Katharina Grosse
XXL-Malerei: Katharina Grosse schreckt vor keinem Ort zurück. Nun nimmt sie die Pfeilerhalle in Besitz.
APA/ROLAND SCHLAGER

Als Allererstes musste der dunkle Holzboden mit weißer Folie abgedeckt werden. Nicht etwa als Schutzmaßnahme, vielmehr der Lichtsituation wegen. Katharina Grosse wollte die Pfeilerhalle der Albertina als komplett weißen Raum – einem Passepartout gleich – in Anspruch nehmen. Die deutsche Künstlerin verwandelte die drei historischen Räume im Erdgeschoß des Wiener Museums in einen wirbelnden Farbenrausch, der weniger einer klassischen Ausstellung als einem begehbaren Gemälde im Werkstatt-Flair gleicht. Ein experimentelles Erlebnis in dem sonst eher braven Museum.

Diesmal ist alles anders. Und wer das Werk der Künstlerin kennt, weiß, dass sich die 62-Jährige nicht mit räumlichen Begrenzungen zufriedengibt. Grosse gilt als einer der gefragtesten Gegenwartkünstlerinnen weltweit. Sie stellte bereits auf der Venedig-Biennale sowie in renommierten Häusern wie dem Hamburger Bahnhof in Berlin oder dem Museum of Fine Arts in Boston (Seite an Seite mit Werken von Jackson Pollock) aus. Seit 2020 wird sie unter die Top 100 des jährlichen Kunstkompasses gewählt.

Bekannt ist Grosse für ihre ausufernde Malerei, die vor nichts haltzumachen scheint, sich als dichter Sprühnebel einfach ihren Weg bahnt. So überfluten ihre Arbeiten nicht nur ganze Ausstellungshallen, sondern auch Architekturen oder Objekte. Auf Einladung des Museum of Modern Art in New York hüllte sie 2016 eine ehemalige Militärstation samt dem umliegenden Gelände am Strand in New York in ein rot-violett-weißes Farbenkleid. Mehrmals verpasste sie Landstrichen einen neuen, leuchtend-knalligen Anstrich.

Katharina Grosse
Mal was anderes: Ein Blick in die Ausstellung "Katharina Grosse - Warum drei Töne kein Dreieck bilden" in der Albertina.
APA/ROLAND SCHLAGER

Eingefärbte Landstriche

Um Malerei in derartiger Dimension, Illusion und erfrischender Freiheit erschaffen zu können, bedient sich Grosse überdimensionaler und unkonventioneller Werkzeuge. Mit Schutzanzug und Maske sprayt sie mithilfe langarmiger Sprühpistolen, die eigentlich für die industrielle Einfärbung von Möbeln gedacht sind, ihre Farben in feinen Nebelschwaden auf Objekte oder Leinwände. Wobei Letztere nicht mit einer Rahmung enden, sondern wie nun in der Albertina vielmehr auf Wände, Decke und Fußboden ausufern.

Eigentlich würde die Künstlerin vor keinem Ort zurückschrecken, sagt sie, nur sich wiederholen möchte sie keinesfalls. Wenn Grosse von einer Institution eingeladen wird, müsse sie dort also etwas Neues schaffen können. So brachte sie nun in Falten gelegte Plastikfolie an die Wände der Pfeilerhalle an, die sie mit Leinwänden in diversen Formaten bestückte. Ihre intensiven Bilder, die sie darauf schuf, lodern dem Publikum förmlich entgegen. Wie Sinnestäuschungen schaffen sie es, eine Tiefe zu suggerieren, die in den Raum greift.

Katharina Grosse
Grosse sprüht mithilfe langarmiger Sprühpistolen ihre Farben in feinen Nebelschwaden auf Objekte oder Leinwände.
Sandro E. E. Zanzinger Photogr

Ephemerer Sprühnebel

Neben kleineren Arbeiten auf Leinwand, die sie auch mit Ästen oder Sträuchern kombiniert, sind ihre ortsspezifischen Werke oft temporär und kaum dauerhaft zu erhalten. So werden zwar die einzelnen Leinwände sowie eine Skulptur aus verknoteten Leintüchern in der Albertina überleben, die Folien jedoch nach Ende der Ausstellung entsorgt.

Dieser ephemere Charakter trägt sicher auch zur Spezialität von Grosses Werk bei. Angela Stief, Chefkuratorin der Albertina Modern, die die Schau in Wien nun betreute, sieht das radikale Aneignen ganzer Territorien durch Grosses Malerei als Besonderheit an. Aus diesem Grund gab es für die Künstlerin nun auch keine Verbote. Lediglich die Lichter sowie die Lüftungsanlagen mussten zuerst verklebt werden, da sich der feine Farbnebel sonst überall festgesetzt hätte.

Seit rund 25 Jahren ist Katharina Grosse, die als Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf tätig war – wo sie auch selbst studierte –, in der internationalen Kunstwelt präsent. Sie wird unter anderem von der König-Galerie in Berlin, der Galerie nächst St. Stephan in Wien sowie den Giganten Gagosian und Max Hetzler vertreten.

Katharina Grosse: Rockaway! | ARTIST STORIES
The Museum of Modern Art

Ein Bett voll Farbe

Begonnen haben Grosses Arbeiten im großen Gestus, als sie 1998 eine Ecke in der Kunsthalle Bern mit grüner Farbe einfärbte. Den Schlüsselmoment markierte eine Aktion 2004, als sie ihr eigenes Schlafzimmer samt Bett und anderen Möbeln mit Farbe überzog. Dieses Jahr gestaltete sie die Reinszenierungen davon als Installation namens The Bedroom: ein ungemachtes Bett samt Daunenbettwäsche, umliegenden Büchern sowie Kleidungsstücken mit rot-gelb-grün-blauen Schlieren.

Kaum zu glauben, dass Grosse, die in Berlin und Neuseeland lebt, auch im Kleinformat malt. Wenn sie im Atelier ist oder sich auf Reisen befindet, greift die Künstlerin durchaus auch zu feinen Pinseln und Aquarellfarben, erzählt sie mit einem Schmunzeln.

Grosse ist eine Künstlerin, die gerne über ihr Werk spricht. Über ganz praktische Techniken, die Wirkung ihrer Arbeit sowie die Dimensionen der Abstraktion darin. Beim Pressetermin in Wien beantwortete sie viele Fragen sehr gewissenhaft, selbst jene, die im Grunde gar nichts mit ihrer Kunst zu tun haben. In vielerlei Weise erfrischend! (Katharina Rustler, 2.11.2023)