Simulationsbild Einschlag Protoplanet Theia auf Erde
So könnte der Einschlag des Protoplaneten Theia auf der Erde ausgesehen haben.
Hernán Cañellas

Wir alle bestehen aus Sternenstaub, heißt es, und gehen auf die kosmische Ursuppe zurück, die mit dem Universum vor mehr als 13 Milliarden Jahren entstand. In den Gaswolken aus Helium und Wasserstoff entstanden durch die wirkenden Anziehungskräfte die ersten Sterne, in denen wiederum unvorstellbar hohe Temperaturen vorherrschten, die neue chemische Elemente produzierten. Unserem heutigen Wissensstand zufolge ist es einer einzigartigen Konstellation von Ereignissen zu verdanken, dass sich daraus vor etwa 4,6 Milliarden Jahren das Sonnensystem des Planeten Erde bilden konnte, auf dem sich Leben in seiner heute hochkomplexen Form entwickelte.

Dabei waren die Bedingungen zu Beginn äußerst unwirtlich, dafür aber höchst spektakulär. Wie man heute weiß, krachte die Ur-Erde kurz nach der Entstehung des Sonnensystems mit einem Protoplaneten zusammen, der ungefähr so groß war wie der Mars. Dieser Himmelskörper wird als Theia bezeichnet. Der Name geht zurück auf die griechische Mythologie: Die Titanin Theia ist die Tochter von Gaia und Uranos und brachte Mondgöttin Selene zur Welt. Auch wenn der gleichnamige Protoplanet nicht aus der Erde entstanden ist, spiegelt diese Geschichte doch teilweise kosmologische Verläufe wider. Immerhin entstand bei dem Crash der Titanen, also dem Zusammenprall von Theia und Erde vor 4,5 Milliarden Jahren, auch der Mond.

Collision video
Das Simulationsvideo der Forschungsgruppe zeigt, wie die Kollision von Erde und Theia abgelaufen sein könnte.
NPG Press

Wie sich dieses folgenschwere Ereignis zugetragen hat, beschäftigt Astrophysikerinnen wie Geologen seit langem. Sie füttern heute Modelle, die simulieren, was damals unter fixierten Umständen geschehen sein könnte. Daran machte sich auch ein US-amerikanisch-chinesisch-britisches Forschungsteam, dessen Studie kürzlich im Fachmagazin "Nature" erschien. Sie untermauern die Annahme, dass sich Reste von Theia nicht nur im Mond, sondern auch im Erdmantel befinden. Die Überreste befinden sich demnach in ungefähr 2.900 Kilometern Tiefe, in der Nähe der Grenze zum Erdkern (das Zentrum der Erde liegt etwa 6.400 Kilometer tief).

Rätselhafte Anomalien

Zwei bisher rätselhafte Regionen erhöhter Dichte lassen sich als Ansammlungen von Theia-Materie erklären, schreiben die Wissenschafter in "Nature". "Seismische Untersuchungen des Erdinneren zeigen zwei kontinentgroße Regionen, in denen sich seismische Wellen ungewöhnlich langsam ausbreiten", schreibt Qian Yuan von der Arizona State University mit seiner Forschungsgruppe. Sucht man sie unter der Erdoberfläche, so könnte man sie unter dem Pazifik und unter dem afrikanischen Kontinent verorten.

Simulationsbild Einschlag Protoplanet Theia auf Erde (in der linken Hälfte) und wie die Erde und ihr Mond heute aussehen (rechte Hälfte).
Vergleich vor 4,5 Milliarden Jahren und heute: Aus der Kollision von Erde und Theia entstand auch unser Mond.
Hernán Cañellas

Weshalb diese eigenartigen Anomalien überhaupt existieren, konnten Fachleute lange Zeit nicht gesichert erklären. Diese Bereiche sind besonders dicht, im Vergleich um zwei bis vier Prozent dichter als das sonstige Mantelmaterial, das sie umgibt. Die neue Studie unter der Leitung des Geologen Paul Asimow vom California Institute of Technology und des Physikers Vincent Eke von der Universität Durham in Großbritannien demonstriert einen plausiblen Vorgang, wie die eigenartigen Massen in den Erdmantel kamen.

