Markus Pfeifer vertreibt sich die letzten Minuten der Wartezeit mit einem Stamperl Kräuterschnaps und Plaudern. Seit ungefähr vier Uhr in der Früh steht er hier, immer mit einem Blick auf das wertvolle Gut, das er aus Südtirol mitgebracht hat: den Christbaum für den Wiener Rathausplatz. Pfeifer kennt das Prozedere schon, zum zweiten Mal nach 2014 hat ihn das Landesforstkorps mit dem Baumtransport beauftragt. Seinen Stolz darüber kann er nicht verbergen, als er in seiner dunkelgrünen Försteruniform davon erzählt.

Lange bevor die Fichte an die österreichische Hauptstadt übergeben wird, musste sich Pfeifer darum kümmern, einen geeigneten Baum auszuwählen. Denn seit 1959 kommt der Wiener Christbaum jedes Jahr aus einem anderen Bundesland, seit 1989 ist Südtirol in der Rotation dabei. Ganz frei in der Auswahl sind die jeweiligen Forstbehörden nicht: Der Baum soll zwischen 25 und 28 Meter hoch sein und regelmäßige Seitenäste haben, so die Vorgaben des Rathauses.

Forstmitarbeiter posieren in Südtirol vor dem gefällten Christbaum für Wien
Am Montag wurde die Fichte im Rautal in Südtirol gefällt.
LPA/Forstbetrieb Agentur Landesdomäne

Fündig geworden ist Pfeifer schließlich im Rautal am Enneberg im Naturpark Fanes-Sennes-Prags. "In dem Gebiet haben wir auch schon mal einen Christbaum für den Papst in Rom und für die Provinzhauptstadt Bozen gefunden", erzählt er. Die Fichte für Wien ist 28 Meter hoch, mehr als 100 Jahre alt und hat – zumindest als sie noch im Südtiroler Wald gestanden ist – ein dichtes Nadelgewand.

Transport mit Polizeieskorte

Am Montag wurde der Baum schließlich gefällt und auf einen rund 35 Meter langen Sondertransporter geladen. Damit hat auch Pfeifers Reise begonnen: Noch am selben Tag ging es mit einem Kollegen des Fortskorps und zwei Lkw-Fahrern bis an die österreichische Grenze, dann etappenweise weiter bis kurz vor Wien. Immer sei eine Polizeieskorte dabei gewesen, erzählt der Forstkorps-Mitarbeiter: "Nicht auszudenken, wenn jemand an dem Baum herumsägen würde."

Markus Pfeifer (rechts) und sein Kollege vom Landesforstkorps Südtirol posieren vor ihrer Tanne
Markus Pfeifer (rechts) und sein Kollege vom Landesforstkorps Südtirol posieren vor ihrer Tanne.
Sebastian Scheffel

"Vor Wien sind wir dann länger gestanden, wegen des Feiertags am Donnerstag konnte Baum erst einen Tag später aufgestellt werden", berichtet Pfeifer. "Dass der Christbaum so lange liegt, ist sicher nicht optimal für seine Optik", ergänzt er. Für ihn heißt das auch: Wenn der aufgestellte Baum wie in vergangenen Jahren mit Spott überzogen wird, liegt das nicht an der Auswahl der falschen Fichte, sondern an den besonderen Umständen.

Die sind mit viel Aufwand verbunden: Dutzende Arbeiter sind beim Fällen, Transport, Aufstellen, und der Verschönerung eingebunden. Den Transport bezahlt der jeweilige Spender, für das Aufstellen kommen auf die Stadt Wien voraussichtlich Kosten von rund 7.000 Euro zu, wie das Büro von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler auf STANDARD-Anfrage mitteilt. Die Kosten für die Beleuchtung des Weihnachtsbaums trägt das Stadt Wien Marketing, ein Tochterunternehmen der Stadt.

Plastikbaum statt Fichte?

Ob die Kosten und der Aufwand verhältnismäßig sind? Eine Passantin, die den Weihnachtsbaum auf dem Lastwagen argwöhnisch beäugt, ist nicht überzeugt. Der Christkindlmarkt mitsamt Illuminierung des Baums sei ihr mittlerweile zu sehr Event. "Man kann sich schon fragen, ob das alles sein muss", sagt auch Pfeifer. Kritik daran, dass das Fällen von Bäumen in Zeiten von durch Klimawandel und Borkenkäfer belasteter Wälder nicht zeitgemäß sei, weist er aber zurück. "Mit mehr als 100 Jahren hat der Baum ohnehin das natürliche Ende seiner Lebenszeit erreicht."

Auch die Stadt sieht kein Problem: "Für jeden Waldbestand ist es auch wichtig, dass alte Bäume Platz für Jungbäume machen. Auch das ist ein Kriterium für die Auswahl des Weihnachtsbaumes für den Rathausplatz", sagt eine Sprecherin der Kulturstadträtin. Ob beispielsweise ein wiederverwendbarer Plastikbaum eine nachhaltigere Alternative darstelle, sei fraglich.

