Österreichs Veto verzögert den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens. Das Schengener Übereinkommen regelt unter anderem den freien Personenverkehr ohne Kontrollen an den Binnengrenzen.
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Der durchschnittliche europäische Wähler, die durchschnittliche europäische Wählerin wird täglich mit einer Vielzahl wirtschaftlicher und politischer Krisen konfrontiert, von der Lebensmittelinflation über Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zu Migrationswellen. Dieser ständige Zustand der Angst vor der Zukunft hat einen fruchtbaren Boden für den Aufstieg nationalistischer, rechts- und linksextremer Parteien in ganz Europa geschaffen. Diese Parteien setzen auf Angst und Hass, bieten falsche Lösungen und ein Gefühl der Alternativlosigkeit an. Ihre Empfehlungen würden jedoch die Probleme, die sie zu lösen vorgeben, nur noch verschlimmern.

"Bulgarien hat seit dem Amtsantritt der neuen Regierung erhebliche Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung gemacht."

Ein Paradebeispiel für dieses Problem ist die Debatte über die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum. Bulgarien hat seit dem Amtsantritt der neuen Regierung erhebliche Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung gemacht. Das Parlament in Sofia hat das schärfste Antikorruptionsgesetz seit zehn Jahren verabschiedet, einen Mechanismus zur Untersuchung des Generalstaatsanwalts eingeführt und sogar die bulgarische Verfassung geöffnet, um eine Justizreform durchzuführen. Es wird erwartet, dass die Niederlande ihr Veto aufgrund dieser Fortschritte aufheben werden.

Die Situation in Österreich ist jedoch anders. Die populistische Rhetorik, dass die Schengen-Erweiterung mit einem Zustrom von Migrantinnen und Migranten gleichzusetzen sei, entbehrt jeder Grundlage, wird aber in nationalistischen Kreisen gerne verbreitet.

Nur zwei Prozent

Aber was sind die wahren Fakten über die Schengen-Erweiterung und ihre Auswirkungen auf die Migration? Derzeit kommen nur zwei Prozent der Migrantinnen und Migranten in Österreich aus Bulgarien und Rumänien. Der Großteil der Migrantenströme nach Europa kommt über die West- und Zentralroute sowie über den Westbalkan. Auf die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei entfallen lediglich zwei Prozent der Übertritte. Daher tragen Bulgarien und Rumänien nicht wesentlich zum Migrationsproblem in Österreich bei.

Darüber hinaus sichern derzeit mehr als 1500 Polizisten die Binnengrenze zwischen Bulgarien und Rumänien, da beide Länder nicht Teil des Schengen-Raums sind. Nach dem Beitritt können diese Ressourcen an die Außengrenze zur Türkei verlagert werden, um die Grenzsicherheit zu erhöhen. Bulgarien ist sogar bereit, ein Abkommen mit Österreich zu unterzeichnen, um die österreichische Polizei an der Außengrenze zuzulassen. Auch dies zeugt von echter Führungsstärke und einem problemlösenden Ansatz.

Höhere Kosten

Bei Schengen geht es nicht nur um Migration; es hat auch erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben der Österreicherinnen und Österreicher. Ein großer Teil des Weizens, Öls, Obsts und Gemüses kommt aus der Türkei, Bulgarien und Rumänien nach Österreich. Derzeit warten Lastwagen, die diese Waren transportieren, aufgrund des fehlenden Schengen-Abkommens vier Tage an der Donaubrücke, der Grenze zwischen Bulgarien und Rumänien. Dies führt zu zusätzlichen Logistikkosten, die auf die österreichischen Verbraucherinnen und Verbraucher abgewälzt werden. Die größte Sorge der österreichischen Durchschnittsfamilie sind die Lebensmittelpreise und die Inflation. Die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum ist der einfachste Weg, um die Lebensmittelpreise und die Inflation in Österreich unmittelbar zu beeinflussen.

Haben Sie jemals einen Nationalisten dieses wirtschaftliche Argument vorbringen hören? Unwahrscheinlich, denn sie ziehen es vor, die Ängste der Menschen zu vergrößern, anstatt Lösungen anzubieten.

Russisches Gas

Ein weiteres kritisches Thema für Österreich sind die Quellen und Preise von Erdgas. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass kommendes Jahr russisches Gas nicht über die Ukraine nach Österreich gelangt. Zwei mögliche Alternativen kommen direkt aus Bulgarien und Rumänien. Bulgarien kann Gas über Turkish Stream nach Österreich liefern, während Rumänien Gas aus seinen Schwarzmeerressourcen bereitstellen kann. In einem Jahr, in dem Österreich seine Freunde am meisten braucht, muss es sich entscheiden, ob es sie mit falscher nationalistischer Rhetorik verprellt oder zusammenarbeitet, um alternative Gaslieferungen zu den geringstmöglichen Kosten zu sichern. Überdenken wir die Schengen-Position unter diesem Gesichtspunkt!

Aus wirtschaftlicher Sicht sind österreichische Unternehmen die zweitgrößten Investoren in Bulgarien und die drittgrößten in Rumänien. Unternehmen wollen, dass beide Länder so schnell wie möglich Schengen beitreten, weil sie die höheren Logistikkosten selbst tragen müssen.

Vorteile für Österreich

Die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum würde zu einem Rückgang der Migrationsströme, der Zuweisung erheblicher interner Polizeiressourcen für die Außengrenzen, einer potenziellen österreichischen Überwachung an der Grenze, einem erfolgreichen Modell für die Änderung des Schengen-Raums zur Bewältigung nichtbulgarischer und nichtrumänischer Migrationsströme, niedrigeren Lebensmittelpreisen, einer erhöhten Energiesicherheit in Zeiten geopolitischer Risiken und einer verbesserten Rentabilität für Unternehmen führen.

Warum lässt sich die österreichische Regierung angesichts dieser überwältigenden Argumente nicht vollständig auf diese Strategie ein? Die Antwort liegt in der Angst vor nationalistisch-populistischer Rhetorik, die mit billigen, auf Angst basierenden Argumenten Popularität zu erlangen sucht. Wahre Führungsstärke zeigt sich, wenn man das tut, was für sein Land richtig ist, und dies der Bevölkerung vermittelt. Nur dann kann der nationalistischen Rhetorik entgegengetreten und politische Führung durch echte Werte für Wählerinnen und Wähler erreicht werden. Bulgarien und Rumänien sind bereit, Österreich zu helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Aber in diesem Fall braucht es drei, um Tango zu tanzen! (Kiril Petkov, 23.10.2023)