Vor etwa einem Jahr sorgte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck für Spott und Häme. Angesprochen auf die steigenden Energiekosten und eine damit verbundene Insolvenzwelle sagte Habeck: "Unternehmen werden nicht insolvent, sondern hören nur auf zu verkaufen."

Zumindest im Fall des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande wirken die Äußerungen des deutschen Ministers nicht mehr ganz so absurd. Insolvenz bedeutet, dass ein Unternehmen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Das ist bei Evergrande seit über zwei Jahren der Fall, aber noch immer beschäftigen der Konzern und dessen Abwicklung die chinesische Wirtschaft.

Autofahrer überqueren eine Kreuzung entlang eines Evergrande-Wohnkomplexes in Peking.
Chinas Bauwirtschaft ist in den vergangenen zwei Jahren stark gewachsen. Hunderte Millionen von Chinesen zogen vom Land in die Stadt und brauchten Wohnraum.
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Am vergangenen Dienstag hatte ein Gericht in Hongkong dem Konzern fünf Wochen gegeben, um seinen Restrukturierungsplan zu überarbeiten. Den hatte das Unternehmen vorgelegt, um eine Liquidierung zu verhindern, also einen Totalverkauf aller Vermögenswerte. Der Plan beinhaltet den Verkauf zweier in Hongkong registrierter Tochterunternehmen, der Evergrande Property Services Group sowie der Evergrande New Energy Vehicle Group (NEV). Damit der Plan umgesetzt wird, müssen die Anleger einer neuen Ausgabe von Anleihen zustimmen. Der mit 300 Milliarden US-Dollar verschuldete Konzern soll also nochmals neue Schulden aufnehmen. Analysten wiesen darauf hin, dass es für Anleger wenig attraktiv sei, einem überschuldeten Konzern nochmals Geld zu leihen.

Der Schwebezustand des weltweit zweitgrößten Immobilienkonzerns lastet seit zwei Jahren auf der chinesischen Wirtschaft, wobei die drohende Liquidierung eher Symptom als Ursache ist. Chinas Bauwirtschaft war in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gewachsen, vor allem um der gewaltigen Urbanisierungswelle gerecht zu werden. Während hunderte Millionen von Chinesen vom Land in die Stadt zogen, entstanden überall in China gewaltige Metropolen. Die Immobilienbranche wuchs angetrieben von billigem Geld immer schneller, und war bald für knapp ein Drittel der Wirtschaftsleistung verantwortlich.

Auslandsschulden als Problem

Im Sommer 2021 zog Peking die Zügel an: Neue Vorschriften erschwerten die Aufnahme frischer Kredite. Dies brachte zahlreiche chinesische Immo-Konzerne in Schwierigkeiten – allen voran Evergrande. Dabei sind die Schulden innerhalb Chinas nicht das größte Problem Evergrandes. Hier kann die Regierung einspringen. Die Zahlungsunfähigkeit des Konzerns betraf die Auslandsschulden.

Die Rolle Hongkongs in diesem Drama ist komplex: Trotz der weitgehenden Aufhebung der Autonomie 2020 ist die Stadt noch immer das Tor Chinas zu den internationalen Finanzmärkten. Hier nehmen chinesische Unternehmen Schulden in US-Dollar auf oder kaufen internationale Anleger Anleihen in Renminbi. Der ursprüngliche Plan der Konzernleitung, seine 23 Milliarden Dollar Auslandsschulden zu restrukturieren, scheiterte im September. Auf dem Festland wurde Konzerngründer Hui Ka Yan verhaftet. Daraufhin untersagten die Behörden auf dem Festland auch die Neuaufnahme von Schulden in Hongkong.

Das Chaos äußert sich auch an der Börse, wo der Kurs des in Hongkong notierten Unternehmens immer wieder Kapriolen schlägt. Als die Krise vor zwei Jahren begann, stürzte der Kurs auf wenige Cent ab. Halbwegs gute Nachrichten führen zu Sprüngen wie Anfang September, als sich der Preis innerhalb weniger Tage verdreifachte. Nach der Verhaftung Huis fielen die Aktien so stark, dass sie vorübergehend vom Handel ausgesetzt wurden. (Philipp Mattheis, 1.11.2023)