Stefanie Werger nannte sie einst einen
Stefanie Werger nannte sie einst einen "Nougatknödel ohne Füllung". Böse ist Melissa Naschenweng ihr deshalb nicht. Denn jede Kritik war der Musikerin Ansporn, noch besser zu werden.
Angelo Lair

Ohne Lesachtal zu kennen, aber so stellt man sich die Bewohnerinnen der kleinen Kärntner Gemeinde nicht vor: schwarzer Minirock, pinkes Oberteil, Make-up, das blonde Haar sitzt, wie es sein soll. Melissa Naschenweng tritt aus dem Hotellift und steht da wie die Marke, die sie ist. Ein wenig distanziert zuerst, einmal checken, mit wem sie es zu tun hat. Im Gespräch offenbart sie sich dann schnell als herzlich und lustig; was sie sagt, ist frei von Floskeln, kein Medientraining verstellt die Sicht auf ihr Wesen. Aber gekleidet ist sie, als ginge es nach dem Frühstück direkt auf den Red Carpet. Tatsächlich war sie am Vorabend auf einem solchen: bei der Filmpremiere von Pulled Pork, einem österreichischen Film von Andreas Schmied mit Pizzera & Jaus – und eben ihr: "Ich glaub, ich bin die erste Kleindarstellerin, die es mit nur zwei Minuten im Film gleich aufs Plakat geschafft hat", wird sie später sagen. Es ist ein Indiz ihres Erfolgs.

Mein Herz schlägt Schlager

Schauspielen kann sie sich künftig öfter vorstellen, bekannt ist sie jedoch als Musikerin. Seit 2011 hat sie sechs Studioalben veröffentlicht und fünf Amadeus Awards gewonnen. Melissa Naschenweng ist eine der erfolgreichsten heimischen Vertreterinnen der volkstümlichen Musik und des Schlagers. Glücklich ist sie mit diesen Schubladen nicht, aber sie spielt halt Ziehharmonika, singt traditionelle Lieder sowie jene Form des zeitgenössischen Schlagers, der bei Rockmusik und Pop anstreift.Bekannt wurde sie mit Liedern wie I steh auf Bergbauernbuam,Traktorführerschein oder Lederhosenrock. Diese Titel versieht sie in den Videos mit einer genretypischen Sexyness: Hot Pants im Stall, vielsagende Blicke am landwirtschaftlichen Gerät.

Die Bierzelt-Barbie

Im deutschsprachigen Raum und dem speziellen Universum des Schlagers ist sie schwer angesagt. Zuschreibungen wie Alpen- oder Bierzelt-Barbie wurden für sie erfunden, nicht immer aus Verehrung. Naschenweng bemerkt, je mehr Erfolg sie hat, desto mehr Leute nörgeln. Doch da Barbie ohnehin gerade als hip gilt, kann sie damit gut leben.

Naschenweng ist so etwas wie eine Botschafterin des Landlebens. Das trifft einen Zeitgeist, andererseits muss sich die 33-Jährige dafür nicht verbiegen. Sie ist eine Wirtshaustochter, ging sonntags immer brav in die Kirche, kennt den Unterschied zwischen Früh- und Dämmerschoppen. Worüber andere nur singen, sie hat es erlebt.

Lesachtal ist immer noch ihr Zuhause und ihr Rückzugsgebiet: Es ist der Ort, an dem sie nicht funktionieren muss. Da kann sie ungeschminkt in der Trainingshose herumrennen, mit dem Mountainbike zum Wolayer See fahren oder mit dem Hund spazieren gehen. Wobei sie selbst dort schon von Fans belagert wird. Das bringt sie in die Bredouille.

Mein Herz schlägt Schlager

Denn sie fühlt sich ihren Anhängern verpflichtet, weiß, was sie ihnen verdankt. So wie dem Opa und dem Papa. Als angesichts ihrer musikalischen Ambitionen manche meinten, das kann nix werden, hat der Opa ihr erstes Album finanziert, und der Papa ist mir ihr im Auto quer durch Europa gefahren, von einer Disco zur nächsten. Das waren Ochsentouren.

