Frau um die 60 macht ein Plank
Beachtet man ein paar simple Regeln, ist man ziemlich sicher auch in späteren Jahren noch gesund und fit. Dann macht Älterwerden auch Spaß.
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70 ist das neue 50, so hört man es mittlerweile immer öfter. Und es stimmt insofern, als dass sich 70-jährige mittlerweile ihre Freizeit mit Sportarten vertreiben, die vor 30 oder 40 Jahren 50-jährigen schon zu gefährlich waren. Die gute Nachricht: Diese 70-jährigen sind im Normalfall tatsächlich so fit, beweglich und vor allem so gesund, dass sie sportlich so aktiv sein können.

Dass sie nicht krank werden, liegt dabei weder daran, dass sie die Genlotterie gewonnen hätten, noch dass ihre Gene auf einmal auf wunderbare Weise mutiert sind. Es liegt ganz einfach am Lebensstil.

"Wie sich unsere Gesundheit entwickelt, liegt zu rund 15 Prozent an unseren Genen. Etwa 35 Prozent sind durch Umweltfaktoren bedingt. Und die restlichen 50 Prozent liegen in unserer Hand", betont der Sportmediziner Robert Fritz. Das bedeutet, es ist nicht vorherbestimmt, dass man mit zunehmenden Jahren immer weniger fit ist und so manche Krankheit beinahe unausweichlich scheint – auch wenn sich diese Vorstellung in vielen Köpfen festgesetzt hat und irgendwie ja auch logisch wirkt. Vielmehr stimmt: Wie sich unsere Gesundheit in fortgeschrittenen Jahren entwickelt, können wir zu einem guten Teil selbst bestimmen.

Hundert Jahre realistisch

Das wird mittlerweile auf vielen Ebenen auch wissenschaftlich untersucht. Vor allem Zwillingsstudien zeigen, wie sehr sich Umwelteinflüsse und Lebensstil bei gleicher oder sehr ähnlicher genetischer Ausstattung – eineiige Zwillinge haben ein zu über 99 Prozent identes Genom, zweieiige Zwillinge teilen sich zumindest 50 Prozent – auf die Gesundheit und das Altern auswirken. Solche großangelegten Untersuchungen gibt es etwa in den USA und in Dänemark. Longevity nennt sich dieser Forschungszweig, dessen Erkenntnisse Fritz auch in seiner Ordination umsetzt. Denn: "Das kann einen enormen Unterschied machen."

Doch was ist nun das Geheimnis oder das besondere Rezept des gesunden Alterns? Es gibt keines. Vielmehr ist es ein permanentes Drehen an kleinen Rädchen und Schrauben des Lifestyles, ein gewisses Ausmaß an Disziplin und auch ein Mindset – frei nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein". Fritz erklärt: "Das Konzept, dass Arzt, Ärztin und das Gesundheitssystem für die eigene Gesundheit verantwortlich sind, stimmt so nicht. Natürlich ist diese Unterstützung nötig, es braucht auch gewisse gesundheitspolitische Voraussetzungen und vor allem Möglichkeiten der Vorsorge. Aber die Eigenverantwortung dafür, dass man gesund bleiben will, die muss jeder und jede selbst übernehmen."

Doch will man überhaupt 90 oder sogar 100 Jahre alt werden? Rein körperlich wäre das durchaus realistisch. Und warum nicht – wenn man dem "Healthy Life Gap" entgeht? "So nennt man die Tatsache, dass im Schnitt am Ende des Lebens 20 kranke Jahre stehen. Und in Österreich oft sogar noch mehr", erklärt Fritz. Der europäische Durchschnitt von in Gesundheit verbrachten Lebensjahren liegt bei 65 Jahren für Frauen und 64 Jahren für Männer. In Österreich sind es dagegen nur 58 bzw. 57 gesunde Jahre, wie das Austria Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) aufgezeigt hat. Die Lebenserwartung hierzulande lag mit Ende 2021 aber bei 83,8 Jahren für Frauen und 78,8 Jahren für Männer.

Keine Raketenwissenschaft

Wer eine Vorstellung davon haben will, wie ein gesundes Leben gelingen kann, wirft einen Blick auf die sogenannten Blue Zones. Das sind insgesamt fünf über die ganze Welt verteilte Gegenden, in denen es besonders viele gesunde über 100-Jährige gibt. Die Zonen sind das südliche Sardinien, die griechische Insel Ikaria, die japanische Insel Okinawa, die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica und Loma Linda in Kalifornien, wo eine Gemeinde von Siebenten-Tags-Adventisten lebt.

