Auchentallers Porträt von Martha Thonet. Davor Evamaria Schmertzing-Thonet und Autor Andreas Maleta.
Regine Hendrich

Als Victor Thonet, Erbe des Wiener Möbelimperiums, im Alter von 32 Jahren die geschiedene Martha Scheid, damals 29, Tochter aus einer berühmten Wiener Schmuckdynastie, heiraten wollte, musste der hochnervöse Bräutigam noch bei ihrem Vater, dem strengen Patriarchen Georg Adam Scheid, um Erlaubnis für diese Ehe einkommen. Die Szene spielte sich im großen Salon der Villa Scheid, eines imposanten Baus im Sezessionsstil im Währinger Cottage (heute Sitz der koreanischen Botschaft), ab.

Kunstförderer

Als Vater Scheid endlich sein "Ich geb’ euch meinen Segen" gesprochen hatte, öffneten sich die Flügeltüren zum Musikzimmer, das Villen des Wiener Großbürgertums selbstverständlich hatten, und man hörte Schubert, gespielt von Braut Martha, auf dem sogenannten blauen Klavier.

Andreas Maleta, "Das Blaue Klavier. Von Wien über Mähren und Scheibbs nach Grado und Gmunden. Die Geschichte der Familie Martha und Victor Thonet um 1900". € 30,– / 270 Seiten. Ibera, Wien 2023
Ibera Verlag

Die Szene beschreibt Andreas Maleta in seinem Buch Das blaue Klavier, einem faszinierenden, penibel recherchierten Eintauchen in die fast versunkene Welt des Wien um 1900 (von der es allerdings noch beachtliche Restbestände gibt). Es ist die Welt des aufstrebenden Großbürgertums, der großen Unternehmensgründer mit handwerklicher Basis, aber industrieller Expansion. Die Firma Scheid setzte in der Schmuckproduktion erstmals die sogenannte Cloisonné-Technik für Emailarbeiten ein, die Firma Thonet ist für ihre Bugholzmöbel bekannt. Selbstverständlich waren diese Pioniere auch große Kunstförderer. Martha war eine ausgezeichnete Pianistin – das Musikzimmer und das "blaue Klavier" waren vom Jugendstilkünstler Josef Maria Auchentaller mit Motiven nach Beethovens Pastorale gestaltet worden. Aber das Leben junger Frauen aus dem neuen Großbürgertum hatte auch seine dramatischen Seiten, wie man mitfühlend erfährt.

Andreas Maleta, ein Nachfahre der Familie Scheid mütterlicherseits, hat mit viel Liebe und familiendetektivischem Gespür "die Geschichte der Familien Thonet, Scheid und Auchentaller um 1900" nachgezeichnet. Eine spannende Lektüre nicht nur für Nostalgiker. (Hans Rauscher, 20.10.2023)