Anna Neata verwebt die vielfach unausgesprochenen Erfahrungen der drei Frauen geschickt mit Ausschnitten österreichischer Zeitgeschichte.
Gerald von Foris

Toxische Beziehungen, Abtreibungen, Suizidversuche: Es sind einige Packerln, die die Elli, die Alexandra und die Eva zu tragen haben. Nur: Gesprochen wird nicht darüber. In Anna Neatas Debütroman Packerl sind es die Leserinnen und Leser, die in episodischen Kapiteln mehr erfahren als die drei Frauen voneinander, die gleichzeitig Großmutter, Mutter und Tochter sind.

Etwa dass sowohl Elli in den 1950er-Jahren als auch ihre Tochter Alexandra 20 Jahre später aus toxischen Beziehungen fliehen. Oder dass sich Alexandra in den 1970ern wie ihre Tochter Eva 30 Jahre später gegen eine ungewollte Schwangerschaft entscheidet.

Biografische Parallelen

Dreh- und Angelpunkt für die drei Protagonistinnen, deren Biografien einen Bogen von den 1940ern bis in die Gegenwart spannen, ist das familieneigene Haus in Salzburg. Es ist der Ort, der verschwiegene Erinnerungen speichert und an den die drei immer wieder zurückkommen.

Die Autorin, die 1987 in Oberndorf bei Salzburg geboren wurde, beschreibt die knackende Holztreppe darin etwa als personifizierte Geschichtenverwahrerin: "Es war, als hätten sich die Schritte, die Geschichten, so in das alte Nussholz eingeschrieben, dass die Stufen sich dann und wann auch einmal erleichtern mussten."

Da sie Kinder ihrer Generation sind, verwebt Neata die vielfach unausgesprochenen Erfahrungen der drei Frauen geschickt mit Ausschnitten österreichischer Zeitgeschichte: Elli fiebert in den 40er-Jahren der BDM-Verpflichtung entgegen, Alexandra weint in den 80er-Jahren Kreisky als glühende Verehrerin der Sozialdemokratie nach, Eva feiert 2019 auf dem Ballhausplatz die Folgen des Ibiza-Skandals.

Österreich findet sich aber auch in der Sprache: zum einen in bewusst gewählten österreichischen Formulierungen, wie dem Packerl im Titel und den umgangssprachlichen Artikeln vor den Namen der Figuren. Zum anderen aber auch in den teils langen, verschachtelten Sätzen, die nicht immer sofort zum Punkt kommen, aber dennoch ins Schwarze treffen.

Anna Neata stellt in ihrem gelungenen Generationen- und Familienroman die Frage nach Parallelen in weiblichen Biografien, nach Schuld, nach weitergegebenen Packerln. Zwar bleiben manche Geschichten bis zum Schluss im Dunkeln, der Roman macht aber dennoch Hoffnung: Denn es gelingt Eva, der jüngsten der drei Frauen, die Packerln ihrer Familie – versinnbildlicht "in einer Mappe und zwei Schuhkartons" – schlussendlich auch zu öffnen. (Anna Wiesinger, 4.11.2023)

Anna Neata, "Packerl". € 24,50 / 368 Seiten. Ullstein, Berlin 2023
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