel leicht zieht. Das Gendern kann man sich in diesem Zusammenhang sparen, denn nur drei Männer haben sich in die Stunde verirrt.

Es ist Freitag und das 29. Taylor-Swift-Special des Dance-Cycling Studios Supercycle in Wien ist fast zu Ende. 65 Minuten lang radeln die Sportlerinnen zu den Songs von Taylor Swift, versuchen während dem Treten einfache Choreographien auf dem Rad und stärken mit Gewichten und Bändern ihre Armmuskeln. Macht man die Einheit so mit, wie sie von Trainerin Emma auf dem erleuchteten Podest vorgegeben wird, dann verbrennt man in dieser Stunde mindestens 500 Kalorien.

Eine Teilnehmerin holt für das letzte Lied einen Pappkopf von Schauspieler Jake Gyllenhaal aus der Tasche, reicht ihn herum. Er wird von der Diskokugel in der Mitte des Raums angefunkelt. Das Gelächter ist groß. Angeblich handelt All Too Well von Gyllenhall, in diesem Moment symbolisiert er all die ungleichen Beziehungen in unserem Leben – sei es mit Partnern, Chefs oder Kollegen. Schweiß tropft vom Gesicht, immer wieder hört man ein befreites Jauchzen. Als Trainerin Emma an einem Punkt aufruft, noch schneller und härter in die Pedale zu treten und für sich selbst zu kämpfen, spürt man augenblicklich den Dreh in der Energie. Die Gruppe wird lauter, die Bewegungen energischer.

Vom Countrygirl zur Ikone

Emma erklärt: "Es gibt fast kein Taylor-Swift-Special, wo ich nicht an irgendeinem Punkt den Tränen nahe bin. Aus mehreren Gründen. Die Energie der Frauen, die hier zusammenkommt, ist unglaublich. Egal was diese Woche passiert ist, man weiß, man ist in diesem Raum nicht allein und kann alles hierlassen. Man wird verstanden. Und wie schön ist es, dass wir Frauen das feiern können, was wir lieben?"

Als Emma das erste Special konzipierte, ging sie davon aus, dass es ein einmaliges Erlebnis sein würde. Sie tat es für sich. Die 33-Jährige ist seit ihrer Jugend Taylor-Swift-Fan – etwas, für das sie sich immer eher geschämt hat. Denn lange war die Musik der Sängerin für viele Frauen ein Guilty Pleasure, das man nicht unbedingt offen aussprach. Die Lieder, die Swift selbst schreibt, drehen sich um Verlust, Herzschmerz, das Patriarchat oder auch die Rolle von Frauen. Zu girly, zu lächerlich, zu weinerlich, vor allem aber auch zu nah am Mainstream war ihre Musik in den Augen vieler Kritiker. Das hat sich geändert.

Das Countrygirl wurde zur Ikone: Taylor Swift ist der erfolgreichste Popstar der Gegenwart. Seit wenigen Wochen ist sie die erste Frau mit 100 Millionen monatlichen Spotify-Hörern, sie stand öfter als jede andere Künstlerin an der Spitze der US-Albumcharts und hat mehr Geld verdient als Beyoncé oder Madonna. Das Wirtschaftsmagazin Forbes schätzte ihr Vermögen im Juni auf 740 Millionen Dollar. Ihr letztes Album Midnight wurde innerhalb eines Tages so häufig gestreamt, wie kein anderes Album je zuvor. Der Konzert-Kinofilm ihrer aktuellen Tour nahm im Vorverkauf an einem Tag Tickets im Wert von 26 Millionen Dollar (24 Millionen Euro) ein – zehn Millionen mehr als der bisherige Rekordhalter Spider-Man: No Way Home von Marvel erreichte. In den USA hätte Swift aufgrund der gigantischen Nachfrage 900 Konzerte statt der geplanten 52 Stadionkonzerte geben können. Im August 2024 kommt sie mit ihrer Tour für drei restlos ausverkaufte Konzerte nach Wien.

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Trainerin Emma hat sich früher für ihr Taylor-Swift-Fantum geniert. Heute sind ihre Supercycle-Kurse restlos ausgebucht.
Sandra Gloning

Buchung auf gut Glück

Beim Supercycle in Wien wird Swift mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie antanzen, das ändert aber nichts an der Zugkraft. Die Taylor-Swift-Einheiten haben eine lange Warteliste und könnten mehrmals gefüllt werden – obwohl der Einzelpreis für die Einheit sich mit 18 Euro nicht unbedingt günstig ist. Pro Monat gibt es dennoch nur eine Handvoll Stunden. "Es ist fast schon schwieriger, ein Rad für die Klasse zu ergattern, als für die Taylor-Swift-Tour nächstes Jahr", klagt eine der Teilnehmerinnen. Manche versuchen deshalb ihr Glück, indem sie präventiv Klassen buchen, sagt Trainerin Emma: "Wir geben die Specials häufig erst bekannt, nachdem die Stunden schon im System sind. Neuerdings sind diese aber oft schon ausgebucht, bevor sie offiziell als Spezial-Stunde bekannt gegeben werden. Manche der Swifties (so bezeichnen sich die Swift-Ultras selbst, Anmerkung) buchen meine Stunden auf gut Glück und hoffen, dass es ein Special wird."

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"Manche buchen auf gut Glück und hoffen dann, dass es ein Swift-Special ist", sagt Trainerin Emma.
Sandra Gloning

Safe Space für Swifties

Um den Sportlerinnen etwas bieten zu können, verändert sie jede Einheit die Playlist ein wenig und spielt mindestens einen Überraschungs-Song – ganz so wie es auch Taylor Swift auf der Tour mit ihrer Setliste macht.

Zusätzlich dekoriert Emma das Studio und sogar die Umkleiden mit Songtexten der hunderten Lieder der Sängerin, manche der Teilnehmerinnen brauchen deshalb vermutlich ein wenig länger mit dem Umziehen. Am Eingang bekommt jede Radlerin außerdem Knicklichter, die sie während des Trainings in den Haaren oder an den Handgelenken tragen kann. Im Schwarzlicht und in der Disko-Beleuchtung des Trainingsraums leuchten und funkeln diese während dem Motto-Radeln.

"Das ist eure Einheit. Es geht um euch. Die Bewegungen sind nur Vorschläge, nichts weiter. Wenn ihr sitzen bleiben möchtet, statt im Stehen zu radeln, tut das. Wenn ihr eure Beine nicht mehr bewegen und nur die Musik genießen möchtet, tut das. Wenn ihr euch zwischen Choreo und Singen entscheiden müsst, entscheidet euch immer für singen!", ruft Emma – und das klingt weit weniger nach Drill-Instructor denn nach einem Auftakt für eine einstündige Tanzparty.

Und gerade die dunkle und vor allem hauptsächlich weibliche Umgebung macht es auch für viele Frauen einfacher, die nicht alle Übungen mitmachen können oder eine einfachere Variante der Übung zu wählen. Da gibts keine schiefen Blicke von der Seite, kein vermeintlich motivierendes Gebrüll eines Trainers, der einen ans Limit pushen will. Es wird ein Safe Space geschaffen, in dem Frauen mit unterschiedliche Körperformen, Outfits und aus allen Altersgruppen zusammenkommen, die alle eines gemeinsam haben – das Bedürfnis, den Stress der letzten Tage oder Wochen auszuschwitzen und rauszuschreien. Vor allem aber die Liebe zu Taylor Swift. (Sandra Gloning, 23.10.2023)