Washington – Ist das Rennen gelaufen, bevor es überhaupt begonnen hat? Wenn man einer Umfrage der "New York Times" und des renommierten Siena College glauben darf, dann ja: Denn deren neuesten Daten zufolge liegt der um ein Comeback bemühte Republikaner Donald Trump – er war von 2017 bis 2021 schon einmal US-Präsident – in fünf von sechs traditionell wahlentscheidenden US-Staaten vor dem demokratischen Amtsinhaber Joe Biden. Und zwar deutlich: Die Swing-States Nevada, Georgia, Arizona, Michigan und Pennsylvania würden nach aktuellem Stand an Trump gehen, Biden liegt dort mit bis zu elf (!) Prozentpunkten hinten. Nur in Wisconsin kann sich Biden über ein kleines Plus von zwei Prozentpunkten gegenüber Trump freuen. Ein zweiter Sieg für Biden im November 2024, nach jenem vom November im Pandemiejahr 2020, erscheint in diesem Lichte weniger wahrscheinlich.

Wer wird im November 2024 wirklich Grund zum Jubeln haben? Joe Biden (re.) scheint im Vergleich zu Donald Trump (li.) ins Hintertreffen zu geraten.
AFP/SERGIO FLORES/BRENDAN SMIALO

Als konstantes Erklärungsmuster zieht sich "Unzufriedenheit" durch die gesamte "Times"/Siena-Umfrage. Eine Mehrheit der befragten Wählerinnen und Wähler sagt gemäß der US-Zeitung, dass Bidens Politik ihnen persönlich geschadet habe.

Weiteres interessantes Detail: Die Umfrage zeigt auch, wie sehr sich die 2020 sehr multiethnisch und generationenübergreifend ausgebildete Wählerschaft für Biden mittlerweile aufgelöst hat – die "New York Times" spricht von "ausgefranst": Demografische Gruppen, die Biden mit übergroßer Mehrheit unterstützten, sind jetzt viel stärker umkämpft. Warum? Zwei Drittel der betroffenen Befragten meinen, das Land sei zuletzt in die falsche Richtung gegangen.

Volatile Wählerschaft

Bei den Wählerinnen und Wählern unter 30 Jahren liegt Biden nur noch einen Prozentpunkt vorn, sein Vorsprung bei den hispanischen Wählern ist auf einen einstelligen (!) Wert gesunken, und sein Vorsprung in städtischen Gebieten ist nur noch halb so groß wie der Vorsprung von Trump in ländlichen Regionen.

Und während Frauen immer noch Biden bevorzugen, ist der Vorsprung der Männer, die Trump wählen würden, nun doppelt so groß – dadurch, so analysiert die "New York Times", habe sich der geschlechtsspezifische Vorteil für die demokratische Partei aufgehoben bzw. sogar ins Gegenteil umkehrt. Schwarze Wählerinnen und Wähler, sie galten jahrzehntelang als sichere Bank für die Demokraten, verzeichnen in diesen untersuchten Bundesstaaten aktuell einen Wert von 22 Prozent pro Trump. So viel habe es in der modernen US-Politik für einen Republikaner noch nie gegeben, berichtet das Blatt.

Unter ethnischen Gesichtspunkten betrachtet, verliert Biden massiv in fünf der sechs Swing-States. Nur im "weißesten" aller Staaten, in Wisconsin, vermag er es noch, knapp vorne zu bleiben. Stellt sich die Frage: Bleibt das so? Für wie lange?

Wer aber glaubt, Trump schwebe derzeit auf einer Wolke der Sympathie, die Herzen flögen ihm nur so zu, der oder die irrt: Laut der Umfrage sind Biden und Trump beide zutiefst – und zwar in ganz in ähnlicher Weise – unbeliebt. Die Deutung der "New York Times" dazu, warum dies aber vor allem Biden und weniger Trump schadet: "Die Wähler, die mit überwältigender Mehrheit meinten, die Nation sei auf dem falschen Weg, lassen ihre Frustration an dem Präsidenten aus."

Biden hat noch exakt ein Jahr lang Zeit, um den Trend umzudrehen. Die Wirtschaftsindikatoren sind zuletzt immerhin zu seinen Gunsten gestiegen. Und Trump könnte durch seine zahlreichen Prozesse doch noch Schaden erleiden. Die "New York Times" selbst schreibt Biden noch nicht ab: Er habe zum einen genug finanzielle Mittel für seinen Wahlkampf – und auch 2022, bei den wichtigen Zwischenwahlen zur teilweisen Neubesetzung im US-Kongress, konnte sich Biden besser behaupten, als die Umfragen es indiziert hatten. (Gianluca Wallisch, 5.11.2023)