Donald Tusk, der frühere EU-Ratspräsident steht möglicherweise vor einem Comeback als polnischer Premier.
AFP/JANEK SKARZYNSKI

Warschau – In Polen dürfte die Ablöse der nationalkonservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) näher rücken. Die pro-europäischen Oppositionsparteien Bürgerkoalition (KO), Dritter Weg und Linke haben sich auf eine Koalitionsregierung verständigt, wie ihre Parteichefs am Dienstagvormittag in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Warschau verkündeten. Regierungschef soll demnach KO-Chef Donald Tusk werden. Der frühere EU-Ratspräsident steht damit vor einem Comeback als Premier.

Die drei Parteien seien zu einer "umfassenden Zusammenarbeit" in der beginnenden Legislaturperiode bereit, betonte Tusk nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP. "Das ist eine wichtige Information am Tag, an dem Präsident Andrzej Duda die Konsultationen mit den Parlamentsparteien beginnt." Der Staatspräsident erteilt in Polen den Auftrag zur Regierungsbildung, doch muss die Regierung danach noch vom Parlament gewählt werden.

Wirklich überraschend kam die Ankündigung der Oppositionsparteien freilich nicht. Bereits vor der Wahl vom 15. Oktober hatten die Beteiligten erklärt, gegen die PiS an einem Strang ziehen zu wollen. Als sich dann zeigte, dass die PiS über keine absolute Mehrheit mehr verfügen und auch zusammen mit der Rechts-außen-Partei Konfederacja nicht die erforderliche Mandatszahl erreichen wird, war die Freude ebenso groß wie die Überzeugung, dass die PiS nun abgewählt ist.

Und dennoch: Die Regierungsverhandlungen könnten sich hinziehen. Bereits im Vorfeld der Konsultationen hatte Duda erkennen lassen, dass es ihm bei diesen Gesprächen nicht nur um einen Formalakt geht, bevor er jemanden offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt: Er wolle die Parteien nach ihren Konzepten bezüglich Wirtschafts-, Energie- oder Verteidigungspolitik befragen, so Duda. Die Opposition wiederum ermahnte ihn am Dienstag, auf dem Weg zu einer neuen Regierung keine Haken zu schlagen.

Duda ist ein enger politischer Weggefährte von PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Er wollte am Dienstag zunächst Vertreter der PiS treffen, die bei der Parlamentswahl am 15. Oktober mit mehr als 35 Prozent der Stimmen zwar stärkste Kraft geblieben war, die bisherige absolute Mehrheit im Parlament aber verloren hatte. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fehlen die nötigen Stimmen für eine Wiederwahl als Regierungschef. Ebenfalls am Dienstag wollte Duda KO-Chef Tusk empfangen, dessen Partei zweitstärkste Kraft im neuen Parlament ist. Mit ihren Koalitionspartnern hat sie eine satte Mehrheit von 248 der 460 Mandate im Sejm.

EGMR verwirft Teile polnischer Justizreform

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unterdessen Teile der Justizreform in Polen für gesetzwidrig erklärt. Die von der national-konservativen PiS-Regierung durchgesetzte Absenkung des Pensionsantrittsalters von Richtern sei ein willkürlicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, entschied das Gremium am Dienstag. Der EGMR verwarf die polnische Regelung, nach der unter anderem der Justizminister entscheidet, ob ein Richter nach Erreichen des Pensionsalters – 60 Jahre für Richterinnen und 65 Jahre für ihre männlichen Kollegen – weiterarbeiten darf. Dies sei ein Eingriff in die Unabhängigkeit. Zudem verstoße die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Richtern gegen die europäischen Vorschriften zur Gleichbehandlung.

Die Pensionsregelungen waren Teil einer Reihe von Reformen im Justizwesen, die von der seit 2015 regierenden PiS-Partei eingeführt und die unter anderem von EU-Institutionen kritisiert wurden. Die PiS-Regierung warf der EU eine unzulässige Einmischung in innere Angelegenheiten vor, während ihre Kritiker ihr das Aushöhlen demokratischer Gewaltenteilung und populistische Stimmungsmache ankreideten. Ex-Premier Tusk und sein oppositionelles Bündnis wollen die umstrittenen Reformen unter der PiS-Regierung rückgängig machen. (APA, schub, 24.10.2023)