Überschwemmung, Griechenland
Überschwemmungen wie dieses Jahr in Griechenland können durch den Klimawandel immer häufiger auftreten. Wie stark die Auswirkungen der Katastrophe ausfallen, liegt allerdings auch an vielen anderen Faktoren.
IMAGO/Theodoris Nikolaou / Eurok

Seit vielen Jahren arbeitet die deutsche Physikerin und Klimatologin Friederike Otto in der sogenannten Zuordnungsforschung. Dabei geht es darum, herauszufinden, wie sehr der Klimawandel für Extremwetterereignisse überall auf der Welt verantwortlich ist. Für ihre Forschung erhielt Otto dieses Jahr den Deutschen Umweltpreis. Was Otto unter anderem feststellte: In vielen Fällen sind nicht hauptsächlich der Klimawandel, sondern viele andere Faktoren daran schuld, dass ein Extremwetterereignis zu einer Katastrophe wird – fehlende Warnungen, schlechte Vorbereitung oder eine derart ungleiche Gesellschaft, in der manche Gruppen wesentlich stärker betroffen sind als andere.

In diesen Tagen veröffentlicht Otto das Buch "Klimaungerechtigkeit". Darin versucht sie, die Verbindungen zwischen dem Klimawandel, Kapitalismus, Sexismus und Rassismus aufzuzeigen. "Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger ist sie in der Lage, mit den Auswirkungen des Klimawandels umzugehen", sagt sie. Technische Lösungen allein werden nicht reichen, den Klimawandel zu bekämpfen. Stattdessen brauche es in Zukunft auch neue Narrative: etwa dass Wohlstand und fossile Energien nicht zwangsweise miteinander verbunden sind und Klimaschutz auch mehr Gerechtigkeit bedeuten muss.

STANDARD: Frau Otto, kürzlich ging die 28. UN-Klimakonferenz in Dubai zu Ende. Sie waren auch selbst bei der Konferenz anwesend. Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Otto: Dubai ist eine Realität gewordene Dystopie und war damit ein sehr passender Rahmen.

STANDARD: Was hat die Klimakonferenz für den Klimaschutz gebracht?

Otto: Die kurze Antwort: nichts. Die längere Antwort: Wir wissen seit mehr als einem Jahrhundert, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Erderwärmung und damit zum Tod von Menschen und Ökosystemen führt. Die einzige Möglichkeit, die Erwärmung zu stoppen, besteht darin, die Nutzung fossiler Brennstoffe einzustellen. Trotzdem dauerte es 28 Klimakonferenzen, bis die Regierungen dieser Welt dies in einem offiziellen Dokument anerkannten. Rein faktisch ist das ein Fortschritt und "historisch". Der gefeierte Kompromiss ist aber keiner zwischen Staaten und den unterschiedlichen Interessen ihrer Bevölkerungen, sondern zwischen den kurzfristigen finanziellen Interessen einiger weniger und der Gesundheit und dem Leben eines großen Teils der Weltbevölkerung.

STANDARD: Viele Menschen verbinden mit den Klimakonferenzen wahrscheinlich zwei Zahlen: 1,5 und zwei Grad – also den Temperaturanstieg, auf den die globale Erderwärmung begrenzt werden soll. Was halten Sie von solchen Grenzen?

Otto: Es ist durchaus sinnvoll, dass es eine Grenze im Pariser Abkommen gibt, auf die man sich global einigt. Aber es wurde nicht kommuniziert, was diese Grenze bedeutet. Es wird immer so getan, als würde uns ein Asteroid auf den Kopf fallen, wenn wir die 1,5 Grad erreichen. Der Klimawandel ist aber keine Klippe, von der wir plötzlich herunterfallen. Für viele Menschen werden sich 1,5 Grad Erwärmung genauso anfühlen wie 1,4 Grad – und viele haben bereits die Auswirkungen von 0,5 oder 0,8 Grad Erwärmung zu spüren bekommen. Noch wichtiger wäre allerdings zu verstehen, dass es beim Klimaschutz nicht nur darum geht, das Klima zu schützen, sondern vor allem darum, Menschen zu schützen.

STANDARD: Sie werden in diesen Tagen das Buch "Klimaungerechtigkeit" veröffentlichen. Auch darin geht es Ihnen um die richtigen Begriffe: Sie schreiben nicht von Naturkatastrophen, sondern nur von Katastrophen, nicht von physikalischen, sondern von sozialen Kipppunkten, nicht von der Klimakrise, sondern vom kolonialfossilen Klimawandel. Reden wir immer noch falsch über den Klimawandel?

Otto: Es herrscht immer noch das Narrativ, dass der Status quo oder das Lebensmodell, das wir heute haben, die beste aller Möglichkeiten ist und dass ein höherer Lebensstandard kausal mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe zusammenhängt. "Wir können doch nicht aus der fossilen Energie aussteigen, wir müssen doch den Lebensstandard erhöhen", sagte der Präsident der Klimakonferenz vor ein paar Wochen. Dass das nicht stimmt, sieht man an Ländern wie den Arabischen Emiraten oder Nigeria. Das sind Länder, die viel Geld verdienen mit dem Verkauf von Öl, aber in denen sich der Lebensstandard für die meisten Menschen nicht erhöht. Ganz im Gegenteil: Durch die Umweltverschmutzung und fehlenden sozialen Standards hat sich das Leben der meisten Menschen noch verschlechtert.

