Eylon Levy, Sprecher der israelischen Regierung, zieht in einem auf X verbreiteten Statement die Rede von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah von Freitag ins Lächerliche: Sie sei so langweilig gewesen, dass man vermuten könnte, Nasrallahs Redenschreiber sei bei einem der israelischen Militärschläge auf den Libanon umgekommen, sagt er. Aus Jenin im Westjordanland kommt ein Videoclip, auf dem ein Schuh – Zeichen der Verachtung – gegen den Bildschirm mit dem sprechenden Nasrallah fliegt.

Sicher ist: Millionen weltweit, auch in Israel, wo die Rede nicht direkt übertragen wurde, haben Nasrallahs Auftritt höchst gespannt verfolgt: die einen mit wachsender Erleichterung, dass die Ankündigung ausblieb, die Hisbollah, mit dem Iran im Hintergrund, werde vollständig in den Krieg gegen Israel eintreten; die anderen, Hamas-Anhänger und -Anhängerinnen, mit Enttäuschung.

Nasrallah-Fans im südirakischen Basra
Im südirakischen Basra versammelten sich am Freitag Nasrallah-Fans zur Pro-Palästina-Demonstration.
AP/Nabil al-Jurani

Der 63-jährige schiitische Südlibanese, der seit 31 Jahren Generalsekretär der Hisbollah ist, meldete sich wie immer aus einem versteckten Studio zu Wort. Die koordiniert und in Maßen jubelnden Massen in Beirut sahen ihn ebenfalls nur auf Video. Die nächste Rede Nasrallahs ist schon für den 11. November angekündigt. Aber es ist zu hoffen, dass sich bis dahin nichts an den Voraussetzungen ändert.

Die könnte man so interpretieren: Anders als 2006, als die Hisbollah durch die Entführung von israelischen Soldaten einen direkten Krieg auslöste, mit schwerer Zerstörung libanesischer Infrastruktur, würde der Libanon so etwas heute nicht aushalten. Totales Chaos in dem am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds stehenden und politisch gelähmten Land oder gar ein Bürgerkrieg könnte die Folge sein. Das gilt auch für Syrien, wo das Regime von Bashar al-Assad in Gefahr geraten könnte. Der Aufbau von US-militärischer Schlagkraft im Mittelmeer hat das Risiko erhöht.

Luftschläge in Syrien

Was ganz und gar nicht heißen soll, dass eine Erweiterung der Kriegsfront im Norden über die jetzigen regelmäßigen Angriffe und Gegenangriffe hinaus für Israel harmlos wäre: Die Hisbollah wurde im Rahmen des Krieges in Syrien, wo sie mit Iran und Russland Assad unterstützte, von Teheran massiv mit Raketen auch höherer Reichweite aufgerüstet. Regelmäßige israelische Luftschläge in Syrien gibt es deshalb seit Jahren, auch seit Beginn des Krieges mit der Hamas. Sie trafen auch syrische Infrastruktur: ein klares Signal.

Nasrallah blieb deshalb wohl nichts übrig, als einstweilen die derzeitige "Leistung" der Hisbollah für den Krieg der Hamas zu betonen: Sie halte mit ihren Angriffen einen Teil der israelischen Luftkapazitäten im Norden engagiert, auch israelische Zivilisten würden einen hohen Preis zahlen. Auch wenn Nasrallah das übertrieben dargestellt haben mag: Im Prinzip ist es richtig, Israel bestätigt das. Andererseits besteht ja darin genau die "rote Linie", die auch das Regime in Teheran immer wieder nennt: wenn Israel seine volle Militärmacht über den Gazastreifen kommen lassen würde. Das geschieht derzeit nicht.

Das klingt nach fragilen "Einsatzregeln", die jederzeit kippen können. Nasrallah sprach selbst die "Ambiguität" dieses Hisbollah-Dispositivs, der militärischen Haltung, an und betonte, dass sie sich ändern könne, wenn auf der libanesischen Seite Zivilisten zu Schaden kommen. Damit betonte er sein nationales Verantwortungsbewusstsein – das ihm in jenem Teil der libanesischen Bevölkerung keiner abnimmt, der die Hisbollah dafür verantwortlich macht, dass der Libanon in iranischer Geiselhaft ist. Der Versuch, die Hisbollah – und andere iranische Stellvertreter im Irak oder Jemen – als unabhängig von Teheran darzustellen, kann nur schiefgehen.

Neben der Bedienung der Hisbollah-Anhängerschaft kümmerte sich Nasrallah aber auch um starke Botschaften für die ganze Region. Mehr als einmal wiederholte Nasrallah, dass die Hisbollah, aber auch Teheran, nicht vorher über die Hamas-Operation am 7. Oktober informiert gewesen sei.

Kein iranischer Krieg

Erstens geht es darum, den Arabern zu vermitteln, dass der Iran und seine Stellvertreter eben nicht die palästinensische Frage monopolisieren – was in den vergangenen Jahren der Fall war und den Palästinensern zweifellos geschadet hat. Nasrallah wollte vermitteln, dass das kein Krieg der vom Iran etablierten sogenannten Achse des Widerstands sei. Mit der Betonung der "palästinensischen" Eigentümerschaft über die Hamas hinaus versuchte Nasrallah aber auch, die – bei vielen arabischen Regimen verhasste – Muslimbruderschaft vom Verdacht freizusprechen, der Strippenzieher zu sein.

Beides – zu viel Iran und zu viel Muslimbruderschaft hinter der Hamas – wäre ein Grund für arabische Hauptstädte von Kairo bis Riad, sich trotz aller Beteuerungen noch mehr herauszuhalten, als sie es jetzt schon tun. Der Iran-treue Schiit Nasrallah als Vertreter der jordanischen und der ägyptischen nationalen Interessen: Was im Namen der Palästinenser alles möglich wird, ist erstaunlich. Langweilig ist es leider nicht. (Gudrun Harrer, 5.11.2023)