Allerdings wäre es nicht das erste Mal, wenn die Stadt als politisches Zeichen, auf einen (echten) Baum verzichten würde: 1986 wurde die Tradition unterbrochen, man wollte an das Waldsterben erinnern, das in den 80er-Jahren in Europa zum Problem wurde. Mit einer ähnlichen Aktion könnte man nun auch ein Zeichen gegen den Klimawandel setzen – und somit zum Vorbild für den Verzicht auf den privaten Weihnachtsbaum zu Hause werden. Doch die private Kaufentscheidung will die Stadt lieber "jedem Bürger selbst überlassen".

Auch in anderen Städten wird die Tradition des Christbaums fortgeführt: In Graz verspricht das Rathaus einen "wunderschönen Baum", der am 3. November ankommen werde. Er stamme aus Bad Aussee aus den dortigen Bundesforsten. Für den Transport nach Graz müsse zeitweise der Verkehr aufgehalten werden. Das Burgenland bekommt seinen repräsentativen Baum am 15. November. Auf dem Hauptplatz in Eisenstadt begleitet er den Weihnachtsmarkt, der Ende November beginnt. In Linz wird der Baum noch etwas später aufgestellt, am 18. November ist es so weit.

Ein paar Tage Erholung

Während Pfeifer noch einen von einer Rathausmitarbeiterin mitgebrachten Kräuterschnaps trinkt, wartet die Fichte weiter im Regen darauf, endlich aufgestellt zu werden. Noch werden ihre Äste mit gelben Schnüren zusammengehalten, damit sie nicht über den Lastwagen hinausragen. "Deshalb sehen die Bäume direkt nach dem Aufstellen auch immer etwas plattgedrückt aus. Die Fichte braucht ein paar Tage, bis sie sich wieder erholt hat", erklärt Pfeifer. Außerdem werden Mitarbeiter der Wiener Stadtgärten nachträglich Äste in den Stamm schrauben, um den Weihnachtbaum dichter wirken zu lassen.

Um zehn Uhr ist es dann endlich so weit: Ein Arbeiter öffnet ein Tor des Bauzauns, mit dem der Rathausplatz abgesperrt wurde. Pfeifer hält den Moment, als der Lastwagen mit Baum an seinen Bestimmungsort fährt, mit dem Handy fest. Schließlich werden die Äste von den Schnüren befreit. Wo sich das Astwerk verhakt hat, wird auch schon einmal etwas rabiater vorgegangen. Wenig später heben zwei Lastkräne die Fichte an und setzen ihren Stamm in das eigens dafür vorgesehene Loch vor dem Rathausturm.

Bevor der Baum aufgestellt wird, entfernen Arbeiter die Schnüre, mit denen die Äste für den Transport zusammengebunden wurden.
Bevor der Baum aufgestellt wird, entfernen Arbeiter die Schnüre, mit denen die Äste für den Transport zusammengebunden wurden.
Sebastian Scheffel

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren zeigt sich dabei heuer keine Rathausprominenz. 2021 nahm Bürgermeister Michael Ludwig den Baum noch persönlich in Empfang, auch Bundesräte aus dem Burgenland, aus dem der Baum stammte, waren dabei. Im vergangenen Jahr veranstaltete Kulturstadträtin Kaup-Hasler einen Pressetermin bei der Aufstellung. "Aus organisatorischen Gründen" gebe es heuer keinen Medientermin, heißt es aus dem Rathaus. Ein Kamerateam, das die Aufstellung festhalten will, kann nur aus der Ferne durch den Zaun filmen.

Zwei Lastkräne stellen den 28 Meter hohen Christbaum auf dem Rathausplatz auf
Zwei Lastkräne stellen den 28 Meter hohen Christbaum auf dem Rathausplatz auf.
APA/GEORG HOCHMUTH

Hat die Rathausspitze angesichts jährlich wiederkehrender Kritik die Lust daran verloren, den Tag der Ankunft zu zelebrieren? Das Prinzip, den Christbaum jährlich aus einem anderen Bundesland oder aus Südtirol anliefern zu lassen, verteidigt das Büro der Kulturstadträtin zumindest nicht mehr ganz so vehement: "Ob die seit 1959 bestehende Tradition geändert oder auch abgeschafft wird, ist sicher ein Thema, das für die Zukunft überdacht werden kann", heißt es auf STANDARD-Nachfrage. Markus Pfeifer fände eine Änderung schade: "Der Baum ist doch in Zeiten von Krieg und anderen Krisen ein schönes Zeichen der Freundschaft." (Sebastian Scheffel, 27.10.2023)