Es ist das neueste Kapitel in der Evergrande-Saga: Der Multimilliardär, Gründer und Vorstandsvorsitzende des Immobilienunternehmens, Hui Ya Kan, steht seit kurzem unter Hausarrest. Das will das Wirtschaftsnachrichtenportal Bloomberg unter Berufung auf mehrere Quellen Mitte der Woche erfahren haben.

Hui soll bereits Anfang des Monats von der Polizei an einen geheimen Ort gebracht und dort festgesetzt worden sein. Diese Art des Hausarrests wird oft bessergestellten Geschäftsleuten und Politikern zuteil. Sie muss nicht unbedingt zu einer Anklage führen. Bisher ist nicht bekannt, weswegen Hui verdächtigt wird. Der Vorstandsvorsitzende ist nicht der einzige Evergrande-Mitarbeiter, der aktuell Ärger mit der chinesischen Staatsanwaltschaft hat. Anfang des Monats wurden bereits ehemalige Direktoren sowie Mitarbeiter der Vermögensverwaltung verhaftet.

Eine Hochhäuserskyline in China am Meer.
Der staatliche Druck auf China Evergrande wächst und schürt Furcht vor einem Kollaps des Immobilienkonzerns. Firmengründer Hui Ka Yan wurde unlängst von der Polizei abgeholt und steht unter Beobachtung.
REUTERS/ALY SONG

Huis Hausarrest aber trägt weiter dazu bei, dass das ohnehin geringe Restvertrauen in den einst zweitgrößten Immobilienkonzern des Landes weiter erodiert. Am Donnerstag wurde der Handel mit Evergrande-Aktien in Hongkong ausgesetzt, nachdem die Aktien am Mittwoch um 20 Prozent auf 0,32 Hongkong-Dollar gefallen waren.

Schulden in Milliardenhöhe

Neben den Papieren der Evergrande Group konnten auch keine Anteilscheine der Evergrande-Property-Services-Gruppe und der Evergrande-Gruppe für Elektrofahrzeuge gehandelt werden, wie es in drei Mitteilungen der Hongkonger Börse hieß. Ein Grund wurde darin nicht genannt.

Die Lage ist prekär, denn kein Unternehmen im ganzen Sektor steht mehr in der Kreide als Evergrande. Aktuell geht es beim Konzern darum, Schulden in Höhe von 32 Milliarden US-Dollar umzustrukturieren und dafür die Zustimmung von Gläubigern zu erhalten. Am Wochenende war dieser Plan durchkreuzt worden, da Evergrande nicht die Kriterien für eine Neuaufnahme von Schulden erfüllte. Gleichzeitig läuft ein Antrag auf Liquidation von Evergrande, der am 30. Oktober vor einem Hongkonger Gericht verhandelt werden soll. Eine Gruppe ausländischer Anleihegläubiger will sich anschließen, wenn bis dahin kein Restrukturierungsplan vorliegt. Sollte es dazu kommen, würden die Gläubiger ihr Geld weitgehend verlieren.

Kern der Krise

Der Konzern steht im Zentrum der chinesischen Immobilienkrise. Vor rund zwei Jahren hatte die chinesische Regierung neue Richtlinien für die Neu-Kreditaufnahme des Sektors erlassen. Ziel der Regelungen war es, den überhitzten Sektor langsam zu entschulden.

Für Evergrande aber bedeutete dies, kein neues Geld mehr einsammeln zu können, um alte Gläubiger zu bedienen. Der Milliardenkonzern hatte bereits Züge eines Ponzi-Schemas angenommen. Vor der Konzernzentrale im südchinesischen Guangzhou versammelten sich wütende Anleger und Immobilienbesitzer, deren Häuser nicht fertiggestellt worden war. Die Regierung entschädigte viele Bürger, aber an der Schieflage änderte dies nichts.

Dominoeffekt

Binnen weniger Jahre stieg Evergrande zum größten Immobilienkonzern Chinas auf, doch der Absturz begann 2021, als das Unternehmen mehrere Dollar-Anleihen nicht bedienen konnte. Dies wird als Zahlungsausfall für sämtliche Auslandsbonds gewertet. Evergrandes Schieflage brachte auch Konkurrenten in die Bredouille wie zuletzt Country Garden.

Da die gesamte Immobilienbranche für rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich ist, drückt die Schuldenkrise auf die chinesische Konjunktur und wirkt sich sogar auf die globale Wirtschaftsleistung aus. Für China allerdings ist der Prozess der Entschuldung notwendig. Zwar sind die Schulden des öffentlichen Sektors anders als in westlichen Volkswirtschaften relativ gering. Chinesische Unternehmen aber sind mit 160 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet, ein globaler Spitzenwert.

Folge der Urbanisierung

Dies ist eine Folge der rasanten Urbanisierung, aber auch der großen Infrastrukturpakete, die Peking in den vergangenen 20 Jahren auf den Weg brachte, um im ganzen Land Brücken, Häfen, Zugstrecken und Autobahnen zu bauen. Mittlerweile kommt es selbst in Topgegenden zu einem veritablen Preisverfall. So sind etwa in den besten Lagen in Hangzhou, wo der Konzern Alibaba seinen Sitz hat, und in Schanghai die Preise um 15 bis 20 Prozent eingebrochen. Immer wieder versucht Peking gegenzusteuern: Kürzlich wurden Kreditzinsen gesenkt und die Regeln für den Neukauf von Immobilien wieder erleichtert. So soll das Wachstumsziel von fünf Prozent heuer erreicht werden. Große Sprünge aber sind nicht drin, solange die Krise im Immobiliensektor weiter schwelt. (Philipp Mattheis, 29.9.2023)