"Zu Beginn war ich froh, wenn 80 Leute da waren und sich nur 20 weggedreht haben." Deshalb schüttelt sie jedes Mal den Kopf, wenn sie Senkrechtstarterin genannt wird. "Von wegen. Wenn ich daran denke, wie ich mit 20 angefangen haben, das war unterirdisch." Sie erzählt von sieben langen Jahren des Herumtingelns, von Schweiß und Tränen, aber auch dem Willen, durchzuhalten.

Austropop-Urgestein Stefanie Werger hat sie in dieser Zeit einmal im Fernsehen als "Nougatknödel ohne Füllung" bezeichnet. Autsch. Doch Kritik und Rückschläge haben sie bloß noch stärker motiviert, sie ist diesen Leuten nicht böse. In solchen Momenten musste sie bloß an ihr großes Idol Hermann Maier denken. Der Skistar hat es auch gegen alle Widerstände ganz nach oben geschafft.

"Hör auf, wir sperren zua!"

Gewendet hat sich das Schicksal mit Bergbauernbuam – das Lied befindet sich auf ihrer 2019 erschienenen CD Wirbelwind. Da merkte sie, da tut sich was. Plötzlich waren die Discos voll. Ihre Auftritte dauerten meist von ein Uhr bis zwei Uhr morgens, danach gab sie stundenlang Autogramme und ließ sich mit Fans fotografieren. Oft sind die Securitys gekommen und haben gesagt: "Hör auf, wir sperren zua!" Aber sie wollte niemanden enttäuschen, signierte bis zum Umfallen. Solche Anekdoten erzählt sie mit einer leicht heiseren, kräftigen Stimme, aus der man die Anstrengungen dieser Zeit herauszuhören meint.

Mein Herz schlägt Schlager

Obwohl sie heute vor mehreren Tausend Menschen auftritt, pflegt sie ihre Demut. Das zählt zu den Werten, die sie zu Hause erfahren hat. "Mir ist mitgegeben worden, dass ich allen mit offenem Herzen begegne, dass alle Menschen gleich sind." Das verpflichtet.

Naschenweng kommt aus einer musikalischen Familie. Sie hat im Kirchenchor gesungen und bei einer Bauernkapelle gespielt. Auf dem Gymnasium konnte sie, wie sie sagt, eine ziemliche Krätz’n sein, ewig dagegenreden, war Klassensprecherin und wollte nach der Schule in Graz Jus studieren: "Was G’scheit’s lernen." Den ersten Studienabschnitt hat sie absolviert, doch die Begeisterung für die Musik war am Ende größer. "Ich hab das so mitgekriegt, dass man das, was man gerne macht, irgendwann auch gut macht. Und ich hab das in mir gespürt. Und mein Opa: Der hat immer gesagt, mein Mädel schafft das."

Bitte ein bisserl Gaudi

Mit dem Erfolg kamen neue Herausforderungen. Ein Management, eine eigene Band, mehr Verantwortung, die Rolle als Chefin sowie eine erhöhte Aufmerksamkeit vonseiten der Öffentlichkeit. Da musste Naschenweng manches nachjustieren. Früher fand sie es abgehoben, wenn andere Stars deren Fans auf Distanz gehalten haben, das wollte sie nie. "Aber wenn ich im Hotel zum Frühstück gehe, will sofort jemand ein Foto, und es ist dann schwer zu erklären, das man das jetzt nicht will. Ich tu mir so schwer, Nein zu sagen." Leicht fiel ihr dieser kleine Rückzug nicht, wieder hatte sie den Opa im Ohr: "Denk dran, egal, wie groß die Bühne ist, vergiss nie, wo deine Wurzeln sind und woher du kommst. Bleib am Boden!"

Trotzdem frühstückt sie mittlerweile auf dem Zimmer, denn jede Stunde, in der sie nicht funktionieren muss, ist kostbar geworden. Wenn es die Zeit erlaubt, schaut sie ein bisschen fern, leicht Verdauliches zur Zerstreuung. "Das ist jetzt peinlich, aber ich steh total auf Mein cooler Onkel Charlie."

