Michael Köhlmeier Literaturtage Krems
Michael Köhlmeier lebt mit Katzen, von ihnen hat er auch schon manches gelernt. In Krems lässt er an seinen Lektionen teilhaben.
Peter-Andreas Hassiepen

Der Autor Michael Köhlmeier eröffnet am 16. November mit der Philosophin Anne Sophie Meincke die Europäischen Literaturtage in Krems. Thema: Mensch und Tier. Wie steht er zu den Mitgeschöpfen?

STANDARD: 2021 ist "Matou" erschienen, im Roman erzählen Sie aus der Sicht eines Katers. Sie und Ihre Frau Monika Helfer leben mit Katzen ...

Köhlmeier: Die meisten, die wir hatten, sind uns zugelaufen, waren auf einmal da. Erst nur zum Fressen, schließlich haben sie Quartier genommen. Oft hat die neue die alte vertrieben. Wir haben zugeschaut und darüber diskutiert. Aber untereinander, nicht mit den Katzen.

STANDARD: Sind Sie ein Katzenmensch? Wollten Sie je einen Hund?

Köhlmeier: Katzenmensch? Halb Katze, halb Mensch? Ich hätte auch gern einen Hund. Aber es ist uns noch nie einer zugelaufen. Da sind wahrscheinlich die Katzen schuld.

STANDARD: Warum spielen Tiere in vielen Ihrer Texte eine Rolle?

Köhlmeier: Schon als Kind war mir der Unterschied nicht so groß. Tiere, alle, haben etwas Heimlich-Unheimliches. Etwas Rätselhaftes. Unsere Katze schaut mich manchmal an, als wäre ich ein Hackstock.

STANDARD: Was haben Sie von Katzen beim Angeschautwerden gelernt?

Köhlmeier: Den Tod zu vergessen ... vorübergehend.

STANDARD: Was ist das Tierischste an Ihnen?

Köhlmeier: Die Gleichgültigkeit ... dass alles gleich viel gilt. Und dass Zeit keine Rolle spielt.

STANDARD: Damit sind Sie nicht allein, Tiere sind seit je Referenzrahmen für Menschen, man denke an Wendungen wie "Homo homini lupus est". Warum sind Tiere so wichtig für uns?

Köhlmeier: In alten Zeiten war die Trennung zwischen Tieren und Menschen nicht so scharf. Außerdem haben uns die Tiere viel geholfen. Am ärmsten ist das Schwein, sein Nutzen für uns besteht ausschließlich in seinem Tod. Die Hälfte der Richter im Jenseits sind höchstwahrscheinlich Schweine. Dann gnade uns Gott.

STANDARD: Klimaschutz und Tierwohl lassen inzwischen ohnehin viele beim Fleischkonsum zögern. Werden wir in 20 Jahren noch Tiere essen?

Köhlmeier: Ich vielleicht nicht mehr, weil ich dann vielleicht nicht mehr lebe. Die Menschen aber werden nicht aufhören, Tiere zu essen. Sie sollten aufhören, Tiere zu quälen. Die Freizeitjäger oder die Safarinaturliebhaber, die Hände voll dafür bezahlen, dass sie ein Tier abknallen dürfen – ich habe immer vermutet, die würden eigentlich viel lieber einen Menschen abknallen und rechnen es sich selbst hoch an, dass sie die Flinte ontologisch tiefer halten. Wenn wir Tiere äßen, wie wir Marzipan essen, also sehr selten, würden unsere Richter im Jenseits sicher ein wenig Verständnis für uns aufbringen. Schweine fressen ja auch Fleisch. Eicheln jedoch öfter.

STANDARD: Manche beneiden ihre eigenen Haustiere um deren Leben – kein Wunder, Tiere sind zum Faible und Wirtschaftsfaktor geworden. Sind Ihre Katzen ein Selbstdarstellungsmittel für Sie? Oder geht das zu weit?

Köhlmeier: Ob man je eine Anstecknadel im Fell einer Katze anbringen wird, um sie sich ans Revers zu heften? Oder ein Frettchen? Ich hätte gern einen Mantel aus Bärenfell, und der Kopf des Bären wäre meine Mütze. Wie der Trapper in dem Film True Grit von den Coen-Brüdern.

