"Divest from Qatar": Katar müsse endlich als "Sponsor von Terror" zur Verantwortung gezogen werden, US-Firmen sollten ihre Geschäfte mit dem Golfemirat beenden. So lautet eine Kampagne des proisraelischen US-Thinktanks Middle East Forum, der angesichts des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober ein Ende von "business as usual" mit Katar fordert. Die katarische Hauptstadt Doha beherbergt Hamas-Büros und Hamas-Politiker, namentlich Ismail Haniyeh und Khaled Meshal – und die katarische Führung hat sich nach dem 7. Oktober keinen Millimeter von ihnen distanziert.

Eine propalästinensische Demonstration vor der Skyline der katarischen Hauptstadt Doha.
Eine propalästinensische Demonstration vor der Skyline der katarischen Hauptstadt Doha.
AFP/KARIM JAAFAR

Aber so einfach ist es eben nicht. Katar steht nicht etwa auf der US-Terrorliste, sondern auf einer anderen: jener der "Major Non-Nato Allies", der "wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten" der USA. In Katar gehen nicht nur die Hamas und die Taliban und andere Islamisten ein und aus, sondern auch US-Amerikaner und ihre militärischen Alliierten: Die Al-Udeid Air Base in Katar ist der wichtigste Luftwaffenstützpunkt, von dort wird der Luftraum der ganzen Region abgedeckt.

Ganz eindeutig sind auch die israelischen Beziehungen zu Katar nicht: Die israelischen Regierungen unter Benjamin Netanjahu haben in den vergangenen Jahren auf eine De-facto-Koexistenz mit der Hamas im Gazastreifen gesetzt, die nur durch katarisches Geld ermöglicht wurde. Katar hat Milliarden an US-Dollar in den Gazastreifen gesteckt, für Energie, Gehälter, Wohnbau, Schulen.

"Gaza-Wiederaufbau-Komitee"

Das geschah nicht etwa an Israel vorbei, sondern mit dessen Billigung. Der Chef des katarischen "Gaza-Wiederaufbau-Komitees" reiste in den Gazastreifen nicht etwa durch den Grenzübergang Rafah ein, von Ägypten aus, sondern über Israel. Zweifellos hat das katarische Geld die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen konsolidiert.

Auch jetzt würden die USA und Israel nicht ohne weiteres auf die Dienste Katars verzichten. Nach der Freilassung von zwei weiblichen Hamas-Geiseln mit US-Staatsbürgerschaft bedankte sich US-Außenminister Antony Blinken am 22. Oktober explizit bei der "Regierung von Katar, die eine sehr wichtige Rolle dabei spielte, die beiden herauszubekommen". In einem Telefonat mit seinem Amtskollegen Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, der auch Premier ist, erneuerte Blinken erst am Montag diesen Dank. Der israelische Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi geriet vor wenigen Tagen unter Kritik, als er Katar als "wesentliche Partei und Interessenvertreter beim Erleichtern humanitärer Lösungen" bezeichnete. Am Montag wurde jedoch bekannt, dass Mossad-Chef David Barnea am Wochenende nach Katar reiste, auch dabei ging es um die mögliche Befreiung der Geiseln.

Kein islamistisches Regime

Die Politik der Ambiguität Katars hat eine lange Geschichte. Dass das Emirat, das über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt verfügt, sich zum sicheren Hafen für Islamisten jeder Couleur entwickelt hat, reflektiert nicht, wie etwa im Iran oder in der Türkei, die ideologische Haltung des Regimes. Vor zehn Jahren hat der damals 33-jährige Emir Tamim bin Hamad Al Thani die Führung von seinem Vater übergeben bekommen, ein rarer Akt der Modernität in den Golfmonarchien. Katar hat sich seither zum weltweiten Superplayer entwickelt, von Energiesektor bis zum Sport – Stichwort Fußballweltmeisterschaften 2022 –, mit internationalen Investments aller Art.

Man trägt die Weltoffenheit vor sich her, was nichts daran ändert, dass sich in Katar Kräfte tummeln, die sich dem Kampf dagegen verschrieben haben, von Muslimbrüdern bis zu Jihadisten. Katar benützt "seine" Islamisten, um den eigenen politischen Einfluss zu erhöhen und sich seinen Platz am Tisch der Nahostakteure zu sichern. "Brandstifter und Feuerwehr", so beschreibt es Jonathan Spyer in der Jerusalem Post.

Und die USA nützen die Kanäle jetzt, um vielleicht doch noch Hamas-Geiseln freizubekommen, schätzen aber generell den Begegnungsplatz Katar. Der US-Deal mit den afghanischen Taliban, der deren Koexistenz mit den anderen politischen Kräften Afghanistans begründen sollte, wurde dort ausgehandelt. Bekanntlich wurde 2021 nach dem US-Abzug eine Taliban-Alleinherrschaft daraus. Katar half bei den Evakuierungen aus dem neuen "Islamischen Emirat".

Gegen den Strich gebürstet

Die Beweggründe Katars für seine etwas andere Politik sind eigentlich auf ein Wort zu reduzieren: Saudi-Arabien. Mit zunehmenden Unstimmigkeiten mit den Saudis in den 1990er-Jahren – sie waren 1995 nicht mit dem unblutigen Putsch Hamad bin Khalifas gegen seinen Vater einverstanden – begann Doha eine gegen den Strich der arabischen Golfstaaten gebürstete eigenständige Außenpolitik. Manche sehen es als Akt der Rebellion gegen die Hegemonie Saudi-Arabiens, das die kleinen Golfemirate – wie Bahrain – gerne als Vasallen sehen würde. Der TV-Sender Al-Jazeera, das erste moderne Medienunternehmen der Region, wurde zur ständigen Provokation, später auch durch seine Unterstützung des "Arabischen Frühlings" 2011.

In den 1990er-Jahren gehörte zur katarischen Politik aber auch – heute fast vergessen – ein besonders progressives Verhältnis zu Israel als Folge des israelisch-palästinensischen Oslo-Friedensprozesses. Ein katarischer Minister nahm 1995 am Begräbnis des von einem israelischen Rechtsextremisten ermordeten Premier Yitzhak Rabin teil. In Doha wurde ein israelisches "Handelsbüro" eröffnet, das auch noch nach dem Zusammenbruch des Oslo-Prozesses lange, bis 2008, bestehen blieb. 1996 besuchte Premier Shimon Peres Katar.

Abzug aus Saudi-Arabien

Auch Katars Aufstieg als militärischer Partner der USA hat mit Saudi-Arabien zu tun: 2003, nach der US-geführten Invasion im Irak, mussten die USA auf Wunsch Riads ihre massive militärische Präsenz auf der saudischen Prince Sultan Air Base beenden. Unter US-Präsident Donald Trump hoffte Saudi-Arabien offenbar auf mehr US-Verständnis und stellte 2017 Katar unter Boykott. Der wurde 2021 mehr oder weniger sang- und klanglos beendet. Die USA werden auf Katar nicht verzichten. (Gudrun Harrer, 31.10.2023)