Mit einer Geschichte aus der Perspektive einer Riesenkalmarin schließt sich Luca Kieser der Tentakelbegeisterung der deutschsprachigen Themenliteratur der vergangenen Jahre an.

Dass Tentakel derzeit beliebt sind, bestätigt auch die Aufmerksamkeit, die dem Debütroman gerade zuteilwird: Nicht zuletzt hat er es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft.

Ausgehend von Donna Haraways Theorien zu einer menschlichen Existenz im Zeitalter des Anthropozäns ist "Tentakuläres Denken" ein wichtiger Orientierungspunkt für das gegenwärtige Erzählen geworden. Keine "runde" oder "geschlossene" Geschichte, keine menschenzentrierte Beobachtungsliteratur, dafür umso häufiger der Verweis auf die Eingebundenheit der Spezies Mensch ins globale Ökosystem.

Mit seinem Buch wurde Luca Kieser auch für den deutschen Buchpreis nominiert.
Nikolaus Stein

Was bei Kieser tentakuläres Erzählen bedeutet, wird am offensichtlichsten anhand der Form. Die Kapitel sind aus den Perspektiven der zehn Arme einer Kalmarin geschrieben: tentakuläres Erzählen also wörtlich genommen.

Eine gute Idee, wenn man berücksichtigt, dass das Gehirn des Tieres in Verästelungen bis in die Spitze eines jeden Tentakels reicht und folglich Denkprozesse in alle möglichen Richtungen führen.

Insgesamt fasst der Text rund 200 Jahre Geschichte. Die Arme sind allesamt nach einem Attribut benannt. "Der Hehre" ist für die an manchen Stellen etwas überfrachtete Wissensvermittlung zuständig (Stichwort: Nasa, Krill oder "Hauswirtschaftliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht"). "Der Süße" wiederum erzählt von Sanja, einer jungen Praktikantin auf einem Frosttrawler, die sich um einen gefangenen Kalmar sorgt und deren Tagebuch ebenfalls im Roman aufgenommen wird. Teils wirken diese Einträge hölzern jugendsprachlich, teils gelungen, ein wenig Überarbeitung hätte da sicherlich nicht geschadet.

Der Penis eines Autors

Dann gibt es noch Dagmar, die einen Kalmar nach Deutschland bringen soll, mindestens ein Dutzend Vorfahren Dagmars und Sanjas sowie Einschübe aus der Popkultur. Stichwort: Jaws, Disney oder Jules Verne. Anhand dieser großen Namen klingt im Text zumindest immer wieder an, dass das Meer mit Angst besetzt war und ist.

Sprachlich am konsequentesten gearbeitet sind die Passagen, die weniger von den großen Themen erzählen als zum Beispiel aus der Kindheit einer deutschen Schäferstochter. Auch die Perspektive des "Neuen Arm", der Penis eines jungen Autors, ist lesenswert und führt am Ende des Romans noch zu einem Exkurs über männliche Scham. Vieles kann vor dem Nebensatz "weil da war etwas im Wasser" stehen: Angst, Scham, ein Schiff oder eben eine Kalmarin. Es gibt viele Möglichkeiten.

Weil da war etwas im Wasser ist weniger ein Roman als eine Bündelung verschiedener fragmentierter Erzählstränge, die leider besonders anfangs durch Wortwiederholungen oder überflüssige Zeitangaben (Stichwort "dann" als handlungsstrukturierendes Element) ihren Reiz verlieren. Manchmal folgt man nur mehr kleinsten Handgriffen, deren Erwähnung für die Szene keinen Mehrwert mehr hat und wo ein wenig Straffung geholfen hätte. Stattdessen vielleicht ein paar zusätzliche Kalmar-Unterwasserszenen. Da wäre interessant geworden, was noch alles mit der schiefen, bildlichen und sinnesbetonten Sprache Kiesers passiert.

Ein ambitioniertes Debüt, das dem Kalmar in den Rankings der beliebtesten Tiere des Literaturbetriebs weiterhin einen guten Platz sichert. (Helene Proißl, 5.11.2023)

Luca Kieser, "Weil da war etwas im Wasser". € 27,– / 320 Seiten. Picus, Wien 2023
Picus Verlag