Die National- und Ständerratskandidaten der SVP bei ihrer Wahlauftaktveranstaltung in Zürich-Altstetten.
Die National- und Ständerratskandidaten der SVP bei ihrer Wahlauftaktveranstaltung in Zürich-Altstetten.
IMAGO/Andreas Haas

Zürich – Die Schweiz hat bei den Parlamentswahlen in der Schweiz am Sonntag einen deutlichen Rechtsruck erlebt. Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) dürfte nach der Hochrechnung des Umfrageinstituts gfs.bern auf 29 Prozent kommen. Das wäre ein Plus von 3,4 Prozentpunkten und damit mehr als in Umfragen erwartet. Die SVP ist schon seit mehr als 20 Jahren die wählerstärkste Partei. Ein Debakel zeichnete sich für das grüne Lager ab.

Die Grünen dürften noch auf 9,1 Prozent kommen, minus 4,1 Prozentpunkte, die Grünliberalen auf 7,1 Prozent, minus 0,7 Punkte. "Das Bittere ist: Das Klima hat verloren", sagte Aline Trede aus der Grünen-Fraktionsspitze im Fernsehen SRF.

Thema Zuwanderung als Erfolgsbringer

Für die SVP war das Thema Zuwanderung der Erfolgsbringer, wie Vizepräsident Marcel Dettling sagte: "Das Volk hat gesprochen, da ist eine Kurskorrektur dringend notwendig." Die SVP verlangt Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden. Allerdings ändern die Wahlen an der Regierung nichts. Seit Jahrzehnten regieren die langfristig wählerstärksten Parteien zusammen, dabei ist auch die SVP.

Video: Wahl in der Schweiz: Rechtspopulistische Volkspartei gewinnt klar
AFP

Der Politikwissenschaftler Michael Hermann hatte die neue Stärke der SVP unter anderem wegen der internationalen Spannungen vorausgesehen. "In Krisenzeiten steigt immer das Bedürfnis nach Stabilität und es gibt weniger Bedarf an Experimenten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Gestiegene Preise spielen dabei eine weniger große Rolle als in Nachbarländern. Die Inflationsrate lag in den vergangenen 18 Monaten nie höher als 3,4 Prozent. Das liegt unter anderem an protektionistischen Maßnahmen, die die Preise generell hochhalten, in Krisenzeiten aber angepasst werden und damit Preisschocks auffangen können.

SVP ist Regierungs- und Protestpartei

Die SVP setzte im Wahlkampf wie immer auf Angst und Verlustsorgen: Sie hetzt gegen Ausländer, warnt vor einer Annäherung an die EU und mancher Vertreter sieht sich in einem Krieg um die Bewahrung der schweizerischen Kultur. Sie ist für die Kürzung von Sozialausgaben und Entwicklungshilfe und ein starkes Militär. Seit 1999 hat sie die meisten Sitze im Nationalrat.

"Die SVP hat vieles, was rechtspopulistische Parteien wie die AfD oder die skandinavischen Vertreter heute machen, schon damals vorweggenommen: Den Stil, sich als Stimme des Volkes, der "kleinen Leute" auszugeben, Themen wie Migration und Asyl zu besetzen, und provozierende Plakate etwa", sagte Damir Skenderovic, Geschichtsprofessor an der Universität Freiburg/Fribourg.

Paradoxerweise ist die SVP sowohl Regierungs- als auch Protestpartei. Sie stellt zwei der sieben Mitglieder der Regierung, des Bundesrats. Neben der SVP sind darin die Sozialdemokratische Partei (SP) und die liberale FDP mit je zwei Sitzen und die christliche Mitte-Partei mit einem Sitz vertreten. Im Bundesrat gibt die SVP sich rechtskonservativ und trägt Kompromisse mit, im Wahlkampf ist sie rechtspopulistisch, etwa mit Initiativen wie zurzeit gegen die Einwanderung und für eine striktere Neutralität, die etwa Sanktionen gegen Russland verbieten würde. So fällt sie der Regierung immer wieder in den Rücken. "Das Doppelspiel ist sehr etabliert und akzeptiert", sagte Hermann.

Wahlbeteiligung gering

Die SVP dürfte sechs Sitze im Nationalrat gewinnen, der größeren Parlamentskammer mit 200 Sitzen. Die Grünen dürften fünf, die Grünliberalen drei Sitze verlieren. Zwischen den Polen SVP und Grüne dürften die Sozialdemokraten erstmals seit 2003 wieder leicht zulegen auf gut 17 Prozent. Die liberale FDP und die christliche Partei "Mitte" dürften bei rund 15 Prozent landen. Auch die zweite Kammer, der Ständerat mit 46 Sitzen, wurde neu besetzt.

Zur Wahl aufgerufen waren gut 5,5 Millionen Schweizer. Die Wahlbeteiligung lag nach Hochrechnungen aber nur bei rund 46 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass die Schweizer viermal im Jahr per Volksabstimmung über zahlreiche Vorlagen entscheiden. Deshalb nutzen sie Parlamentswahlen kaum als Ventil, um Regierenden einen Denkzettel zu verpassen. (APA, 22.10.2023)