Kim Kardashian am 26.3.2023 bei der Time100 Gala in New York
Zahlreiche Celebritys wie Kim Kardashian oder auch Elon Musk sollen mit dem Abnehmmedikament zum Spritzen Gewicht verloren haben. Auch das hat dazu beigetragen, dass es sich zum absoluten Lifestyle-Hype entwickelt hat.
Evan Agostini/Invision/AP

Die "Abnehmspritze" sorgt wieder einmal für Aufregung. Eine Salzburgerin musste im September des Jahres mit schweren gesundheitlichen Problemen im Krankenhaus behandelt werden, nachdem sie statt der Abnehmspritze Ozempic offensichtlich ein gefälschtes Produkt erhalten hatte. DER STANDARD berichtete hier. Zuerst war man davon ausgegangen, dass die Frau das Mittel im Internet bestellt hatte. Sie ließ nun aber über ihre Anwälte mitteilen, dass sie das Medikament über eine legale Quelle, nämlich von ihrem Schönheitschirurgen, bekommen habe. Es soll auch noch weitere Betroffene in Österreich geben, wie das Bundeskriminalamt berichtete.

Die 31-jährige Frau hat das Medikament offensichtlich "off label" bekommen. Das bedeutet, sie hat es angewendet, obwohl sie die offiziellen Zulassungskriterien nicht erfüllt: Ozempic ist für Menschen mit Diabetes, mit einem BMI über 30 oder mit einem BMI über 27 und einer Begleiterkrankung zugelassen. Die Anwälte der Salzburgerin erklärten in einer Stellungnahme, dass ihre Mandantin weder an Adipositas noch an Diabetes leidet: "Ungeachtet der Tatsache, dass meine Mandantin weder an Diabetes noch an Adipositas noch an einer Begleiterkrankung bedingt durch ihr leichtes Übergewicht leidet, hat ihr ein Facharzt der Schönheitschirurgie das Medikament Ozempic in seiner Praxis zu einem damals bereits sehr hohen Preis verkauft." Fast 500 Euro sollen verrechnet worden sein, in der Apotheke kostet das Medikament rund 150 Euro.

Auf der ersten Rechnung sei außerdem vermerkt worden, dass die Frau am metabolischen Syndrom mit BMI über 30 leiden würde – fälschlicherweise, so die Kanzlei. "Da meine Mandantin selbst genau Buch führte über ihre Gewichtsreduktionen, weiß sie, dass sie am Vortag des 18. Jänners 2023 einen BMI von nur 27,9 aufwies. Auch sonst litt sie an keiner Begleiterkrankung bedingt durch ihr leichtes Übergewicht. Bereits dieser Off-Label-Use war medizinisch überhaupt nicht indiziert bei meiner Mandantin", steht im Schreiben.

Nur über Apotheke

Mittlerweile hat die zuständige Staatsanwaltschaft der Stadt Steyr sechs Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit dem Fall durchgeführt. Anlass dafür ist der Verdacht, dass gesundheitsgefährdende Arzneimittel in Umlauf gebracht wurden sowie der Verdacht auf Körperverletzung. Denn das Medikament dürfte illegal bezogen worden sein.

In Österreich ist Ozempic verschreibungspflichtig und darf nur über die Apotheke abgegeben werden oder von Ärzten und Ärztinnen mit eigener Hausapotheke. Dass der Salzburger Arzt, der der Betroffenen den Wirkstoff offensichtlich direkt übergeben haben dürfte, über eine solche verfügt, ist eher unwahrscheinlich. Hausapotheken gibt es nur in ländlichen Gebieten, wo die nächste Apotheke zu weit entfernt ist.

Tatsächlich gibt es einen weltweiten Lieferengpass für das Medikament, weil es so stark nachgefragt wird, auch in Österreich steht zu wenig davon zur Verfügung. Genau das ist der Grund, warum immer mehr Fälschungen im Umlauf sind. Ozempic-Hersteller Novo Nordisk, ein dänischer Pharmakonzern, teilte bereits mit, dass es einen deutlichen Anstieg an illegalen Onlineverkäufen gebe. Im konkreten Fall dürfte der gefälschte Pen durch den Arzt nicht von einer Apotheke, sondern von einem anderen Zulieferer bezogen worden sein.

Man erkennt ein gefälschtes Produkt dabei oft nur schwer. Der fragliche Pen – ein Injektionswerkzeug zur leichteren Verabreichung eines Medikaments für eine vorab festgelegte Menge, das ähnlich aussieht wie ein Stift – unterschied sich lediglich dadurch vom Original, dass seine blaue Farbe etwas dunkler war. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) betont, dass es keine Hinweise gebe, dass die gefälschten Produkte von legalen Apotheken an Patientinnen und Patienten abgegeben wurden. Als Endanwender kann man sich also nur sicher sein, das Originalmedikament zu bekommen, wenn man es auch tatsächlich aus der Apotheke bezieht.

