Swans
Michael Gira von den Swans hat für seine Kunst gelitten. Jetzt sind wir dran.
Young God

Bevor Michael Gira und die Swans Ende der 1980er-Jahre auf den Alben Children of God und ihrem Major-Label-Ausflug The Burning World sowie ihrer Coverversion von Joy Divisions Love Will Tear us Apart musikalisch etwas versöhnlicher wurden, veröffentlichte die ursprünglich in New York beheimatete Band einige der härtesten und bedrückendsten Arbeiten ihrer Zeit. Filth, Cop, Greed und Holy Money waren vom Tempo her knapp vor dem Stillstand in Zeitlupe angelegt.

Mit brutaler Lautstärke wurde aus den Lautsprecherboxen und Stromgitarren auch der lebenslang treu im Kopf seiner neuen Besitzer eine fröhliche Eintonmelodie pfeifende Tinnitus unter die Leute im Publikum gebracht. Im Hintergrund sorgte ein im Drei-Sekunden-Abstand für mittlere Erdbeben im Saal sorgender Schlagzeuger dafür, dass Hammer, Amboss und Steigbügel im Ohr den Dienst quittierten. Der Tinnitus war längst durchgeschlüpft.

Pitchfork

Michael Gira brummte und brüllte dazu über diverse Abhängigkeiten wie jene von Geld, dem Gott, der Gier. Der Tod und das Ende waren auch ein Thema, überhaupt alle menschlichen Belange, zu deren Erkundung man am besten eine Bibel, eine kugelsichere Weste und eine Taschenlampe mitnimmt. Gut ausgehen tut hier exakt gar nichts. Ein Live-Bootleg von 1986 nennt sich Public Castration Is a Good Idea. Man kann mit ihm im Haushalt wunderbare Beziehungsstreitigkeiten provozieren – und auch die Nachbarn können damit zu Gewalttaten aufgerufen werden.

Spätere Alben führten den altbewährten Industrial- und Noiserock mitunter in etwas folkigere Gefilde mit weiblichem Gesang von Jarboe, der damaligen Lebensgefährtin Michael Giras. Verweichlichende Keyboards und akustisches Gitarrengeschrumme wurden zum Thema. Während der Nullerjahre legte Michael Gira die Swans still und machte mit den Angels of Light verstärkt ruhigere, von Folk-, Psychedelic- und Progressive-Rock beeinflusste Alben. Allerdings waren die Akustikgitarren immer mit Stahl- und nie mit Darmsaiten bezogen.

Spätes Meisterwerk

Seit 2010 ist Gira gemeinsam mit Langzeitgitarrist Norman Westberg und dem Comebackalbum My Father Will Guide Me up a Rope to the Sky wieder unter dem Swans-Signet aktiv. Das alte Endzeitdröhnen und die bedrohlich walzende rhythmische Zeitlupenhaftigkeit sind geblieben. Das 2012 veröffentlichte Doppelalbum The Seer gilt allgemein als hörbarstes spätes Meisterwerk der Band: "It's the most harrowing, exhausting, cathartic, transcendental piece of music Gira has ever put to tape", meinte die Fachpresse. Na, bitte.

Daniel Kirby

Die derzeitige Besetzung der Swans führt diverse Musiker und Musikerinnen aus den verschiedenen künstlerischen Phasen Giras für das aktuelle Doppelalbum The Beggar sowie die derzeit laufende Tournee zusammen. Der alte Berliner Mitstreiter Kristof Hahn an der Gitarre darf als Einziger aus der Comeback-Besetzung mitspielen. Norman Westberg, der eigentlich prägende Gitarrist der Swans aus den frühen Tagen, ist dieses Mal nur als Gast im Vorprogramm der Konzerte aktiv.

Gleichgeblieben sind Michael Giras erdmöbelschwere Grabesstimme, die dunklen Themen, die auf ein Schnelldiplom in religiösem Eifern und in Bibelkunde (aber nur die deftigen Stellen!) schließen lassen, sowie seine Vorliebe für ewig lang vor sich hin rollende, monotone Riff-Repetitionen. Diese treiben die Hörer in hypnotische Verzückung oder schiere Verzweiflung. Von Melodien und Refrains oder heiteren Songthemen hält sich Gira aber weiterhin fern, da ist er streng.

Das längste Stück der zweistündigen Passion von The Beggar, getitelt The Beggar Lover (Three), dauert 43 Minuten und 52 Sekunden. Gott gib, dass sie das nicht live spielen. "Ich habe für meine Kunst gelitten, jetzt seid ihr dran": Laut diesem beliebten Motto mag Gira es, wenn sich das Publikum quält. Es finden sich aber auch Meditationen in der Nähe Leonard Cohens wie Michael Is Done oder die elfminütige hymnische Himmelfahrt Ebbing. In dem Lied geht es ums Ertrinken. Fast hätte er uns gehabt, der Michael Gira. (Christian Schachinger, 31.10.2023)

Swans live: am Freitag, 3. 11., in der Arena, 1030 Wien. 19 Uhr

Norman Westberg 19:30

Swans 20:30