STANDARD: In Ihrem Buch nutzen Sie stattdessen den Begriff "kolonialfossiler Klimawandel". Was meinen Sie damit?

Otto: Das Gesellschaftsmodell, in dem wir jetzt leben, basiert auf der Ausbeutung von Menschen und Umwelt. Fossile Brennstoffe sind schon allein durch die Luftverschmutzung, die sie verursachen, schädlich für Menschen – allen voran für ärmere Menschen, die oft noch stärker davon betroffen sind. Gefördert wurde dieses Gesellschaftsmodell in Europa und den USA, indem man den globalen Süden als unterbezahlte Arbeitskraft zur Förderung der Ressourcen nutzt. Der Klimawandel ist kein Asteroid, mit dem wir umgehen müssen, sondern ein Symptom unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das nach wie vor wenige reich und ganz viele krank macht.

STANDARD: Den bedrohlichen Asteroiden kennen wohl viele Menschen aus dem Film "Don't Look Up".

Otto: Ja, und diese Sichtweise ist sehr problematisch. Denn sie suggeriert, dass wir einfach eine Atomrakete hinschicken können, und dann ist alles wieder gut. Es gibt aber keine technische Lösung für den Klimawandel. Jedes Jahr fließen Milliarden Euro in die Erforschung von CO2-Abscheidung und -Speicherung – also in eine technische Lösung, von der wir genau wissen, dass sie das Problem nicht lösen wird. Denn selbst wenn alles großartig läuft, wird man damit nur einen ganz kleinen Teil der Emissionen irgendwann wieder loswerden. Es gibt viele lokale Maßnahmen, von denen wir wissen, dass sie funktionieren. Dazu zählen eine Veränderung unseres Verkehrssystems oder die Isolierung unserer Häuser. In diese Bereiche fließt jedoch viel weniger Geld. Es ist eben leichter, an technischen Lösungen festzuhalten, weil man dann nichts ändern muss. Man muss sich nicht um den Großteil der Bevölkerung kümmern, sondern kann weiterhin Politik für einflussreiche Lobbygruppen machen.

STANDARD: Ihrer Meinung nach hat die Klimakrise auch viel mit Rassismus und Sexismus zu tun. Inwiefern?

Otto: Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger ist sie in der Lage, mit den Auswirkungen des Klimawandels umzugehen. In Gambia in Afrika sind beispielsweise Frauen oft diejenigen, die in ländlichen Gebieten dafür verantwortlich sind, die Feldfrüchte anzubauen, die für den Eigenbedarf bestimmt sind. Das bedeutet, dass Frauen im Vergleich zu Männern kein Einkommen haben. Wenn es aufgrund des Klimawandels zu Ernteausfällen kommt, stehen viele Frauen vor dem Nichts. Viele Forschungsprojekte haben gezeigt, dass die Zunahme von Hitze schwere gesundheitliche Auswirkungen vor allem auf Frauen hat, die häufiger draußen am Feld arbeiten. Zu dieser Ungleichheit findet man auch in anderen Teilen der Welt ähnliche Beispiele.

STANDARD: Sind die Klimapolitik und die Klimawissenschaft nach wie vor männlich dominiert?

Otto: Ja, und dabei spielen sowohl Sexismus als auch Rassismus eine große Rolle. Klimawissenschaft wird nach wie vor zum großen Teil von weißen Männern aus dem Globalen Norden gemacht. Das Ergebnis: Es gibt unendlich viele Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels im Globalen Norden, aber viel weniger Studien zu den Anpassungsmaßnahmen im Globalen Süden und darüber, wie besonders vulnerable Gruppen mit dem Klimawandel zurechtkommen.

STANDARD: Wer sind diese vulnerablen Gruppen?

Otto: Das sind Menschen, die weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und weniger Zugang zu Informationen haben, die in schlecht isolierten Häusern leben und eher draußen arbeiten. In Burkina Faso sind das vielleicht die Feldarbeiter, in Wien ist es vielleicht die Müllabfuhr. Es sind oft jene Menschen, die als erste in einer Hitzewelle sterben.

STANDARD: Sie sehen Hitzewellen als eine der größten Gefahren durch den Klimawandel. Warum?

Otto: Hitzewellen sind die mit Abstand tödlichsten Extremwetterereignisse. Jedes Jahr sterben allein in Europa tausende Menschen an Hitzewellen. Zum anderen sind Hitzewellen das Wetterereignis, das am stärksten durch den Klimawandel beeinflusst ist. Viele der Hitzewellen, die wir dieses Jahr in verschiedenen Teilen der Erde erlebt haben, hätte es so ohne den Klimawandel nicht gegeben. Als drittes kommt hinzu, dass Menschen bei Hitzewellen nicht einfach tot auf der Straße umfallen. Es sind meist ärmere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen, die in ihren schlecht isolierten Häusern oder im Krankenhaus sterben. Damit bleiben sie für die Mehrheit der Gesellschaft unsichtbar.