Werbung für Abnehmmittel

Welcher Arzt das gefälschte Medikament abgegeben hat, ist nicht bekannt, es ist nur von einem Schönheitschirurgen die Rede, die Rechtsvertretung der Patientin spricht in ihrem Schreiben von einem "Facharzt der Schönheitschirurgie". Diese Bezeichnung gibt es aber in Österreich gar nicht, es gibt nur einen "Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie", stellt Josef Thurner klar, selbst Plastischer Chirurg in Salzburg und Vorstandsmitglied der ÖGPÄRC, der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Er ist in der Gesellschaft für rechtliche und versicherungstechnische Belange zuständig, außerdem ist er seit vielen Jahren gerichtlich beeideter Sachverständiger.

"Man weiß nicht sicher, um welchen Arzt es sich handelt. Es muss auch kein Plastischer Chirurg sein, die Bezeichnung 'Schönheitschirurg' ist nicht geschützt", sagt Thurner. Man wisse nur so viel: Seit dem Frühling dieses Jahres wurden in einigen Salzburger Medien Werbeschaltungen für Ozempic veröffentlicht. Er kritisiert die Geschäftemacherei mit dem Medikament und dem Vertrieb um ein Vielfaches des Preises, der in der Apotheke verlangt wird: "Das widerspricht den Grundsätzen unserer Gesellschaft."

Gleichzeitig stellt Thurner klar, dass das Medikament in einer Beratung natürlich seinen Platz hat: "Als Plastische Chirurgen sind wir auch dazu ausgebildet, ästhetisch zu beraten. Aber es ist nicht unser Spezialgebiet, endokrinologische Probleme zu behandeln. Das ist Aufgabe der Internisten. Sie müssen die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen durchführen und feststellen, ob ein Patient oder eine Patientin für das Medikament geeignet ist." Die Fachärzte seien den ethischen Grundsätzen der Gesellschaft verpflichtet, schwarze Schafe würden aber leider allen schaden.

Kritischer Off-Label-Use

Das Medikament wirkt dabei wirklich gut. Auch deshalb ist es so erfolgreich als Lifestyle-Abnehmmittel. DER STANDARD berichtete hier und hier. Man könne es wohl niemandem vorwerfen, wenn man damit das eigene Gewicht ein bisschen reduzieren will, sagt der Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie Rolf Bartsch. "Ich persönlich halte trotzdem nichts davon. Das Medikament greift in den Zuckerstoffwechsel ein, das muss einem klar sein." Und um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, muss man es dauerhaft spritzen – oder die eigenen Ernährungsgewohnheiten langfristig ändern: "Setzt man es wieder ab, ohne das Essverhalten zu verändern, wird man wieder zunehmen."

Das Medikament hat, wie jedes andere auch, Nebenwirkungen. Die häufigsten sind Durchfall und Übelkeit bis hin zum Erbrechen. Diese sollen umso stärker sein, je schlanker die Ausgangsbasis ist. Bartsch betont: "Man weiß aber mittlerweile, dass sich dadurch die Bauchspeicheldrüse entzünden und die Schilddrüse aus dem Lot geraten kann. Es kann laut Studien bei dauerhafter Einnahme auch das Sehvermögen verschlechtern." Über Nebenwirkungen durch Langzeiteinnahme könne man derzeit noch gar nichts sagen, dazu sei das Medikament zu kurz am Markt. "Wenn man nicht krankhaft adipös oder Diabetiker ist, sollte man sich also wirklich fragen, ob man ein Lifestyle-Medikament mit Nebenwirkungen einnehmen will."

Pandemie des Übergewichts

Bartsch findet das Medikament dabei äußerst wichtig: "Wir haben eine Pandemie des Übergewichts, die wird Millionen Menschen das Leben kosten. Was da noch auf uns zukommt, da war Corona nichts dagegen." Denn Adipositas ist nicht einfach eine Frage der mangelnden Disziplin, wie vielfach immer noch angedeutet wird, sondern eine äußerst komplexe Erkrankung, bei der auch das Suchtzentrum beteiligt ist. DER STANDARD hat hier darüber berichtet. Derzeit kenne man das Problem vor allem in Europa und Amerika. Aber auch in China, Indien und später auch in den afrikanischen Ländern werde krankhaftes Übergewicht zum gesamtgesundheitlichen Thema werden. Und dann sei es gut, wenn man wirksame Medikamente zur Verfügung habe.

"Aber wenn man keine medizinische Indikation hat, sondern einfach ein paar Kilogramm zu viel, dann ist das Abnehmmedikament einfach der Weg des geringsten Widerstands, und das halte ich für den falschen Weg." Für Bartsch steht der aktuelle Lifestyle-Einsatz von Ozempic sinnbildlich dafür, wie unsere Gesellschaft tickt: "Wir lassen zu, dass andere unser Leben regeln, indem wir unsere Daten im Internet hergeben, aber auch indem wir ein Abnehmmedikament spritzen, anstatt unseren Lebensstil selbst gesünder zu gestalten. Ich denke, es ist absurd, dass wir Nebenwirkungen in Kauf nehmen, anstatt die Verantwortung für den eigenen Körper selbst in die Hand zu nehmen." (Pia Kruckenhauser, 25.10.2023)