Julya Rabinowich ließ sich für die Figuren ihres Jugendromans von Erzählungen von aus dem Krieg Geflüchteten und deren Angehörigen inspirieren.
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Der Krieg ist vorbei. Doch die Wunden von Madina und ihrer Familie sind immer noch da. Julya Rabinowichs neuer Jugendroman Der Geruch von Ruß und Rosen begleitet die Teenagerin Madina, die mit ihrer Familie vor einem Krieg aus einem wohl muslimischen Land geflohen und zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hin- und hergerissen ist. Es ist nach Dazwischen: Ich und Dazwischen: Wir der bereits dritte Roman über die junge Frau.

Madina ist mit ihrem Bruder, ihrer Mutter, Tante und Großmutter in ihrer neuen Heimat und bei einer hilfsbereiten Familie angekommen und lebt in Sicherheit. Und doch steht sie zwischen den Welten: Einerseits genießt sie die neuen Freiheiten, die ihr ihre beste Freundin Laura aufzeigt. Andererseits zieht es sie auch zurück in die alte Heimat mit all ihren Erinnerungen und vor allem dem Vater, der dort verschwunden ist. Dieser Zwiespalt wird durch die Begegnung mit Becca verdeutlicht, die vor demselben Krieg geflüchtet ist und ihr vorwirft, sich zu sehr anzupassen.

Schließlich bricht Madina mit ihrer Tante Amina in einer gefährlichen Nacht-und-Nebel-Aktion in die alte Heimat auf. Sie spürt ihren Vater tatsächlich in einem Kellerloch auf, befreit ihn, fast wie ein tapferer Prinz im Märchen, und bringt ihn zurück zur Familie – und doch bleibt ihnen allen das Happy End verwehrt.

Denn der Vater kommt in der neuen Heimat der Familie nicht an, kann die Unabhängigkeit seiner Tochter nicht akzeptieren und mit der Vergangenheit nicht abschließen. Er trinkt zu viel und will Madina ihre hart erkämpften Freiheiten nehmen. Die Familie, die den Krieg überstanden hat, zerfällt in der neuen Heimat. Und die geheimnisvolle Tante, die weder hier noch dort ihren Platz gefunden hat und durch ihr selbstbestimmtes Leben ein Vorbild für Madina war, stirbt unter rätselhaften Umständen. Sie hinterlässt Fragen, eingenäht in ihre Kleidung.

Trauer und Hoffnung

Rabinowich weiß ganz eindeutig, wovon sie spricht: Sie ließ sich für die Figuren von Erzählungen von aus dem Krieg Geflüchteten und deren Angehörigen inspirieren. Das merkt man auf jeder Seite. Die Charaktere sind glaubhaft, vielschichtig und stets hin- und hergerissen zwischen Trauer, Schuldgefühlen und Hoffnung. Auch die atmosphärische Beschreibung ist überaus gelungen. So spielt beispielsweise die Beschreibung von Gerüchen, die sich bei vielen ja ganz besonders in die Erinnerung eingraben, eine wichtige Rolle. Es gibt zum Beispiel gute Duftnoten, etwa Lavendel, und schlechte wie verfaultes Obst.

Den Krieg, um den es geht, belässt die Autorin unbenannt. Letztendlich ist der Ort des Geschehens aber auch unbedeutend, weil die Gräuel und Traumata sich in allen Konflikten auf der Welt immer wieder ähneln. Genau wie die Frage, wie man so viel Furchtbares überwinden kann. Madina zeigt eine Möglichkeit auf. Sie ist eine starke junge Frau – auch weil sie sich Hilfe in Form von Therapie und Gesprächen sucht. Und noch etwas zeigt Madinas Schicksal: Familie ist mehr als Mutter, Vater, Kind – denn auch die bunte Patchworkfamilie der besten Freundin Laura wird zu Madinas Heimat.

Erzählt wird das alles in der Form von – teils recht kurzen – Tagebucheinträgen. Es dauert ein wenig, bis man sich an diese Erzählform und auch an die Sprache gewöhnt, die nicht immer nach einer jungen Frau klingt. Mit dem Aufbruch in die alte Heimat nimmt die Geschichte aber Fahrt auf, sodass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen will.

Der Coming-of-Age-Roman sorgt sicher nicht nur bei jungen Leserinnen und Lesern für Gesprächsstoff – und er ist, das zeigt ein Blick auf die Weltlage, leider aktueller denn je. (Franziska Zoidl, 4.11.2023)

Julya Rabinowich, "Der Geruch von Ruß und Rosen". € 19,– / 240 Seiten. Hanser, Berlin 2023
Hanser Verlag