Friederike Otto, Klimatologin, Klimawandel
Friederike Otto wurde vor allem durch ihre Zuordnungsforschung bekannt. Dabei bestimmt sie, welche Rolle der Klimawandel bei bestimmten Extremwetterereignissen überall auf der Welt spielt.
Sarah M. Lee

STANDARD: Wie können sich Gesellschaften besser auf zukünftige Hitzewellen vorbereiten?

Otto: Eine ganz wichtige Rolle spielt Information: Wie sehr ist den Menschen die Gefahr von Hitzewellen überhaupt bewusst? Die meisten Menschen in Deutschland können sich gar nicht vorstellen, dass das Wetter auch hierzulande tödlich sein kann. Es braucht rechtzeitig Warnungen, eine Infrastruktur mit gekühlten öffentlichen Gebäuden, in die Menschen gehen können, und öffentlich vorhandenes Frischwasser. In Städten ohne Grünflächen sind die Temperaturen viel höher, als wenn es Bäume und Parks gibt. Auch die Isolation der Gebäude spielt eine große Rolle. Städte und Gemeinden müssen sich fragen, was sie von anderen Gegenden lernen können, die bereits extreme Hitzewellen erlebt haben.

STANDARD: Immer wieder versuchen Menschen, die Schäden, die durch den Klimawandel entstanden sind, einzuklagen. Wie sinnvoll sind solche Klimaklagen?

Otto: Diese Klagen sind unglaublich sinnvoll. Wir können klar zeigen, dass Hitzewellen heißer sind und viel häufiger vorkommen, als es ohne den Klimawandel der Fall gewesen wäre. Wir wissen auch ganz genau, was die Ursachen des Klimawandels sind. Das heißt, wir wissen, welche Konzerne wann wie viel Öl, Gas und Kohle verkauft und verbrannt haben. Gleichzeitig wissen wir auch, dass eben diese Konzerne sehr genau über die Konsequenzen Bescheid wussten und willentlich und mit voller Absicht die Öffentlichkeit in die Irre geführt haben. All diese Puzzlesteine, die man für die Beweisführung braucht, sind ganz eindeutig.

Allerdings gab es bisher noch keine Präzedenzfälle. Das hat in vielerlei Hinsicht dazu geführt, dass solche Klagen abgewiesen wurden, bevor das Beweisaufnahmeverfahren eröffnet wurde. Das hat sich jetzt geändert. Es gibt im Moment viele laufende Klagen. Je mehr solcher Klagen es gibt, desto mehr wird der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass das Geschäftsmodell fossiler Konzerne darauf aufgebaut ist, Menschen zu töten. Sind die Klagen erfolgreich, kann es hohe Summen an Schadenersatz geben, wodurch es sich für die Unternehmen immer weniger lohnt, mit diesem Geschäftsmodell weiterzumachen.

STANDARD: Werden die industrialisierten Staaten langsam ihrer Verantwortung gegenüber dem Klimawandel gerecht?

Otto: Nur in der Rhetorik. Es gibt nach wie vor kaum Geld für Länder im Globalen Süden. Allein die Überschwemmungen in Pakistan letztes Jahr haben 40 Milliarden Euro an Schäden verursacht. Wenn sich Deutschland jetzt hinstellt und sagt, wir stecken 100 Millionen Euro rein und sind diejenigen, die am meisten Geld zur Verfügung stellen, dann stimmt das Verhältnis einfach nicht. So sieht es nicht aus, seiner Verantwortung gerecht zu werden.

STANDARD: Sie erwähnen in Ihrem Buch auch einen sozialen Kipppunkt innerhalb der Klimakrise. Haben die Wetterextreme der vergangenen Jahre bereits zu einem solchen Kipppunkt geführt?

Otto: Der soziale Kipppunkt ist der, an dem eine Gesellschaft tatsächlich bereit ist, sich bei einem großen Thema wie dem Klimawandel zu ändern. Dazu gehört auch, bestimmte Narrative und Ideologien zu überdenken. Wenn die jüngere Vergangenheit einem etwas zeigt, dann, dass Wetterextreme allein nicht ausreichen für diese Veränderung. Es reicht scheinbar nicht aus, dass Menschen sterben.

STANDARD: Was braucht es dann?

Otto: In der Politik braucht es das Ziel, das Leben möglichst vieler Menschen lebenswerter zu machen – und nicht krampfhaft Industrien zu erhalten, die viel Einfluss haben. Gesellschaftlich brauchen wir neue Narrative: darüber, dass sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht Entbehrungen und Verlust, sondern eine höhere Lebensqualität, mehr Gesundheit und Freiheit bringen. Dass mit den richtigen Maßnahmen Wohlstand und Überfluss nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft liegen. (Jakob Pallinger, 29.12.2023)