STANDARD: Wenn man die vielen Konflikte zwischen Menschen ansieht – sind wir doch nur Tiere?

Köhlmeier: Heutige Kriege werden zivilisiert geführt, also mit Bomben, bester Technik, dem Roten Kreuz, Den Haag. Wenn jemand käme und Putin in den Hals beißen würde, der würde sich wie ein Tier benehmen.

STANDARD: Nietzsche hat geschrieben: "Der Mensch sinkt, wenn er einmal sinkt, immer unter das Tier." Hat Nietzsche also nicht recht?

Köhlmeier: Wenn Wölfe töten, dann nicht nur ein Schaf, das genügen würde, um ihren Hunger zu stillen. Sie geraten in einen Blutrausch. Unter den Tieren gibt es ein Sprichwort: Du benimmst dich wie ein Mensch! Meistens wird das zum Wolf gesagt.

Die Konferenz der Tierfreunde

Europäische Literaturtage Eva Meijer
Die Amsterdamer Philosophin Eva Meijer wird in Krems über tierethische Fragen sprechen.
Eva Meijer

"Gedichte schreiben mit Hunden": So einen Veranstaltungstitel liest man im Literaturbetrieb selten. Die Gelegenheit bietet sich heuer bei den Europäischen Literaturtagen. Literarischen, philosophischen und ethischen Fragen rund um das Verhältnis von Tier und Mensch widmen sie sich an vier Tagen. Für ihre "Multi-Spezies-Poesie" hat die Lyrikerin und Philosophin Mara-Daria Cojocaru etwa "lyrische Notate" zu von Hunden geführten Geruchsspaziergängen verfasst. Tierisch! Das soll aber nicht täuschen, das Anliegen des Festivals ist ernsthaft, Cojocaru wird etwa mit der Philosophin Eva Meijer in einer Diskussion (17. 11.) ebenso über Tierethik sprechen.

Denn das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ist an einem Wendepunkt. Vom Bibeldiktum, sie sich untertan zu machen, muss er sich befreien. Dieses Bewusstsein für das "Anthropozän", also das Erdzeitalter, in dem der Mensch den Planeten aus dem Gleichgewicht bringt, und dafür, was wir so verlieren, drückt sich im breiten Konsens für Klimaschutz aus. In Trends wie Nature-Writing reihen sich viele literarisch wieder in die umgebenden Pflanzen und Tiere ein.

Lyriker Jan Wagner
Der Lyriker Jan Wagner wird darüber berichten, wie es sich über Tiere und unsere Umwelt dichtet.
Alberto Novelli - Villa Massimo

Es muss aber nicht so identifikatorisch zugehen. Im Essay Tier werden machte sich die Autorin Teresa Präauer 2018 Gedanken zum Animalischen. Eingedenk des Romans Kochen im falschen Jahrhundert, in dem sie heuer eine famos entgleisende Dinnerparty gab, verfügt sie zum Festivalthema über Doppelkompetenz. Anna Mabo begleitet sie bei "Worte und Töne" (17. 11.) musikalisch. Bodo Hell übernimmt abends darauf (18. 11.) diese Aufgabe selbst, wobei man eher mit einer Geräuschkulisse zu rechnen hat: Er nahm Töne von Mensch und Tier auf.

Die Schriftstellerin Hilal Sezgin schaltet sich per Video von ihrem Lebenshof/Tieraltersheim in der Lüneburger Heide in den Klangraum zu (17. 11.), um vom "fordernden und beglückenden Leben mit Tieren" (so heißt ihr neues Buch) zu reden. Der slowakische Autor Michal Hvorecky lässt danach wissen, wie es ist, einen Roman aus der Perspektive eines Donau-Störs zu schreiben. Jan Wagner (18. 11.) weiß über Umwelt- und Tierlyrik zu berichten.

Philippe Sands erhält zum Abschluss (19. 11.) den Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln. Der Jurist setzt sich etwa dafür ein, dass sich der Begriff Ökozid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rechtssystem etabliert. (Michael Wurmitzer, 27.10.2023)