Gleich vorweg: Immer wieder wird kritisiert, dass die Schlüsse, die man aus der Lebensweise in diesen Gegenden zieht, nicht oder nur zum Teil wissenschaftlich und evidenzbasiert nachgewiesen sind. Tatsächlich geht die Initiative zurück auf eine National-Geographic-Expedition in den Nullerjahren. Mittlerweile gibt es jedoch einige wissenschaftliche Erkenntnisse dazu. Und viele Dinge, die in diesen gesund alternden Gesellschaften ganz normal praktiziert werden, gelten auch in der Wissenschaft als Schlüssel zu einem langen, gesunden Leben. So zeigt etwa die Harvard-Glücksstudie, wie wichtig Lebenssinn, sozialer Zusammenhalt und gesellschaftliche Eingebundenheit für ein langes Leben sind – alles Dinge, die in den Gesellschaften der Blue Zones selbstverständlich sind.

Neben diesen sozialen Faktoren sind die wichtigsten Elemente für ein langes und gesundes Leben regelmäßige moderate Bewegung, unverarbeitete pflanzenbasierte Kost mit wenig Fleisch, wenig bis kein Alkohol, kein Rauchen, guter, regelmäßiger Schlaf, eine mäßige Kalorienzufuhr und ein ausgewogenes Stresslevel (siehe auch Infobox). Fritz weiß: "Das ist keine Raketenwissenschaft, es ist sogar recht simpel. Und man muss sich nicht einmal ganz streng und täglich an diese Empfehlungen halten. Aber im Großen und Ganzen sollte man diese Ansätze in das eigene Leben integrieren. Dann hat man gute Chancen auf ein langes und gesundes Leben."

Ganz ohne Zaubermittel

Bleibt die Frage, ob es ein Zaubermittel gibt, das sozusagen eine Abkürzung zum fitten Alter bietet. Der Trend Biohacking trumpft hier mit großen Versprechungen auf, den Körper und seine Funktionen zu optimieren. Der STANDARD hat hier darüber berichtet. Auch Fritz wird in seiner Ordination immer wieder danach gefragt. "Natürlich gibt es hier interessante Ansätze. Wir können mittlerweile auch wahnsinnig viel messen, die Telomere etwa, das sind eine Art Schutzkappen für die Chromosomen, die mit dem Älter werden kürzer werden, oder auch bestimmte genetische Voraussetzungen, welcher Ernährungs- oder Sporttyp man ist. Aber verändert das das Leben wirklich? Eher nicht."

Einzige Ausnahme: Bei genetisch bedingten Krankheiten ist es gut, genaueste Informationen zu haben, damit man frühzeitig und gut abgestimmt behandeln kann. "Das kann tatsächlich einen relevanten Unterschied machen. Aber prinzipiell stehen uns alle notwendigen Mittel zur Umsetzung mehr oder weniger gratis zur Verfügung, man muss nicht viel Geld ausgeben. Gerade wenn manche Angebote auf Social Media unrealistische Träume verkaufen, finde ich das nicht in Ordnung."

Fritz ist dabei kein Gegner so mancher Angebote und Methoden, aber man müsse sich genau anschauen, was sinnvoll ist und was in erster Linie Geld kostet: "Es bringt zum Beispiel nichts, Nahrungsergänzungsmittel nach dem Gießkannenprinzip einzunehmen. Gleichzeitig sehe ich oft, dass Menschen Mangelerscheinungen haben, etwa weil sie sehr viel Sport machen oder ihr Stresslevel hoch ist. Gerade Frauen haben auch oft zu wenig Eisen." Er empfiehlt dann eine evidenzbasierte Laboranalyse, auf deren Basis eine Intervention gesetzt wird. "Das kann eine Infusion sein oder auch eine Einnahme von Nährstoffen über einen längeren Zeitraum. Wichtig ist aber, dass man nach einer Weile wieder misst und überprüft, ob der gewünschte Effekt eintritt."

Es gibt also viele Ansätze, die zu einem langen, gesunden Leben führen. Nur ein Ansatz ist falsch: warten. Warten darauf, dass jemand anderer die Verantwortung für die eigene Gesundheit übernimmt, und warten darauf, dass es irgendwann eine Technologie geben wird, die uns fitter und gesünder macht. Fritz betont: "Wir brauchen keine Genanalyse und Biohacking-Methoden um mehrere Tausend Euro. Das allermeiste ist nicht schlecht, aber wer kann sich das leisten? Es reicht, einfach hier und jetzt anzufangen und Stück für Stück gesündere Gewohnheiten umzusetzen." Die gute Nachricht dabei: Es ist nie zu spät. Denn Muskeln und Gehirn lassen sich auch mit hundert Jahren noch gut trainieren. (Pia Kruckenhauser, 4.11.2023)