Melissa Naschenweng genießt es, wenn sie einmal nicht funktionieren muss. Oft ist das nicht.
Melissa Naschenweng genießt es, wenn sie einmal nicht funktionieren muss. Oft ist das nicht.
Heribert Corn

Naschenweng ist bewusst, dass ihre Musik nicht bei allen hoch angeschrieben ist. Dass Rainhard Fendrich die Musik eines Andreas Gabalier einmal als Gaudimusik abtat, kommentiert sie so, dass das dann wohl auch auf ihre zuträfe. Fendrich findet sie zwar mega, so wie Helene Fischer oder Sarah Connor, dennoch will sie das nicht auf sich sitzen lassen.

"Jeder soll seine Art der Musik machen. Und wenn man so erfolgreich ist wie der Andreas oder die Helene, dann muss man das so stehenlassen. Heute ist alles immer schrecklich ernst, alles nur noch Drama, jeden Tag geht gleich die Welt unter. Mir machen auch viele Sachen Angst, ich verfolge natürlich die Nachrichten. Aber soll man deshalb die Leute in die Depression eintauchen? Ich glaube, jeder will im Leben eine bisserl eine Gaudi haben. Das ist nichts Schlechtes."

Gegen Mobbing im Netz

Bevor sie die Bühne für ein Konzert betritt, hört sie genau solche Musik, um sich einzustimmen. Dabei hat sie durchaus anderes im Repertoire. "Wenn ich an das Lied Kompliment denke, ist das von der Aussage her für einen Schlager sehr untypisch. Oder Amelie (pass auf auf di). Dasist leider nicht sehr erfolgreich geworden, aber da geht es um Mobbing im Netz. Da setz ich mich für Jugendliche ein, die im Netz unterwegs sind und ihr Selbstwertgefühl davon abhängig machen, was andere über sie sagen. Das hat mit Schlager gar nix zu tun. Ich glaube, deshalb ist auch so viel los bei meinen Konzerten, weil ich ganz Verschiedenes spiele. Und ich bemerke viele Kinder im Publikum. Das ist toll, das ist die nächste Generation, und wenn ich denen ein bisserl Vorbild sein darf, nehm ich das gerne an."

Wobei es ein Lied gibt, bei dem es ihr etwas unangenehm ist, wenn die Kinder dabei mitsingen. Das heißt Difigiano. Ein Scherz, den sie heute als Fehler betrachtet. Ein Lied mit einem anlassigen Titel, das im Text selbst aber mit keinem Wort darauf eingeht, was der Titel suggeriert. Natürlich ist es einer der Songs, die live besonders Stimmung machen.

Juris Georg

Im Netz wurde sie deshalb verrissen. Typisch blond, nix kapiert, hat es da geheißen. Dass Social Media gnadenlos sind, weiß sie. Da muss sie einiges aushalten. "Für die einen bin ich zu dick, für andere zu dünn, aber man kann es nicht allen recht machen." Ungeachtet solcher Erfahrungen nennt sie Social Media ihr Hobby. Jeder ihrer Follower ist echt, keiner zugekauft, die Betreuung ihrer Accounts ist ausnahmslos ihr selbst vorbehalten.

Mit ihrer Musik hält sie Tradition und Brauchtum hoch und damit eine eher konservative Weltanschauung, aber dazu steht sie. Feminismus ist da kein großes Thema. In ihrem Unternehmen ist sie die Chefin, da muss sie sich nicht behaupten. Aufs Gendern verzichtet sie und fühlt sich trotzdem angesprochen. Sie weiß, dass das manchen nicht passt, aber sie findet Chancengleichheit und faire Bezahlung wichtiger. Außerdem muss sie ständig Entscheidungen treffen, sie hat anderes im Kopf.

Die Sache mit der Zufriedenheit

Zum Beispiel, wie sie mit dem Erfolg umgehen soll. Der freut sie, insbesondere für ihren Papa, weil er dessen Vertrauen in sie bestätigt. Aber da gibt es die Frage, ob sie nicht schon zufrieden sein sollte mit dem, was sie erreicht hat. Alle wollen immer mehr, aber steigt damit die Zufriedenheit? Ihr Mundwinkel verrät Skepsis. Sie weiß nur eines sicher: "Ich möchte immer in den Spiegel schauen können und sagen, das bin ich. Und ich möchte Musik machen, die die Leute berührt. Und wenn das so bleibt, freu ich mich." (Karl Fluch, 5.11.2023)