Pyhra – An diesem sonnigen Vormittag muss alles sehr schnell gehen. Günter Schaubach, Bürgermeister (ÖVP) der Gemeinde Pyhra im Bezirk St. Pölten-Land, hat den Krisenstab einberufen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Denn wegen einer heiklen europä­ischen Großwetterlage droht ein langanhaltender Stromausfall in Österreich – ein Blackout.

Der Krisenstab aus Gemeinderätinnen, Gemeindebediensteten und Feuerwehrleuten versammelt sich im Gemeindeamt in einem großen Besprechungssaal. Auf Tischen liegen große Pläne und Landkarten, daneben sind Funkgeräte platziert. An den Wänden kleben noch leere Lageberichte, die später ausgefüllt werden. Um für sie Platz zu schaffen, wurden die mit Ölfarbe gemalten, alt anmutenden Porträts der Ex-Bürgermeister von Pyhra, die im Sitzungssaal hängen, heruntergenommen.

Konzentriert zeichnen Gemeinderäte die kritische Infrastruktur auf einer Karte des Ortes ein.
In Pyhra wurde der Ernstfall geprobt. Konzentriert zeichnen Gemeinderäte die kritische Infrastruktur auf einer Karte des Ortes ein.
Helena Lea Manhartsberger

Die Beteiligten sind in sechs Einsatzgebiete eingeteilt. Jeder und jede weiß, was im Ernstfall zu tun ist. Im Raum herrscht dennoch Unruhe. Viele sind sich unsicher, welche Katastrophenlage der Gemeinde bevorsteht und welche Ausmaße sie hat. Das nervöse Geflüster unter­einander paart sich mit gespanntem Abwarten. Bis der Bürgermeister um Aufmerksamkeit bittet.

Übung des Ernstfalls

"Vergangene Nacht ist es in Europa zu großflächigen Stromausfällen gekommen. Die Bezirkshauptmannschaft hat uns informiert, dass es in den nächsten Stunden auch in Österreich zu Ausfällen kommen wird", informiert Schaubach den Stab. Und nun unterbricht Markus Weber vom Österreichischen Zivilschutzverband (ÖZSV) die Ansprache. Für die Gemeinde ist die Katastrophensituation nicht real, sondern lediglich eine Übung.

An einem solchen Planspiel, wie die Übung vom ÖZSV genannt wird, sind in Niederösterreich aktuell mehr als 90 Gemeinden interessiert, sagt Weber zum STANDARD. Rund 70 Gemeinden im Bundesland hätten bereits ein Planspiel absolviert, Pyhra ist eine davon. Ziel ist die optimale Vorbereitung der Kommune für den Fall eines Blackouts.

Das Planspiel des ÖZSV soll den Krisenstab einer Gemeinde trainieren.
Das Planspiel des ÖZSV soll den Krisenstab einer Gemeinde trainieren.
Helena Lea Manhartsberger

Das Planspiel ist nur eine von vielen Übungen des ÖZSV. Mit diesem werde im Speziellen der Krisenstab der Gemeinde trainiert, der im Ernstfall zusammentreten muss. "Am wichtigsten ist die Koordination innerhalb der Gemeinde", erklärt Weber. Denn die Gemeinde sei im Falle eines Blackouts immer der erste Ansprechpartner für die Bevölkerung. Hilfe von außen sei im Ernstfall meist nicht vorhanden, betont Weber: "Die Situation ist im Planspiel jene, dass die Gemeinde Pyhra nur die eigenen Ressourcen nutzen kann. Hilfe von außen gibt es in den ersten Tagen nicht."

Der Bürgermeister lässt den Krisenstab nun wissen, dass Pyhra in den nächsten vier Stunden ohne Strom sein werde. "Lagebericht von Gruppe vier bitte", ruft Schaubach in den Raum. "Wir haben vier Notstromaggregate zur Verfügung. Zudem stehen 1000 Liter Diesel und 200 Liter Benzin bereit", antwortet sein Parteikollege, Gemeinderat ­Johann Hagenauer. Kritische Infrastruktur, etwa die Tankstelle, Wasserpumpen oder der Supermarkt, werden auf einer Karte eingezeichnet, um einen besseren Überblick zu behalten. Währenddessen spitzt sich die gespielte Situation zu.

Überrannte Tankstelle

Die Gemeinde bekommt Aufgaben gestellt, die sie in der Übung meistern muss. Dazu lassen Personen des ÖZSV dem Krisenstab "Meldungen" zukommen. Unter anderem bildet sich ein fiktiver Stau bei der Tankstelle, Menschen rufen bei der Gemeinde an und teilen mit, dass sie nichts zu essen hätten, und hunderte Passagiere von im Bahnhof einer Nachbargemeinde gestrandeten Zügen müssen in Pyhra versorgt werden.

Sorgfältig arbeitet der Krisenstab seine Aufgaben ab.
Sorgfältig arbeitet der Krisenstab seine Aufgaben ab.
Helena Lea Manhartsberger

All das hat der Krisenstab in der Übung zu bewältigen. Dessen Entscheidung: Die Tankstelle wird gesperrt und ist nur noch für Einsatzkräfte zugänglich, Lebensmittel werden gemeinsam mit dem Supermarkt kontrolliert ausgegeben, und im Ort werden Infopoints aufgestellt.

Überstanden?

Wie gut ist Pyhra nun vorbereitet? Das Fazit: "Manches funktioniert, anderes ist noch fehlerhaft", erzählt der anwesende Bundes­geschäftsführer des ÖZSV, Josef Farda. Es sei aber Ziel der Übung, Mängel auszuloten. "Gerade durch solche Übungen, wo Fehler gemacht werden, lernt die Gemeinde, sich vorzubereiten", sagt Farda.

Und Pyhra ist laut dem Sicherheitsexperten ohnehin eine der vorbereiteten Kommunen in Nieder­österreich. Viele Gemeinden würden noch am Anfang stehen. Als Vorlauf für das Planspiel müsse ein Ort eine Gefahrenanalyse und einen Kata­strophenschutzplan erstellen und Personen für den Krisenstab ernennen. "Das war in Pyhra der Fall", sagt Farda. Ein Blackout in Pyhra kann also überstanden werden. Den Eintritt des Ernstfalls wünscht sich in dem 3500-Einwohner-Ort aber natürlich niemand. (Max Stepan, 1.11.2023)