David Affengruber und Szymon Wlodarczyk jubeln nach dem 2:2.
Das 2:2 von Szymon Wlodarczyk brachte die Merkur-Arena zum Überkochen.
APA/ERWIN SCHERIAU

Sturm Graz und der Europacup, das bleibt eine turbulente Beziehung. Am Donnerstagabend erlebten die Fans der Grazer abermals einen denkwürdigen Abend samt Hoffnung, emotionalem Schmerz und später Ekstase. Das 2:2 gegen Atalanta Bergamo fühlte sich laut Jusuf Gazibegovic "wie ein Sieg" an, bis zur Schlussviertelstunde hatten die Gastgeber eine reichlich hoffnungslose zweite Halbzeit erlebt. DER STANDARD blickt in drei Erkenntnissen auf die Partie zurück:

Die in Schwarz-Weiß gehaltene Choreografie der Sturm-Nordkurve mit einem großen Joker.
Die Choreografie der Nordkurve gab erst Rätsel auf und wurde dann eindrucksvoll.
APA/ERWIN SCHERIAU

Sturms Fans sind ein Joker

Die Merkur-Arena ist nicht gerade der große Stolz des SK Sturm Graz. Es gibt zahllose Kritikpunkte an dem von der Stadt Graz eher minimalistisch in Schuss gehaltenen Stadion, doch die alten Metallklappsessel haben auch eine gute Seite. Wenn tausende dieser Sessel hochklappen, weil das ganze Stadion aufsteht, erzeugt das wie ein Orchester einen besonderen Spannungsmoment.

Deutlich wichtiger als das Stadionmobiliar ist freilich das Personal, das auf ihm sitzt bzw. steht. "So einen Hexenkessel siehst du nicht oft in Österreich, da kann schon etwas entstehen", sagte David Affengruber. "Mit den Fans kann man sich dann auch gegen Atalanta Bergamo zurückkämpfen." Für Gazibegovic war es in seinem vierten Jahr bei Sturm "eine der besten Stimmungen, die ich bis jetzt erlebt habe. Wie das Stadion beim 2:2 gebebt hat, das gibt einem richtig einen Push. Das ist der Punkt, der uns weiterbringt, der zwölfte Mann." Nachsatz: "In dem Fall der elfte."

Hand in Hand mit der Atmosphäre geht der unbedingte Einsatzwille, den Trainer Christian Ilzer längst in seinen Schützlingen verankert hat. "Wir haben gekämpft einer für den anderen", sagte Gazibegovic. "Am Ende ist das ein richtig geiles Spiel gewesen." Auch Affengruber betonte, er finde es "voll cool, wenn sich jeder nach einem gewonnenen Zweikampf freut. So kämpfst du dich wieder ins Spiel zurück."

Der Schiedsrichter zeigt Stefan Hierländer die rote Karte.
Der Moment, in dem die Hoffnung für Sturm verloren schien: Stefan Hierländer kassiert Gelb-Rot.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Die Abgeklärtheit fehlt

Auch Routiniers wie Jon Gorenc Stankovic oder Gregory Wüthrich, die in der Bundesliga oft so souverän Spiele abmoderieren, wirken im Europacup gegen bessere Gegner immer wieder verwundbar. Diesmal war es Wüthrich, der sich beim 1:1 nicht zwischen Zweikampf und Verhindern eines Abspiels entscheiden konnte und so leicht zu überspielen war.

Am gravierendsten schüttete sich aber der Kapitän mit seinem Ausschluss in der 52. Minute an. Man kann wohl diskutieren, ob man für einen Minimalgriff an die Hüfte nahe der gegnerischen Eckfahne wirklich Gelb geben muss, für Ilzer war er "komplett überzogen". Man kann aber kaum darüber diskutieren, ob ein solches Risiko für einen verwarnten Routinier überhaupt notwendig ist. Gleiches gilt für den Ursprung der ersten Verwarnung, ein gfeanztes Umgraben des Elfmeterpunkts samt Privatissimum mit dem aufgebrachten Ademola Lookman.

Dass auch anderen Akteuren in einer so hektischen Partie immer wieder die Abgeklärtheit fehlte, ist freilich nachvollziehbar, aber dennoch notierenswert. In der allerletzten Szene hätte sich Sturm nach einem Stolperer von Éderson eine hervorragende Kontergelegenheit geboten, doch der völlig unbedrängte Stankovic drosch den Ball weg, anstatt kontrolliert rauszuspielen.

Atalantas Torhüter schießt einen Ball vor Seedy Jatta weg.
Seedy Jatta war gegen Atalanta fleißig, aber ohne Glanzmomente.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Jatta braucht Zeit, der Rest versteht sich blind

Insbesondere in der ersten Halbzeit demonstrierte Sturms Mittelfeld im Minutentakt perfekte Eingespieltheit. Da kennt jeder den Laufweg des anderen, bevor er noch beginnt; blinde Ferslerverlängerungen sind bei Gegenstößen ein beliebtes und gut funktionierendes Stilmittel. Hier werden die Früchte von mehr als zwei Saisonen konstanter Arbeit geerntet.

Die einsame Ausnahme war gegen Atalanta offensichtlich: Seedy Jatta. Der norwegische Last-Minute-Sommertransfer hat verletzt viel Zeit verpasst, am Donnerstag bog er immer wieder falsch ab, erwartete Pässe, die nicht kamen, oder startete nicht, wenn der Ball in die Tiefe gespielt wurde. Ilzer betonte auf STANDARD-Nachfrage, von seinem Startelfstürmer auch viel Positives gesehen zu haben ("Er hat auch gegen diese wuchtigen Vierkantverteidiger Bälle behauptet"), gestand aber ein: "Es ist eine Abstimmungsgeschichte, wann er in die Tiefe geht."

"Die Mannschaft spürt ihn schon sehr gut", sagte Ilzer, "aber bis sie wirklich seine Abläufe versteht, das wird noch eine Zeit dauern." Gegen Atalanta hätte der Trainer gerne schnellere Steilpässe auf Jatta gesehen: "Er hat diesen Tiefgang, kann Bälle im wirklich harten Duell verteidigen." Nach einem Schlag auf den Kopf sei er in der Pause leicht benommen gewesen, deshalb ersetzte ihn Wlodarczyk schon in der 61. Minute. (Martin Schauhuber, 27.10.2023)