Der Cobenzl, der Reisenberg, in Grinzing, er scheint es Bettina Balàka angetan zu haben. 2019 tauchte sie mit Die Tauben von Brünn ins 19. Jahrhundert ab. Es war ein Roman über Johann Carl von Sothen (1823–1881), den Bankier und verrufenen Lottokollektanten. Dessen Leben endete durch Kugeln auf dem Cobenzl, dem 382 Meter hohen Berg, der 1774 von Johann Philipp Graf Cobenzl erworben worden war.

Dieser hatte die Villa des ein Jahr zuvor aufgelösten Jesuitenordens zu einem Schlössl erweitern und einen großen Naturgarten plus Meierei anlegen lassen. Nach dem 1810 verstorbenen Adeligen heißt seither umgangssprachlich dieser hohe Grund, damals noch vor den Toren Wiens. Eine Generation später erwarb Karl Freiherr von Reichenbach (1788–1869) das Anwesen. Und musste es ob finanzieller Engpässe 1855 an, voilà, Sothen veräußern. Reichenbach, Ingenieur, Innovator, Naturforscher – er steht im Zentrum von Balàkas neuem Roman Der Zauberer vom Cobenzl.

Allerdings teilt er sich das Zentrum mit seiner Tochter Hermine. Aus der Perspektive der Botanikerin ist der Roman erzählt. Schon ob des schlanken Umfangs ist er eine Ausnahme im ansonsten eher einem leviathanösen Panorama-Format verpflichteten Genre historischer Roman.

Bettina Balàka hat das Genre das historischen Romans schon länger für sich entdeckt.
Alain Barbero

Beim populären Genre Historienroman, das zwischen schwindelerregend trivialen Untiefen à la Iny Lorentz, Tanja Kinkel, Sabine Ebert oder Ken Follett und literarischen Höhen – Hilary Mantel, Robert Ranke-Graves, Leo Perutz, die Kanadierin Esi Edugyan – oszilliert, stellen sich Fragen wie: Roman oder Biografie? Eng der Historie folgend oder "nachempfunden"? Wie nah sind uns die Figuren von einst? Spiegelt Geschichte die Gegenwart – das versuchten deutschsprachige Exilautoren in den 1930er- und 1940er-Jahren, Thomas und Heinrich Mann, Bruno Frank, Lion Feuchtwanger aufzuzeigen –, und warum werden zu welchem Zeitpunkt bestimmte Personen wiederentdeckt?

Historienroman als Trend

Kuriose Literatur-Nebenfolge der letzten Globalpandemie war, dass Autoren, des historischen Romans unverdächtig, dieses Genre für sich entdeckten. So ließ 2022 der in Wien lebende Historiker Philipp Blom seine Diebe des Lichts in der Renaissance spielen, publizierte der hochbelesene, in Zürich lebende Essayist Markus Gasser einen Roman über Daniel Defoe (Die Verschwörung der Krähen) und der deutsche Kulturreporter Dirk Schümer sein satt ausgemaltes Historien-Pasticcio Die schwarze Rose. In diesem Herbst ging es munter weiter, mit der Schümer-Fortsetzung Die schwarze Lilie, mit Adam Thirlwells Die fernere Zukunft, Hans Pleschinskis Rokoko-Roman Der Flakon oder Thomas Willmanns in derselben Zeit angesiedeltem 960-Seiten-Wälzer Der eiserne Marquis.

Balàkas Interesse an Geschichte ist älter. 2006 schon veröffentlichte sie mit Eisflüstern einen im Jahr 1922 situierten Roman mit kriminalistischen Motiven.

Der Zauberer von Cobenzl nun ist ein via verbürgte Fakten nacherzähltes Spiel um Sachlichkeit und Poesie, nüchterne Aufklärung und final verbohrt verfolgte, abseitige Theoreme.

So sucht Reichenbach nach dem "Od", wie er es nennt, ein quasi-elektrisches Fluidum, spezielle Emanationen, die von Körpern und Leichen ausgehen, heuert dafür angeblich medial Begabte an und ruiniert in jeder Hinsicht seine Reputation, seine Familie, seine Existenz. Über die "Dynamide des Magnetismus" und die "odische Lohe" schrieb Reichenbach vieles, das nur belächelt wurde.

Hermine, die von früh an wissenschaftlich Interessierte – im Gegensatz zu ihrer jüngeren, hochmusikalischen Schwester Ottone –, versucht, in seine Fußstapfen zu treten, distanziert sich von ihm und stößt an sehr zeitgebundene Konventionsgrenzen, an Begrenzungen des Wissens.

Offenes Geheimnis

Sie ist intellektuell brillant und neugieriger als die Männer um sie herum – und muss doch heiraten. Sie publiziert Fachaufsätze – und muss es doch unter der Autorenangabe "Von einem Unbekannten" tun, was in den einschlägigen Wiener Kreisen allerdings ein offenes Geheimnis ist.

Leicht schreibt Balàka. Angenehm und klug erzählt sie, mit einer entspannten Dramaturgie. So ist nicht jedes Detail manieriert tiefennaturalistisch ausgepinselt, einige Exkurse führen anmutig mäandernd vom Eigentlichen fort.

In diesem Roman hat Bettina Balàka, die nach einem Ausflug zum Zsolnay-Verlag wieder zum Haus Haymon zurückkehrte, einige der melodiösesten Sätze und durchrhythmisiertesten Passagen ihrer ganzen Karriere zu Papier gebracht. (Alexander Kluy, 5.11.2023)

Bettina Balàka, "Der Zauberer vom Cobenzl". € 20,– / 248 Seiten. Haymon, Innsbruck 2023
Haymon Verlag