Alicia Silverstone Perpetrator
Zu lange hat man sie nicht gesehen: Alicia Silverstone, das It-Girl der 1990er, in Jennifer Reeders "Perpetrator".
Viennale

Ein Frauenleben ist lange Zeit eine blutige Angelegenheit. Das ist nicht anstößig, es ist schlichtweg eine Tatsache. Eine Tatsache, die Jennifer Reeder in Perpetrator ins Surreale verzerrt. In ihrem Film ist das Blut dick und dunkelrot, es sickert in Matratzen und zieht jene, die es inspizieren, hinein in eine rote Unterwelt. Kurzum: Es ist eine Superpower, für Frauen allein.

Es ist aber nur eine von zwei Kräften, von der die 18-jährige Jonquil, Spitzname Jonny (Kiah McKirnan), an ihrem Geburtstag lernt. Da ihr Vater sie aufgrund einer seltsamen Krankheit vernachlässigte, kommt sie zu ihrer Tante Hildie. Einer eiskalten Alicia Silverstone, deren Leinwandpräsenz derart perfekt ist, dass man nicht umhinkann zu bedauern, dass ihre Rolle eigentlich viel zu klein ist. Es kann auch kein Zufall sein, dass Silverstone erst letztes Jahr in American Horror Stories mitspielte. Denn Perpetrator erinnert in seiner Inszenierung ein wenig an die Serie, sehr viel mehr aber ist er ein Referenzspektakel auf David Lynch und feministische Horrorklassiker wie Heathers, Jennifer’s Body oder Suspiria.

Die Power der Empathie

Die zweite Power, die Jonny erhält, ist, sich in andere einfühlen zu können. Reeder verleiht der Empathie eine utopische Dimension, allein unter Frauen, versteht sich. Männer sind hier ausnahmslos Idioten, wenn nicht gar Täter. Da ist der Schul-Beau, der reihenweise Mädchen datet, die kurz darauf verschwinden. Da ist sein Vater, ein äußerst unangenehmer Polizist. Der Schuldirektor, ein sadistischer Schnösel (Christopher Lowell aus der Netflix-Serie Glow), der den Mädchen im Selbstverteidigungsunterricht absurderweise beibringt, nicht zu schreien und nicht zu beißen.

Perpetrator - Official Trailer (2023)
IGN Movie Trailers

Jonny macht sich stattdessen kraft ihrer Superkräfte auf die Suche nach den vermissten Mädchen – ein Thema, das bereits in Reeders letztem Film Knives and Skin zentral war. Der Film katapultierte Reeder 2019 ins Newcomer-Who’s-who des feministischen Horrorfilms. Mit Perpetrator schließt sie daran nahtlos an. Geht das immer auf? Nein. Aber es ist eine schräge, gorige Filmerfahrung.

Claire Simons Aufklärungsfilm

Ein ganz anderes Register zieht Claire Simon mit ihrem diesjährigen Berlinale-Forum-Hit Notre Corps. Es handelt sich um eine äußerst einfühlsame Dokumentation über die gynäkologische Station eines Pariser Krankenhauses. Sämtliche gesundheitlichen Probleme, die Frauen und Transpersonen mit ihren Geschlechtsorganen haben können, werden dort in Patientinnengesprächen thematisiert: die Sechzehnjährige, die ungewollt schwanger geworden ist. Der 17-jährige Transmann, der sich über seine weiteren Behandlungsmöglichkeiten informiert und dem gesagt wird, dass er doch vorsorglich Eizellen einfrieren solle. Die Kinderwunschpatientin.

Von Endometrioseoperationen, die über die körperinternen Kameras verfolgt werden, bis hin zu Geburten, Brustkrebsbehandlungen und zur Palliativstation erspart uns Simon nichts. Und das macht den Film so sehenswert. Ein Aufklärungsfilm im besten Sinne.

Our Body - Official Trailer
The Cinema Guild

Zugriffe auf Körper 

Dabei ist Simon, trotz der beobachtenden Perspektive, emotional involviert. Es ist dasselbe Krankenhaus, in dem sie ihren Krebs behandeln ließ. Irgendwann in der Mitte der Doku sieht man sie mit Maske – wie alle der Protagonistinnen in dem während Corona gedrehten Film –, als ihr die Diagnose gestellt wird. Es sieht nicht gut aus, aber am Ende verlässt Simon das Krankenhaus und radelt davon. Mit neuer, schicker Kurzhaarfrisur.

Simons Film wirkt lange Zeit ein wenig wie eine Liebeserklärung an die moderne Medizin, doch dann zeigt sie auch jene Frauen, die falsch behandelt wurden: Protestierende vor dem Krankenhaus teilen ihre Erfahrungen mit übergriffigen und herrischen Ärzten und fordern ein, über die Eingriffe an ihren Körpern umfassend und in verständlicher Sprache informiert zu werden.

Um ganz Ähnliches geht aus auch beim Film. Deshalb diskutieren die Regisseurinnen Jennifer Reeder, Claire Simon und Martha Mechow (Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin) am 26. Oktober über die Erwartungen, die im Kino an Frauenkörper gestellt werden. Einen Tag vorher, am 25. Oktober, feiern ihre Filme Österreichpremiere auf der Viennale. (Valerie Dirk, 25.10.2023)