Die virtuellen Simulationen zeigen, dass derartige dichte Bereiche auf immense Kollisionen zurückgehen dürften. Das macht es wahrscheinlich, dass diese dichten Zonen im Erdmantel einst zum Protoplaneten Theia gehörten. Genauer gesagt dürfte es sich um einen Teil von Theias Mantel handeln, der sich beim Zusammenprall wohl in den unteren Erdmantel bewegte. Die Trümmerteile dürften bis zu fünfzig Kilometer lang gewesen sein und sanken wohl an den Grund des Erdmantels, bevor sie in der Nähe des Kerns zusammentrafen.

Die gemessene Dichte passt gut zur errechneten. Dafür zog die Forschungsgruppe Daten des Mondes heran, der immerhin ebenfalls aus Material von Erde und Theia zusammengesetzt ist. Der Mondstaub, den Astronauten von den mehr als 50 Jahre zurückliegenden Mondmissionen zurückbrachten, ist einfacher im Chemielabor zu analysieren als die Tiefen des Erdmantels. Das tiefste von Menschen gegrabene Loch befindet sich auf der russischen Halbinsel Kola und reicht knapp 12,3 Kilometer hinunter. Die Erdkruste, die über dem Mantel liegt, liegt je nach Region direkt unter dem Tiefseeboden oder ist bis zu 70 Kilometer dick.

Simulationsbild Einschlag Protoplanet Theia auf Erde
Die Forschungsgruppe lieferte mit der Publikation mehrere beeindruckende Bilder, die die Kollision veranschaulichen. Theia-Material dürfte sich noch heute im Erdmantel verbergen.
Hongping Deng, Hangzhou Sphere Studio, China

Spuren auf Hawaii

Doch auch an der Erdoberfläche gibt es womöglich Spuren der Theia. So wurde auf den hawaiianischen Inseln Basaltgestein vulkanischen Ursprungs entdeckt, das überraschende Ähnlichkeiten mit bestimmten Mondgesteinen aufweist. Die Fachleute vermuten, dass dieser Basalt ursprünglich auf Material aus dem Erdmantel zurückgeht, das mit dem Protoplaneten in den Mantel kam.

Die Experten gehen davon aus, dass auch andere Planeten in ihrem Inneren ähnliche Anomalien beherbergen, die auf gewaltige Zusammenstöße gegen Ende der Planetenentstehung zurückgehen. Die Simulation könnte also auch ähnliche Prozesse zeigen, die bei anderen Planetenkollisionen abgelaufen sind. Schon vor einem Jahr zeigte ein anderes Forschungsteam, wie der Zusammenstoß von Erde und Theia und die Entstehung des Erdtrabanten abgelaufen sein könnte. Womöglich bildete sich der Mond demnach innerhalb von nur wenigen Stunden.

New Supercomputer Simulation Sheds Light on Moon’s Origin
A new NASA and Durham University simulation puts forth a different theory of the Moon’s origin – the Moon may have formed in a matter of hours, when material from the Earth and a Mars sized-body were launched directly into orbit after the impact.
NASA's Ames Research Center

Noch ist nicht ganz klar, woher der Protoplanet Theia stammte. Vor wenigen Jahren fand eine Forschungsgruppe jedoch Hinweise darauf, dass er nicht wie lange angenommen aus dem Zentrum unseres Sonnensystems kam, sondern aus der Peripherie. Dies könne sogar dafür sprechen, dass bei diesem Einschlag Wasser auf die Erde kam – und damit eine der Grundvoraussetzungen für Leben auf der Erde, wie wir es kennen. (sic, 5.11.2023)

Was passiert, wenn der Mond in die Erde kracht?
Ein noch fantastischeres Video zum Sonntag widmet sich dem schaurigen Gedankenspiel, was geschehen würde, wenn sich der Mond auf die Erde zubewegen würde.
Dinge Erklärt – Kurzgesagt