Viennale
Regisseur Eduardo Williams filmte mit einer 360-Grad-Kamera junge Menschen aus Sri Lanka, Taiwan und Peru.
Viennale

Ein paar seltsame Häuser bekommt man in El auge del humano 3 von Eduardo Williams zu sehen. Sie wirken, als wären sie vom Himmel gefallen (Ufos?). Architektonisch erinnern sie ein wenig an Hundertwasser. Beiläufig ist dann zu hören, dass es sich wohl um Katastrophenhilfsquartiere handelt, die nach dem Tsunami von 2002 errichtet wurden. Damit wird auch klarer, wo wir uns gerade befinden: in Südostasien. Sri Lanka, genauer gesagt, aber um das herauszufinden, muss man schon nachschlagen.

Das Kino als Zwischenort

Orte sind in El auge del humano 3 nämlich nicht so wichtig. Der Film wechselt mit einer solchen Nonchalance die Schauplätze, dass man bald den Eindruck gewinnen könnte, es ginge darum, das Kino selbst als einen Ort über oder zwischen konkreten Orten zu etablieren. Williams folgt zwanglos verschiedenen Gruppen junger Leute, die sich durch Landschaften bewegen, über alles Mögliche sprechen, und es geht dabei nicht um etwas Bestimmtes, was sich allmählich zu einer Geschichte summieren würde. Es geht eher um einen Zustand vor dem Zugriff des Narrativen.

Wenn es einen Film auf dieser Viennale gibt, an dem sich die Gegenwart (oder sogar die Zukunft) des Kinos besonders spannend ermessen lässt, dann ist es vielleicht Eduardo Williams’ El auge del humano 3. Der Regisseur stammt aus Argentinien, er hat in Paris studiert, seine Bezüge hat er aber offensichtlich rund um den Globus.

Mit seiner Lust an Landschaften hat der Film etwas Spektakuläres, er gehört im Grunde ins Gartenbaukino, da hätte es allerdings ein bisschen Mundpropaganda gebraucht, um es vollzukriegen. Spätestens seit 2016 gibt es rund um Williams aber einen Buzz, damals lief in Locarno El auge del humano(The Human Surge), noch ohne Ziffer, also ohne die Absicht, daraus eine Reihe zu machen. Einen zweiten Teil, den man angesichts von El auge del humano 3 vermuten würde, hat es bisher nicht gegeben. Vielleicht zählt Williams aber auch einfach anders, seine Dramaturgien sind ja auch sehr nonlinear.

EL AUGE DEL HUMANO 3
Festival International du Film de La Roche-sur-Yon

Eine Art Pilgergruppe

"Der Aufstieg des Menschen" (oder des Menschlichen). Über den Titel ließe sich bereits philosophieren. Die Menschen bei Williams sind in der Regel jung, eher nicht aus wohlhabenden Verhältnissen, und aus dem Globalen Süden.

El auge del humano begann 2016 mit einem jungen Mann in seiner Heimat Argentinien, sprang von dort nach Mosambik, und schließlich auf die Philippinen. El auge del humano 3 setzt aus Sri Lanka über nach Taiwan und endet in Peru mit einer Art Pilgergruppe, die immerhin in Richtung einer Anhöhe unterwegs ist, von einem Aufstieg im strengen Sinn würde man aber nicht sprechen. Vielleicht in einem spirituellen Sinn? Die Filme von Williams haben tatsächlich Aspekte einer Überschreitung von Wirklichkeit, zugleich aber sind sie tief verankert in alltäglichen, unbedeutenden Handlungen, und die Dialoge handeln meist von nichts Besonderem.

Vernarbte Bilder

Technisch hat Williams mit dem neuen Film ein paar Ebenen zu der Formatvielfalt des Vorgängers hinzugefügt: Er begann mit 16-mm-Bildern, filmte damit aber auch gern einmal einen Computerbildschirm ab. Korn und Pixel in imperfekter Eintracht. El auge del humano 3 wurde mit 360-Grad-Kameras gedreht, beruht also auf Bildern, die erst in einer App verarbeitbar werden, für das Auge wäre das zu viel.

Das Filmbild zeigt nun, wie sich Williams innerhalb des virtuellen Raums bewegt und das Material erst erzählbar macht. An manchen Stellen wirken die Bilder, als hätten sie Nähte oder als trügen sie Narben von Eingriffen in die Ontologie des Filmischen. Im Verbund mit der jugendkulturellen, digitalglobalen Anmutung seiner Filme ergibt das höchst spannendes Experimentalkino für neue Generationen. (Bert Rebhandl, 28.10.2023)