Freud Museum Gewalt erzählen
Was ist mit dem Vater passiert? Ist er bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen? Rutu Modans Comic "Exit Wounds" von 2007 dreht sich um den Nahostkonflikt.

Diese Ausstellung wurde von der Wirklichkeit überholt. Eigentlich hätten Comics, die den Krieg in der Ukraine aufgreifen, an ihrem Schlusspunkt stehen sollen. Das Comic-Magazin Strapazin etwa widmete im vergangenen Jahr eine ganze Ausgabe Künstlerinnen und Künstlern aus dem Kriegsland, um über ihr Leben, über Bedrohung, Angst und Trauer zu erzählen. Doch dann kam der 7. Oktober, und das Bild globaler Krisenherde veränderte sich noch einmal erheblich.

Aus heutiger Sicht stehen ein zwischen 1993 und 1995 entstandener Comic des in den USA lebenden Zeichners Joe Sacco und eine Arbeit seiner israelischen Kollegin Rutu Modans im Mittelpunkt der Ausstellung Gewalt erzählen. Eine Comic-Ausstellung. Ersterer nennt sich Palestine und fußt auf intensiven Recherchen Saccos im Westjordanland und im Gazastreifen. Da wird ein Straßenkampf in Ramallah gezeigt, während Sacco über die eigene Angst reflektiert. Die eigene Position als Sprecher wird genau so herausgestrichen wie die Schwierigkeit, über einen hochkomplexen und historisch ungemein aufgeladenen Konflikt zu erzählen.

Neben der dicht schraffierten, in Schwarz-Weiß gehaltenen Arbeit Saccos ist im Obergeschoß des Freud-Museums, wo diese beklemmende Comic-Ausstellung gerade eröffnet hat, die in Tel Aviv angesiedelte Arbeit Exit Wounds (2007) von Modan zu sehen, in der die Suche nach dem Vater geschildert wird, der bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen sein soll.

Underground-Comics

In vier Sektionen gliedern die beiden Kuratorinnen Marina Rauchenbacher und Daniela Finzi ihre in erster Linie auf Underground- und alternativen Comics basierende Ausstellung. Beginnend mit dem weiten Feld sexualisierter Gewalt werfen sie einen genaueren Blick auf Coming-of-Age-Comics, in denen es um Themen wie Mobbing, Hassrede oder Suizid geht. Eine der Pionierarbeiten ist hier Justin Greens Binky Brown Meets the Holy Virgin Mary (1972), die sich ironisch um gewaltvolle Erziehung und religiösen Fanatismus dreht.

Ein eigener Bereich ist der Shoah gewidmet, in der natürlich Art Spiegelmans Referenzwerk Maus (1986 und 1991) einen prominenten Platz findet. Hier lässt sich aber auch die Arbeit zweier österreichischer Künstler entdecken, jene von Regina Hofer und Leopold Maurer, die in Insekten die Biografie von Maurers Großvater, einem überzeugten SS-Mitglied, erzählen.

Ergreift der Großvater relativierend das Wort, arbeiten die beiden Zeichner beinahe abstrahierend und streichen so die Grausamkeit des Erzählten heraus. Andere Zeichner zoomen dagegen ganz nah ran und erlauben kein Wegschauen. Der Frage nach der Darstellbarkeit von Gewalt entkommt keine der ausgestellten Arbeiten. Die Antworten fallen allerdings höchst unterschiedlich aus. (Stephan Hilpold, 7.11.2023)