Halloween
Für all jene, die sich für Halloween aufwärmen wollen: der Film "Evil Dead Rise", wo sich also böse Tote erheben.
2022 Warner Bros. Entertainment Inc.

Rechtzeitig zum mittlerweile auch bei uns immer in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November umgehenden Halloween-Fest stellt sich heuer eine Frage: Kann man in Zeiten des Krieges in der Ukraine und des Kampfs gegen den Terror in Israel oder der immer noch in den Köpfen präsenten Pandemie überhaupt noch zusätzlich mit dem Schrecken spielen?

Werden nicht schon Angststörungen, ein Gefühl der Ausweglosigkeit sowie Zukunftsängste, die tagtäglich mit medialen Bildern befeuert werden, genug geweckt? Auch die Tatsache, dass der Klimawandel uns vielleicht mehr bedroht als die Klimakleber, beginnt sich langsam in den Köpfen durchzusetzen. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wir auch wirtschaftlich und politisch möglicherweise katastrophalen Zeiten entgegengehen.

Keltisch-irische Geistersause

Ist es also in Ordnung, wenn man dem Schrecken mit Schrecken begegnet? Das frühere christliche Totengedenken zu Allerheiligen wurde längst, vor allem auch dank der Wirkmacht Hollywoods, vom Re-Import der heidnischen, ursprünglich keltisch-irischen Geistersause Halloween aus den USA abgelöst. Die Grabkerzen für den Friedhof kommen heute in die zu Fratzen ausgehöhlten Kürbisse. Schulpflichtige Monster stehen vor der Haustür: Gib mir Süßes, sonst gibt’s Saures! Man kann es nicht oft genug betonen, obwohl die Reizüberflutung durch schreckliche Bilder dagegenspricht: Wo wird heute etwa noch zu Hause im Kreis der Familie gestorben? Welches Kind sieht heute noch die tote Großmutter daheim im Sterbebett liegen?

Halloween
Die Grabkerzen für den Friedhof kommen heute in die zu Fratzen ausgehöhlten Kürbisse.
AFP/ANGELA WEISS

Der Tod als Teil des Lebens ist nicht mehr in der Mitte unseres Lebens beheimatet. Er ist längst in die Alters- und Pflegeheime, auf Intensiv- und Covid-Stationen verdrängt worden, während er im gesellschaftlichen Zentrum zu Halloween zum kindischen Spektakel trivialisiert wird. Alle Menschen, die auch heuer aufgrund der Weltlage ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie als Vampire oder Untote auf Partys gebackene Hexenfinger schmausen oder auf diversen Rumsorten basierende "Zombies" kippen, können beruhigt sein.

Diverse Studien besagen, dass schlechte Zeiten auch einen Boom des Schreckens speziell auf der Leinwand hervorrufen. Das Motto stammt von Autor Jean Genet: "Das einzige Mittel, dem Entsetzen zu entgehen, besteht darin, sich dem Entsetzen zu überlassen."

Auch Zombies dabei

Horror ist innerhalb der Filmwelt aufgrund der teilweise drastischen Darstellung von Gewalt und Beuschlreißen umstritten wie kein anderes Genre. Allerdings bleibt der abgebildete Horror nicht statisch, er ist im Einklang mit kulturellen und sozialen Veränderungen einem Wandel unterworfen. Horrorfilme reflektieren Ängste und Herausforderungen ihrer Entstehungszeit. Sie bilden sozusagen soziale und asoziale Entwicklungen ab.

Insofern handelt es sich beim dargestellten Horror immer auch um Sozialkritik. Nicht umsonst wurden während der Pandemie auf den Streamingdiensten alle Seuchen-, Pandemie- und Extinktionsfilme aufgefahren, derer man habhaft werden konnte – auch unter Berücksichtigung des Zombie-Genres.

HALLOWEEN ENDS Trailer 2 German Deutsch (2022)
Mit "Halloween Ends" endete Michael Myers Metzelorgie (vorerst).
KinoCheck

Neben Allerheiligen ist heutzutage übrigens auch ein anderes Fest von Grusel stark verdrängt worden. Einen Tag vor Halloween feierten die Kinder früher am 30. Oktober den Weltspartag. Die seit 1955 in den Sparkassen verteilte Figur des Sparefroh mit der Geldmünze als deren kaltem Herzen war mit ihrem starren Lächeln ebenso beängstigend wie die Maske von Michael Myers in der Kinoserie Halloween. Auch die Bankkonten sind einem Wandel unterworfen. Das Sparen nämlich muss man sich bei drohender Armutsfalle heute erst leisten können.

Horrorfilm und Wirtschaftskrise

Apropos Sparefroh. Schon 2005 stellte Robert Prechter, Chef der US-Marktprognosenfirma Elliot Wave International, in seiner Studie The Wave Principle of Human Social Behavior einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage und dem Aufkommen von Horrorfilmen fest. Herauf von der Weltwirtschaftskrise 1929 und der ersten Welle von Horrorfilmen wie Dracula, Frankenstein oder King Kong, der Ölkrise Mitte bis Ende der 1970er-Jahre mit The Shining, Halloween oder Alien und nach 9/11 mit The Ring, The Others oder From Hell sieht er einen unmittelbaren Zusammenhang von Dow Jones und Angst.

Angst wird demnach mit Angst bekämpft. In guten Zeiten Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre flogen hingegen Mary Poppins und Peter Pan durch die Gegend. Kann man so stehenlassen. (Christian Schachinger, 28.10.2023)